Michael Naumann Michael Naumann: Vor einem Jahr überraschender Politik-Rückzug

Berlin/dpa. - Michael Naumann war 1998 Gerhard SchrödersÜberraschungskandidat für die Kulturpolitik am Kabinettstisch. Nurzwei Jahre später, am 23. November 2000, überraschte der frühereVerleger und Journalist seinerseits den Bundeskanzler mit derNachricht über seinen vorzeitigen Rückzug aus der Politik zumJahresende. Er wollte zu seinem einem seiner früheren Arbeitgeberzurückkehren und den «Traumjob» (Schröder) als Mitherausgeber undChefredakteur der Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» antreten.
Es gab damals auch enttäuschte Stimmen über den plötzlichenWechsel des so tatendurstig angetretenen ersten Kulturstaatsministersder Bundesrepublik, den viele Künstler und Kulturverbände alseloquenten Vertreter ihrer Interessen begrüßt hatten. Manche warfenihm sogar «Fahnenflucht» und ein «Weglaufen aus einem mühseligen Amt»vor. Andere nannten Naumann aber auch einen Glücksfall in derbundesdeutschen Kulturpolitik.
«Ich hatte fast ein halbes Jahr richtigen Trennungsschmerz»,erinnert sich Naumann rückblickend in einem dpa-Gespräch. Aber jetztgehe es ihm gut in seiner neuen Position. Als kulturpolitischer Autorhat er sich in seinem Blatt bisher zurückgehalten, das will er jetztwieder ändern und wieder «mitmischen und kommentieren». Zum Beispielin der Debatte um die geplante Bundeskulturstiftung. Diesen Steinhatte er selbst noch in seiner Amtszeit ins Wasser geworfen.
Die Stiftung werde offenbar zu einer Kraftprobe zwischen dem Bundund den Ländern missbraucht, meint Naumann, der dahinter «vielProvinzialismus» und eine «mentale Verholzung» wittert. Besondersüberrascht habe ihn der Widerstand aus Nordrhein-Westfalen. «Es istschon ein irres Schauspiel, dass Politiker dem Bund zurufen: "Wirwollen euer Geld nicht!"», meint Naumann. «Dahinter steckt - egal,wie es sich verkleidet und mit welchen Verfassungsargumenten eskommt, genau das, was in den Ländern selbst und ihren Kabinetten gangund gäbe ist - Kultur zuletzt.»
Eine Schwächung der Bundeskulturpolitik sieht Naumann nicht, wennsich die Länder daran nicht beteiligen sollten. «Im Gegenteil, danntritt genau das ein, was die angeblich so föderal auf ihreEigenständigkeit pochenden Haupt- und Nebenkulturpolitiker in denLändern nicht wollen - denn selbstverständlich wird, wenn es eine nurvom Bund finanzierte Kulturstiftung gibt, der Bund entscheiden, unddie Gelder werden dann in einem viel größeren Maße den Prioritätendes Bundes zugeführt, zum Beispiel in Berlin.»
Sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin (SPD), laut Naumann ein «inPhilosophenkreisen hoch bekannter analytischer Kopf», hat den Ballinzwischen aufgenommen und zur wichtigsten Entscheidungssache seinerAmtszeit gemacht. 2002 soll die Bundeskulturstiftung stehen, mit oderohne Länderbeteiligung. «Naumann hat eine Spur gesetzt, die dieKultur zu einem nationalen Thema in Deutschland gemacht hat», meinteNida-Rümelin beim Amtswechsel.
In diese Spur hat sich Nida-Rümelin, wie sich zeigen sollte, nichtnahtlos eingefügt. Ihm wurde von Kritikern vorgehalten, nicht solautstark für die Kultur zu trommeln, wie es sein Vorgänger getanhabe. In der Tat meldet sich Nida-Rümelin weniger in derÖffentlichkeit zu Wort als Naumann, was ihn nicht immer gleichermaßenpräsent erscheinen lässt und ihm auch schon den Spitznamen «Nie-da»eingebracht hat.
Aber er nimmt für sich in Anspruch, hinter den Kulissen und in denEntscheidungsgremien umso aktiver zu sein. Sein überraschend forschesVorgehen bei der Bundeskulturstiftung mit Rückendeckung des Kanzlersund letztendlich weit geöffneter Schatulle des Finanzministers, dervon ihm angeführte und schließlich erfolgreiche Widerstand gegen dieübermäßige Besteuerung ausländischer Künstler und seine jüngsteumfassende Initiative zur Reform der Filmförderung bestätigen das.