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Ronald Pofalla im Interview Ronald Pofalla im Interview: "Russland wird bedeutender"

05.03.2016, 12:21
Ronald Pofalla (CDU)
Ronald Pofalla (CDU) Markus Wächter

Halle (Saale) - Der Petersburger Dialog ist seit 2001 ein deutsch-russisches Gesprächsforum. Vorsitzender des Vorstandes des deutschen Lenkungsausschusses ist Bahn-Vorstand Ronald Pofalla. Er sagt, auf beiden Seiten ist in den letzten Jahren Vertrauen verloren gegangen, das wieder aufgebaut werden muss. Mit ihm sprachen Hartmut Augustin und Frank Herold.

Herr Pofalla, Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew bezeichnete das Verhältnis zwischen seinem Land und der Nato kürzlich als „neuen kalten Krieg“. Teilen Sie die Einschätzung?

Pofalla: Von seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ich überrascht. Bei anderer Gelegenheit am gleichen Ort hatte er zuvor sogar Beispiele dafür genannt, dass der Dialog - beispielsweise beim Petersburger Dialog - wieder klappt. Ich denke, dieses drastische Bild ist übertrieben. Im Kalten Krieg standen sich in Europa West und Ost an den Grenzen militärisch gegenüber. Diese Situation ist mit der heutigen nicht vergleichbar.

Warum, glauben Sie, hat Medwedew dann seine drastischen Worte gewählt?

Pofalla:Ich denke, er wollte deutlich machen, dass die Zahl der Konflikte in der Welt uns zwingt, wieder stärker den Dialog zu suchen. Das hätte man auch ohne den Kampfbegriff „Kalter Krieg“ tun können.

US-Präsident Barack Obama hat Russland vor wenigen Jahren als Regionalmacht klassifiziert. Das hat Moskau bis heute nicht verdaut...

Pofalla: Diese Charakterisierung Obamas war aus meiner Sicht ein Fehler. Sie war darauf angelegt, die russische Seele herauszufordern. Und das sollten Staatsmänner unterlassen. Die Bedeutung Russlands in der Welt ist nach meiner Überzeugung in den letzten Jahren wieder größer geworden. In der aktuellen Situation in Syrien ist zu sehen, dass der amerikanische und der russische Präsident wieder miteinander sprechen und die Außenminister versuchen, einen dauerhaften Waffenstillstand zu organisieren. Erste Erfolge sind seit dem Wochenende in Syrien zu verzeichnen.

Können Sie sich denn in die russische Seele, von der Sie sprachen, hineinversetzen?

Pofalla: Ich versuche es auf jeden Fall immer wieder. Ich glaube, dass ich nach vielen Begegnungen in den letzten Jahrzehnten die Russen ganz gut verstehe.

Was haben Sie verstanden? Wie sind die Russen?

Pofalla: Was wir im Westen im letzten Vierteljahrhundert ein bisschen übersehen haben, sind die Folgen, die der Zerfall der Sowjetunion in den Augen vieler Russen hatte. Die staatliche Organisation, die ihr Leben für Jahrzehnte ausmachte, war plötzlich nicht mehr existent. Wir hätten noch mehr gemeinsame europäische Projekte entwickeln müssen, damit die Russen den Zerfall der Sowjetunion nicht als Niederlage gegen den Westen begreifen.

Russland will der Welt jetzt beweisen, dass das Land keine Regionalmacht ist und rüstet auf...

Pofalla: Was das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland angeht, sind auch die Veränderungen in Russland im militärischen Bereich erheblich. So erheblich, dass auch darüber dringend wieder gesprochen werden muss. Auf beiden Seiten ist Vertrauen verloren gegangen, das jetzt mühsam wieder aufgebaut werden muss.

Kann man denn Russland, kann man denn dem Präsidenten Wladimir Putin nach der Annexion der Krim noch vertrauen?

Pofalla: Vertrauen schaffen ist kein einseitiger Prozess. Durch die Annexion der Krim, aber auch durch andere Dinge, die davor lagen, hat Putin ganz sicher Vertrauen im Westen verspielt. Und der Westen hat in Russland Vertrauen verspielt, weil er sich nach deren Auffassung über viele Bedenken Moskaus einfach hinweggesetzt hat. Den deutlichen Vertrauensverlust gibt es auf beiden Seiten.

Er hängt ganz konkret mit dem Ukraine-Konflikt zusammen. War es richtig, dass Deutschland hier Partei auf Seiten Kiews ergriffen hat?

