30 Jahre Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz 30 Jahre Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz: Bronzekopf umweht Hauch von Fa-Seife

Chemnitz/MZ. - Nach solch geballter Erinnerung an den Staatsbürgerkunde-Unterrichtin der Schule wirkte der plötzliche und einzigartigeGeruch von Fa-Seife, Yogurette und Meister-Propper-Reinigungsmittelum so komischer. Dem "Nischel", wie die Chemnitzerden Karl-Marx-Kopf auch heute noch nennen,gegenüber auf der anderen Straßenseite lagnämlich einer der Intershops von Karl-Marx-Stadt.Kein schöner Anblick für den steinernen Marx.
Elf Jahre nach der Wende riecht es nirgendsin Chemnitz mehr nach Intershop. Der Nischelsteht aber immer noch. Seit heute vor genau30 Jahren. Nun zwar nicht mehr auf der Karl-Marx-Allee,die hat man in Brückenstraße umbenannt. Aberimmerhin.
Eigentlich ist der große Bronzekopf des Philosophenrichtig hässlich. Und vielleicht auch nichtunbedingt "künstlerisch wertvoll" zu nennen.Aber Eindruck macht die 7,10 Meter hohe und40 Tonnen schwere Büste auf einem mit ukrainischemGranit verkleideten Sockel auch heute nochallemal. Bedrohlich wirkt sie in dem einenMoment, dann wieder unbeholfen. 1971 erschufsie der sowjetische Bildhauer und LeninpreisträgerLew Kerbel. Die Kosten für das Monument wurdennicht wie üblich durch eine Umverteilung derHaushaltskosten finanziert, sondern durcheine Selbstfinanzierungsinitiative in derBevölkerung.
Kurz nach der Wende sah es eine Zeit langso aus, als ob der Karl-Marx-Kopf das Schicksalder gleichnamigen Allee teilen würde. Abreißen,sprengen, umsetzen schrieen damals viele,vor allem aus neugegründeten und neuen altenParteien. Hauptsache weg mit dieser mehr alsoffensichtlichen Erinnerung an Umbenennungder Stadt, an Sozialismus und Wartezeitenauf einen Trabi.
So eine Bilderstürmerei war den frisch gebackenenChemnitzern aber wohl doch zu heftig, in einerBevölkerungsbefragung fand sich eine Mehrheitfür den Erhalt. Heute bekommt der Nischelnicht mehr am ersten Mai ein rotes Halstuchumgelegt, zum Glück möchte man meinen, sahdas doch auch im tiefsten Sozialismus ziemlichalbern aus. Heute wird er von Halogenscheinwerfernangestrahlt. Heute marschieren keine FDJ-lerund beständig winkende Jungpioniere an ihmvorbei. Dafür trifft sich die Gewerkschaftimmer am Nischel, bevor es zu einer Demo fürden Erhalt von Flächentarifverträgen durchdie Innenstadt geht. Bis vor zwei wenigenmusste auch noch fast jeder Arbeitslose anihm vorbei, direkt hinter dem Monument wardas Arbeitsamt.
Und dann sind noch die (wenigen) Touristen.Die haben dem Karl-Marx-Kopf neue Ehre eingebracht,denn in offiziellen Prospekten reden die ChemnitzerStädtevermarkter nur noch von "der Stadt mitKöpfchen". Nicht besonders originell, aberwomit sollen sie sonst für Chemnitz werben.Versuchen kann man es ja.
Eine Frage rund um den Nischel kann auch anseinem "Geburtstag" nicht geklärt werden:Ob im Innern des Kopfes Heizkörper installiertwurden, damit im Winter keine Schneeschichtdas betongrau Haar Marx weißer macht. Diemeisten Chemnitzer meinen wohl nein, das Gerüchthält sich aber weiter.