Kinostart: 23. Oktober Kinostart: 23. Oktober: «Anonyma - Eine Frau in Berlin»

Berlin/dpa. - Gesprochen über das Leid haben dieOpfer meist nicht. Zuhören wollte ihnen ohnehin fast niemand, dereigene Ehemann oft schon gar nicht. Als Ende der 1950er Jahre die voneiner betroffenen Frau anonym veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungenauch in Deutschland auf den Markt kamen, stieß das Thema auf nurwenig Interesse. Erst mit der Wiederveröffentlichung derAufzeichnungen von «Anonyma - Eine Frau in Berlin» (Eichborn Verlag)im Jahr 2003 begann eine Aufarbeitung dieses Teils der deutschenGeschichte.
«Komm Frau, komm!» - mit diesem Ruf holten die Soldaten in dersterbenden Stadt Berlin die von Hunger, Angst und Bombennächtenzermürbten Frauen aus ihren Wohnungen, Verstecken und mitten von derStraße weg. In Max Färberböcks («Aimée & Jaguar») auf dem Tagebuchbasierenden Film spielt Nina Hoss die «Anonyma», die dieses Schicksalerleidet. Es ist eine ungewöhnliche Notgemeinschaft, die im April1945 in einem halbzerstörten Haus irgendwo in Berlin zusammengefundenhat.
Da ist die scheinbar heitere Witwe, die Irm Hermann als Frauspielt, die noch unter den widrigsten Umständen Stil und Haltungbewahren möchte und damit immer leicht am Rande des Wahnsinnswandelt. Oder das in ständiger Angst vor Aufdeckung lebende lesbischeLiebespaar Steffi (Sandra Hüller) und Lisbeth (Isabell Gerschke). Unddie Freundin (Juliane Köhler) von «Anonyma», die die Vergewaltigungendurchzählt und weglacht. Hoss zeigt die «Anonyma», im zivilen LebenJournalistin und Fotografin, als verletzliche und starke Frauzugleich. Trotz größter eigener Not, verliert sie nie den Blick unddas Gefühl für ihre Mitmenschen - egal ob Freund oder Feind.
Allen Mut nimmt die junge Frau zusammen, als sie ins Hauptquartierder Russen geht, um sich über die fortgesetzten Misshandlungen derBerlinerinnen zu beschweren. «Unsere Männer sind gesund», bekommt sieals lapidare Antwort - die paar Minuten seien doch wohl nicht soschlimm. Daraufhin entschließt sich die «Anonyma», Schutz bei einemrussischen Offizier (Evgeny Sidikhin) zu suchen. Ihm will sie sichfreiwillig zur Verfügung stellen, damit er sie im Gegenzug vor denÜbergriffen weiterer Männer bewahrt.
Tatsächlich findet sich ein solcher Offizier - und was im Tagebuchnur zwischen den Zeilen angedeutet wird, schmückt Färberböck im Filmaus: der sensible Russe und die mutige Deutsche kommen sich nicht nurkörperlich näher. Obwohl es kein Happyend geben kann, rückt derRegisseur schon bald die leise Liebesgeschichte und die menschlicheHoffnung in den Mittelpunkt.
Den Schrecken der letzten Kriegstage, die Freude und Erschöpfungder siegreichen Rotarmisten oder das zerstörte Berlin illustriert erdurch bis ins Detail ausgestaltete Fassaden, Kostüme und Requisiten.Bei den Vergewaltigungen selbst verzichtet Färberböck auf eine allzudrastische Darstellung. Für den Zuschauer bleibt es ein «pauschales»Leid, denn die Charaktere der Frauen sind zu kurz und schablonenhaftumrissen, als dass man mit ihnen mitleiden könnte.
«Als ich das Tagebuch gelesen habe, hat mich an dieser Frau gleichihre Fähigkeit fasziniert, so distanziert zu reflektieren», sagteHoss im dpa-Gespräch. «Als Journalistin findet sie Begriffe für das,was sie erlebt. Für sie war das Schreiben wie ein Ventil - dass manes sich erstmal von der Seele schreibt, dass man das Erlebte ablegtund trotzdem nicht das Gefühl hat, dass es dadurch vergessen undverdrängt ist.» Beeindruckt habe sie auch, dass die «Anonyma» denRussen, die von vielen als «Bestien» beschrieben wurden, immer nochbegegnen und sehen konnte, durch was für Leid diese Menschen selbstgegangen sind.
«Vergewaltigung ist ein Kriegsmittel, das es seit Urzeiten gibtund bis heute immer noch zur Demoralisierung eines Volkes benutztwird», sagte Hoss. «Die Vergewaltigungen sind auch ein Teil unsererGeschichte. Es geht nicht darum zu sagen, wir waren auch Opfer. Manvergisst nicht, dass wir die Aggressoren waren», so dieSchauspielerin. «Aber trotzdem ist es etwas, worüber man sprechenmuss - weil es eines der grausamsten Kriegsmittel ist und nie dürfendie Frauen darüber sprechen.»