Pofalla: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist nun einmal durch Russland erfolgt und von keinem anderen. Obwohl es die Russen am Anfang bestritten, ist auch der Konflikt in der Ost-Ukraine durch Separatisten vom Zaun gebrochen worden, die von Russland gesteuert werden. Das Minsk-Abkommen, das vor einem Jahr geschlossen wurde, hat wenigstens zu einem spürbaren Rückgang der Gewalt geführt, aber leider gibt es jetzt wieder erhebliche Scharmützel.

Ich bin überzeugt, wenn Russland auf die Separatisten einwirkt, kann es einen dauerhaften Waffenstillstand geben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wesentliche Punkte des Minsk-II-Abkommens von der Ukraine nicht umgesetzt werden – wie die geforderte Föderalisierung und die Vorbereitung von Wahlen.

Welches Interesse könnte denn Russland daran haben, dass sich die Situation in der Ukraine beruhigt und die Waffen schweigen?

Pofalla: Russland hat erkennbar ein Interesse daran, dass der Westen seine Sanktionen überdenkt. Wenn es tatsächlich zu einer dauerhaften Waffenruhe kommen würde, wird man im Westen auch bereit sein, über die Aufhebung einiger der Sanktionen zu diskutieren. Der Schlüssel liegt aber in der Hand Russlands.

Welche Rolle kann in diesem „großen politischen Spiel“ eine Institution wie der Petersburger Dialog spielen?

Pofalla: Er ist jetzt in einer besonderen Situation. Offizielle Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Russland gibt es derzeit nicht. Der Petersburger Dialog ist eines der ganz wenigen Foren, die übrig geblieben sind. Deshalb hat er eine noch größere Verantwortung als früher.

Wie kann es aber einen sachlichen Dialog der Zivilgesellschaften geben, wenn viele der russischen Organisationen im eigenen Land per Gesetz zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden?

Pofalla: Ich habe diese russische Gesetzgebung immer kritisiert, weil ich überzeugt bin, dass es eine erfolgreiche zivilgesellschaftliche Entwicklung nur geben kann, wenn die Nicht-Regierungsorganisationen frei von staatlicher Kontrolle agieren können. Ich halte das russische Gesetz für falsch. Das habe ich den Russen auch schon gesagt, als das Gesetz im Entstehen und ich noch Minister war.

Auch auf deutscher Seite im Petersburger Dialog hat es scharfe Kritik an mangelnder Pluralität und mangelnder Konfliktbereitschaft gegeben und es wurden Reformen gefordert. Wie weit ist dieser Prozess?

Pofalla: Wir sind ein ganzes Stück vorangekommen. Auch die deutsche Seite des Petersburger Dialogs musste pluraler werden, um die Zivilgesellschaft stärker zu repräsentieren. Wir haben deshalb 23 zusätzliche Vertreter von Nichtregierungsorganisationen als Mitglieder aufgenommen. Das Meinungsspektrum ist breiter geworden. Jetzt sind alle Meinungen zu Russland vertreten, so wie sie auch in der deutschen Gesellschaft vorhanden sind.

Wie wird es weitergehen mit dem Petersburger Dialog?

Pofalla: Wir stimmen die Termine für das nächste Treffen ab. Es soll Mitte Juli in St. Petersburg stattfinden. (mz)

Der Petersburger Dialog

Es waren der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der russische Präsident Wladimir Putin, die 2001 den Petersburger Dialog ins Leben gerufen haben. Ziel war es, einen offenen Dialog zwischen allen Bereichen der Zivilgesellschaften beider Länder zu fördern. Der erste Veranstaltungsort, Putins Heimatstadt St. Petersburg, gab der Veranstaltung ihren Namen. Die wichtigste Veranstaltung, die Jahrestagung, findet in der Regel abwechselnd in Russland und Deutschland statt. Zwischen den Jahrestagungen hinaus treffen sich regelmäßig die acht Arbeitsgruppen des Dialogs - Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bildung und Wissenschaft, Kultur, Medien, Zukunftswerkstatt und Kirchen in Europa.
2014 wurde die Jahrestagung des Petersburger Dialogs wegen der Krim-Annexion abgesagt. 2015 wurde der Petersburger Dialog wieder angeschoben. In Potsdam trafen sich rund 200 hochrangige deutsche und russische Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Die früher an das Treffen gekoppelten Regierungskonsultationen gab es allerdings nicht. Präsident Wladimir Putin und Kanzlerin Angela Merkel schickten lediglich Grußworte.
Seit Mai 2015 ist der ehemalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla Vorsitzender des Petersberger Dialogs auf deutscher Seite. Zuvor hatte der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizière, das Gremium zehn Jahre lang geleitet. Gründungsvorsitzender des Petersburger Dialogs war für Deutschland der Publizist Peter Boenisch.