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Tabakwaren Tabakwaren: Billig-Zigaretten sind nur eine Stunde von Berlin entfernt

Von Günter Werz 03.02.2005, 17:49

Berlin/MZ. - Zigaretten über Zigaretten zum Schnäppchenpreis. Je nach Marke liegen die Preise zwischen zehn und 16,50 Euro pro Stange. Auf der deutschen Seite kostet die Stange mindestens 25 Euro mehr. Tausende decken sich hier Tag für Tag ein.

Osinow Dolny ist der größte Polenmarkt, nur eine Stunde von Berlin entfernt, und weil Geiz in Deutschland geil ist, fragt kaum einer der Kunden, ob es sich bei den Zigaretten um polnische Lizenzproduktion oder Importe handelt. Dabei hilft ein Trick: Die Händler verweisen auf den EAN-Strichcode auf jeder Packung und wollen den Kunden weismachen: deutsche Produktion! Wer weiß denn schon, dass nur der Code 400-440 Deutschland vorbehalten ist. 460-469 steht für Russland, 477 für Litauen usw. Selbst der polnische Staat trickst mit. Beschlagnahmte Zigaretten werden mit einer "Import-Steuerbanderole" versehen und wieder in Umlauf gebracht - ganz gleich, ob es sich um Fälschungen oder Originalprodukte handelt.

"Die kriminellen Märkte öffnen sich mehr und mehr von Ost nach West, der Raum wird größer", stellt Peter Lind fest. Rheinland und Ruhrgebiet, wo über elf Prozent aller gerauchten Zigaretten aus Schmuggelware stammt und durch eine völlig verfehlte Tabaksteuerpolitik über tausend Arbeitsplätze verloren gingen, erwiesen sich zunehmend als wichtiges Ziel der Mafia. "Vieles geht auf dem Weg nach England - eine Packung kostet dort 6,95 Euro - schlicht in Nordrhein-Westfalen verloren", witzelt Lind. In Ostdeutschland trägt jede vierte Zigarette, die geraucht wird, kein deutsches Steuerzeichen. Allein für 2005 rechnet die Tabakbranche mit einem neuen Rekordanteil von 20 Prozent unversteuerter Zigaretten in Deutschland. "Durch die EU-Osterweiterung und dem zum 1. September von der Bundesregierung beschlossenen neuen Steuerschritt wird dann jede fünfte Zigarette am Fiskus vorbeigeraucht", ist sich Lind sicher.

"Wir stehen vor einem völlig neuen Markt. Immer höhere Steuern auf Zigaretten haben den Schmuggel für viele Groß- und Kleinkriminelle interessant gemacht", sagt André Härtge , 40-jähriger Zollamtsrat aus Frankfurt (Oder). Der gebürtige Bernburger kennt die Szene wie kaum ein anderer. "Der Vertrieb funktioniert wie beim Drogenhandel". Zigaretten würden in großen Mengen eingeführt und über verschiedene Ebenen verteilt. Am Ende stehe der Kleindealer. "Bei ihm kann man telefonisch ordern. Nach dem Handy-Anruf werden die Schmuggelzigaretten direkt an die Haustür geliefert." Härtge kennt auch das tägliche Katz- und-Maus-Spiel der Kriminellen mit den Mobilen Kontrollgruppen des Zolls: " Der Trend geht zu kleineren Transporten. Die schicken zehn Fahrzeuge auf die Reise - dass eins entdeckt wird, ist fest eingeplant."

Die Chancen, glatt durchzukommen, stehen gut: Nach der EU-Erweiterung wurde die Zahl der Zollfahnder von 703 auf schlappe 240 heruntergefahren. Dabei erwachen mit dem Zigarettenschmuggel auch andere Strukturen zu neuem Leben: Diebesgut vom Navigationsgerät bis hin zum Neuwagen fallen den Streifen in die Hände. Zollfahnder Härtge trocken: "Das ist wie beim normalen Spediteur - der fährt auch nicht gern leer." Peter Lind fühlt sich bestätigt: "Wir haben Herrn Eichel gewarnt. Am 1. September soll die fünfte Tabaksteuererhöhung seit 2002 kommen - das verkraftet kein Unternehmen.

Auf der deutschen Seite der Grenze bietet sich ein trauriges Bild. Graue Orte, leere Schaufenster, bis auf das Schild "Zu verkaufen - zu vermieten". Keine Jobs, kein Geld, keine Zukunft; wer konnte, ist weggezogen. Mirko Krüger, ein Händler aus Bad Freienwalde, hat 35 Prozent weniger Umsatz bei Zigaretten. "Viele sind auf Drehtabak und Sticks umgestiegen. Der Rest fährt acht Kilometer weiter gen Osten - ist doch klar."