MZ im Gespräch mit Matti Geschonneck MZ im Gespräch mit Matti Geschonneck: Stets den Schalk im Nacken
Berlin/MZ. - Herr Geschonneck, wie geht es Ihrem Vater?
Matti Geschonneck: Wie heißt es so schön: den Umständen entsprechend.
Was sind die Umstände eines 100-Jährigen?
Geschonneck: Es geht ihm eigentlich sehr gut, bis auf die üblichen Schwierigkeiten mit den Augen, den Ohren, mit dem Laufen. Aber geistig geht es ihm bestens. Und sein Blutdruck ist 120 zu 80.
Hätten Sie je damit gerechnet, dass er 100 Jahre alt wird?
Geschonneck: Mein Vater ist nicht nur vom Willen her, sondern auch physisch ein sehr starker Mann. Ein Ostpreuße, der so Unvorstellbares überlebt hat wie sieben Jahre KZ. Dass der 100 Jahre alt wird, mein Gott, wer sollte das wissen?
Sie waren fünf Jahre alt, als Erwin Geschonneck Ihre Familie verließ. Haben Sie Erinnerungen an Geschonneck als frühen Vater?
Geschonneck: Nur schemenhaft. Für mich gibt es im Verhältnis zu meinem Vater zwei Phasen. Die lange ist die des berühmten Schauspielers, der ein sehr ferner Vater war. Wir hatten keinen großen Kontakt, mein Vater hat ja mehrfach geheiratet. Die zweite Phase begann nach dem Mauerfall und mündete in die gemeinsame Arbeit am Film "Matulla und Busch". Seitdem haben wir ein zwar spätes, aber um so herzlicheres Verhältnis. Das ist ein großes Geschenk.
Wie war es für Sie als Kind, der Sohn eines DDR-Stars zu sein?
Geschonneck: Sehr schwer. So wie es für alle Scheidungskinder schwer ist, ohne den leiblichen Vater aufzuwachsen. Zudem trug ich den in der DDR sehr berühmten Namen. Das war eine Belastung.
Haben Sie einen Lieblingsfilm aus dem Werk Ihres Vaters?
Geschonneck: Zwei Filme sind mir sehr nah: "Sonnensucher" und "Karbid und Sauerampfer".
Warum sollte man "Sonnensucher" gesehen haben?
Geschonneck: Der Film über den Uranbergbau im Vogtland ist eine der stärksten Arbeiten von Konrad Wolf, weil er sehr pralle, für damalige Verhältnisse sehr mutige und ambivalente Figuren schafft. Er zeigt einen kraftvollen und authentischen Geschonneck, den ich sehr mag. Ich sehe da auch große (lacht) äußerliche Parallelen zwischen uns. Es ist schon bemerkenswert, wie sich so Gene vererben.
Und "Karbid und Sauerampfer"?
Geschonneck: Das ist einer der populärsten DDR-Filme überhaupt. Jeder DDR-Bürger kannte den.
Stimmt nicht, ich habe den Film erst dieser Tage gesehen.
Geschonneck: Ach, ist nicht wahr! Und hat er Ihnen gefallen?
Ich war überrascht. Ein kleines Kunstwerk, Kammerspiel-Tempo. Es gibt diese schöne Szene, in der Geschonneck auf der Elbe schippert, in beidseitig gleichmäßiger Distanz zu den Russen und zu den Amerikanern. So heiter hätte es von Osten her filmisch weitergehen können. Ging es aber nicht.
Geschonneck: Ja, das war ein für DDR-Verhältnisse ungewöhnlicher Film, auch weil er die Russen einmal nicht als Helden zeigte. Da wirkte ein Humor, der vielen Leuten zu verdanken war. Dem Autor Hans Oliva, Vater von Nina Hagen. Frank Beyer, Lieblingsregisseur von Erwin. Und Erwin selbst.
Geschonneck spielt in diesem Film unprätentiös, langsam, sehr charmant. Ist das typisch für ihn?
Geschonneck: Ja. Ich finde, das ist eine sehr moderne Art zu spielen.
Dieses Beiläufige?
Geschonneck: Ja, da ist so eine Lakonie. Manchmal übertreibt er ein bisschen, aber dann fängt er sich wieder. Er hat einen proletarischen Witz, stets den Schalk im Nacken. Es macht einfach Spaß, ihm zuzusehen. Er hat eine sehr moderne Art, auf Brüche zu spielen. Das ist keine Sekunde langweilig.
Sie sind in den 70er Jahren im Kreis um Wolf Biermann gelandet und schließlich 1978 Eva-Maria Hagen in den Westen gefolgt. Was hatte Ihr Vater davon gehalten?
Geschonneck: Wir hatten in dieser Zeit keinen Kontakt. Er war natürlich absolut auf Parteilinie und ich sozusagen weniger. Wir hatten allerdings nie Zeit gehabt, tatsächlich einmal darüber zu reden. Und ich hatte eigentlich auch gar keine Lust darauf. Nach dem Mauerfall war es dafür dann zu spät.
Wie blicken Sie auf die politische Biografie Ihres Vaters?
Geschonneck: Was der durchlebt und überlebt hat, ist unvorstellbar. Ich wohne in Berlin in der Krausnickstraße, um die Ecke ist die Ackerstraße, wo Erwin mit meinem Großvater aufgewachsen ist, der in der Kaiserzeit Nachtwächter gewesen war bei der Wach- und Schließgesellschaft. Hier ging Erwin zur Schule, hier spielte "Berlin, Alexanderplatz". Dann kam die Emigration in die Sowjetunion, dann die KZ-Zeit. Das finde ich schon alles bemerkenswert. Ob ich auch diesen politischen Glauben habe? Gewiss nicht. Aber ich respektiere es sehr, wenn ein Mensch seinen Glauben lebt. Und Erwin hat diesen Glauben an die Idee des Sozialismus und Kommunismus gelebt.
Wird der politischen Generation, der Ihr Vater zugehört, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet?
Geschonneck: Angesichts der Sorge um die Zukunft, die ja für die meisten Menschen total nebulös ist, kann ich es verstehen, dass man sich für die Vergangenheit eines alten Kommunisten kaum noch interessiert. Mich persönlich interessiert Erwins Geschichte sehr. Auch die Verdrängung, auch die Illusionen, auch die Unwahrheiten, mit denen mein Vater gelebt hat.
Sollte man ein Gipfeltreffen mit Johannes Heesters arrangieren?
Geschonneck: Ich weiß nicht, ob die beiden sich etwas zu sagen hätten. (lacht) Außer dass sie über Frauen redeten. Die kommen aus so verschiedenen Ecken.
Würde es Sie reizen, das Leben Ihres Vaters zu verfilmen?
Geschonneck: Man kann vielleicht Phasen eines Lebens verfilmen. Aber: das Leben? Nein.
Welche Phase würde Sie reizen?
Geschonneck: Die 30er Jahre in der Sowjetunion. Es ist für uns völlig vage und irrational, was sich damals in der Sowjetunion abgespielt hat. Das ist ein weißes Feld, das mich auch über das Leben meines Vaters hinaus sehr interessiert.
Was wünschen Sie Ihrem Vater?
Geschonneck: Ich wünsche ihm, dass ihm noch Zeit bleibt, weil er es einfach verdient hat, lange zu leben. Es geht ihm gut, habe ich den Eindruck. Ich hoffe, dass er ohne große Beschwerden vor allem seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann, nämlich singen.