Goethes "Wahlverwandtschaften" Goethes "Wahlverwandtschaften": Verwirrung der Gefühle in Bad Lauchstädt
Bad Lauchstädt - Den Ort und das Datum hatte er schon mal auf seiner Seite. Dass René Schmidt, Chef des Goethe-Theaters, diese Premiere, mit der das neue theater Halle seine Spielzeit beginnen wird, zu Goethes 266. Geburtstag für des Geheimrats eigenes Haus in Bad Lauchstädt reklamierte, ist clever und hat Stil.
Zumal man der Auffassung - die dem augenzwinkernd am Anfang und am Ende über die Bühne irrlichternden Goethe des Jahres 1809 in den Mund gelegt wird, dass diese „Wahlverwandtschaften“ sein bestes Buch sei - ja durchaus etwas abgewinnen kann. Es geht in dieser Geschichte um jene Verwirrung der Gefühle, die die Grenzen der Konvention sprengt. Ein Experiment, das zeigt, was passiert, wenn erotische Anziehungskraft den Kompass des Begehrens neu ausrichtet.
Mit Tempo und viel Witz
Bei Goethe ist das ein Kammerspiel in Romanform. Darauf lassen sich Regisseurin Henriette Hörnigk und ihr fabelhaftes Quartett ein und bringen es gleichsam zu sich selbst: Dicht, mit Tempo und viel Witz, von heute aus, doch immer nahe an Goethes Diktion.
Da ist die brillante Bettina Schneider, die sich die Charlotte punktgenau anverwandelt und neu erfindet. Die Alexander Pensel als Eduard mit seinem jungenhaften Charisma und nicht ohne emotionales Pathos von innen leuchten lässt. Die Alexander Gamnitzer als Otto in das Faszinosum des Gegenentwurfs eines Freundes übersetzt und die Sonja Isemers Ottilie mit der Distanziertheit der jungen Entdeckerin des Lebens und der Liebe gewissermaßen in Frage stellt.
Leichte Kost ist das nicht, obwohl die vier Akteure es so aussehen lassen, wenn sie da in der Landschaft, die Ausstatterin Angela Baumgart aus Tischen und Stühlen gebaut hat, herumklettern und sie gestalten. Ganz so wie Charlotte und Eduard ihren Landsitz - erst allein und dann mit fachkundiger Hilfe des Freundes Otto. Doch entscheidend bleibt, was durch seine und die Gegenwart Ottilies mit Charlotte und Eduard passiert.
Ein Stück für die Gegenwart
Dass Goethe es beim geistigen Ehebruch nach dem unvermeidlichen Überkreuz-Verlieben belässt, ist den moralischen Konventionen seiner Zeit geschuldet. In seiner „Stella“ hatte er seinen ursprünglichen Ménage-à-trois–Schluss nicht ganz freiwillig geändert. Die „Wahlverwandtschaften“ werden so in Zeiten hoher Scheidungsrate und Lebensabschnittsbeziehungen zu einem Stück für die Gegenwart.
In Bad Lauchstädt sieht es auf eine sympathische Weise nach einer Melange aus Goethe und uns aus. Und klingt auch so, wenn sich die vier Darsteller in Goethes Sprachgewand so wohl fühlen wie in den bunten Fantasiekostümen des Anfangs oder in ihrer nackten Haut. Meistens sind sie bei Goethe, bei sich und bei uns. Wie schön! (mz)
Nächste Vorstellung: am 5.September, neues theater Halle, 20 Uhr