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MZ-Serie "Leben nach dem Mauerfall" MZ-Serie "Leben nach dem Mauerfall": Der Seelenverkäufer

Von FRANK JUNGHÄNEL 08.11.2014, 15:24
Robert Schneider sächselt nur, wenn er sich mit Ostdeutschen unterhält.
Robert Schneider sächselt nur, wenn er sich mit Ostdeutschen unterhält. Markus Wächter Lizenz

Leipzig - Wenn sich Robert Schneider eine Geschichte für die Super-Illu wünschen dürfte, in der alles so zusammenpasst, wie er sich das gern vorstellt, könnte er bei sich selber anfangen. Schneider ist jung, sympathisch, er ist erfolgreich und kommt aus dem Osten. Besser geht's eigentlich gar nicht. Und dann sitzt er mit dem Layouter Roy Grabowski vor dem Monitor und sagt einen Satz, von dem er nie gedacht hätte, dass er ihn einmal sagen würde: „Mach mir doch mal die Dagmar groß.“ Die Dagmar. Zwanzig Jahre Super-Illu in einem Wort. Für viele, selbst in der eigenen Redaktion, ist es ein Wort des Grauens. Zwanzig Jahre spielte DDR-Schlagersängerin Dagmar Frederic das Maskottchen der Super-Illu, ungezählt sind ihre Titelbilder. Nun, da es eine neue Entwicklung im Erbschaftsstreit gibt, in den sie verwickelt ist, müsse man sie noch mal groß machen, findet Schneider. Grabowski stöhnt: Er dachte, das hätten sie hinter sich.

„Das ist mein erster Frederic-Titel, seit ich hier bin“, verteidigt sich Schneider. „Sie hat mir aber auch nicht gefehlt.“ Er schnellt mit dem Bürostuhl zurück, überrollt dabei fast Dolly, den Chihuahua-Mischling seiner Freundin Leyla Piedayesh, auf den er aufpasst, weil Frauchen zu einer Modenschau nach Paris geflogen ist. In der Mittagspause bringt er deren Tochter zum Kindergeburtstag. Iranische Freundin, Patchworkfamilie, Paris - das klingt nicht nach dem Fluidum der guten alten Suppen-Illu, wie das Blatt mitunter genannt wird.

Warten aufs Konzept

Als Schneider im April 2011 die Redaktion der Super-Illu übernahm, war er ein Versprechen auf die Zukunft, und das ist er geblieben. Das Blattmachen beim Boulevard hat er im Springer-Verlag gelernt, wo er zuletzt als Stellvertretender Chefredakteur für die Bild am Sonntag arbeitete. Seine Mitarbeiter sagen, er sei lockerer als sein Vorgänger Jochen Wolff, aber auch chaotischer. Entscheidungen treffe er oft aus dem Bauch heraus. Doch Spontaneität, so komisch das klingt, mögen Journalisten nicht gern.

Am liebsten haben sie Konzepte. Und auf das Konzept, wie es mit der Super-Illu weitergehen soll, warten sie noch immer. Schneider hat am Layout gewerkelt, Schriften verändert, Rubriken eingeführt, den Politikteil aktualisiert. Er wird aber die Frage beantworten müssen, wie zeitgemäß eine Illustrierte ist, die sich exklusiv den Ostdeutschen verpflichtet fühlt, da längst eine Generation herangewachsen ist, die sich nicht mehr so einfach nach Ost und West unterscheiden lässt. Seine Generation. Schneider war dreizehn, als die Mauer fiel.

„Mit 2,9 Millionen Lesern ist die Super-Illu die meistgelesene Zeitschrift in Ostdeutschland.“ Wie ein Mantra wird dieser Satz in jeder Ausgabe wiederholt. Die Leser sind das eine, die verkaufte Auflage ist das andere. Die geht dramatisch zurück, allein in den letzten fünf Jahren um ein Viertel. Derzeit beträgt sie circa 337000 Exemplare. In den Anfangsjahren waren es fast dreimal so viel. Andere verlieren auch, aber die Super-Illu, die seit 1990 im Burda-Verlag erscheint, hat ein spezielles Problem: Was wird aus der Zeitschrift, die die Ostdeutschen praktisch erfunden hat, wenn es keine Ostdeutschen mehr gibt? Das kann Robert Schneider auf die Schnelle auch nicht sagen. Jedenfalls will er nicht der Mann von morgen sein, der die Zeitung von gestern macht.

Er hat schon Ideen, die Super-Illu zu modernisieren. „Nach 25 Jahren ist es klar, dass wir die Leute nicht mehr allein mit Erwin Geschonneck und Dagmar Frederic unterhalten können“, sagt er. „Wir müssen nicht dauernd erzählen, wie es früher war. Genauso interessant ist, was heute passiert. Es gibt großartige Leute, die aus unserer Region kommen und tolle Sachen machen.“

Als „Hort der Erinnerung und Reflexion“ schwebt ihm die Super-Illu vor, „als Debattenplattform“. Und wenn er aufwacht aus seinem Traum, sieht er die Volksmusikanten Marianne und Michael auf dem Titelbild. Dazu muss man wissen, dass Schneider während seiner Schulzeit Sänger einer Band war, sie haben Britpop gespielt, Oasis, die Charlatans. Bevor er bei der Super-Illu angefangen hat, kannte er nicht einmal Frank Schöbel.

Bevor er bei der Super-Illu angefangen hat, kannte er ja nicht einmal die Super-Illu. Und so muss sich Robert Schneider nun Gedanken darüber machen, warum eigentlich jemand wie er seine eigene Zeitschrift lesen sollte. Einerseits ist das zum Verrücktwerden, andererseits interessant. Er habe in drei Jahren Super-Illu mehr über sich und das Land, aus dem er kommt, erfahren als in den drei Jahrzehnten zuvor, sagt Schneider.

Auf der nächsten Seite: Ostdeutsche ticken anders, lautet verkürzt das Fazit von Maaz. Die äußerliche Transformation zum Westdeutschen, wenn man es so nennen wolle, sei vor allem bei Jüngeren vollzogen.

Geboren wurde er 1976 in Leipzig, seine ersten Lebensjahre war er in Magdeborn zu Hause, einem südlich der Stadt gelegenen Dorf, das bald für die Braunkohle weggebaggert wurde. „Als ich vier war, sind viele Leute nach Leipzig ins Neubaugebiet gezogen. Meine Eltern haben ein kleines Grundstück in Wachau gekauft, einem Dorf in der Nähe, und dort über drei Jahre mit Freunden Stein auf Stein ein Haus gebaut.“ Sein Vater hatte Maurer mit Abitur gelernt, seine Mutter ist Kindergärtnerin. Mit dem Wartburg sei die Familie fast jedes Jahr ins Ausland gefahren. Tschechien, Ungarn, Polen, einmal über Rumänien bis Bulgarien. Das Ersparte investierten Schneiders in Urlaub, dafür hatten sie bis 1988 keinen Fernseher.

Mit 16 ist er bei den Eltern ausgezogen, hat Abitur gemacht, wenn auch kein besonders gutes. Journalist wollte er werden, weil er schon als Kind gerne Zeitung las, sagt er. Seine damalige Freundin war zu der Zeit Volontärin bei der Bild-Zeitung in Leipzig, seltsamerweise, wie er heute findet. Eigentlich fühlten sie sich eher in der alternativen Szene wohl. „Zur Bild-Zeitung bin ich gegangen, nicht weil es die Bild-Zeitung war, sondern um mit meiner Freundin zusammen zu sein. Mit ihr war relativ schnell Schluss, aber der Job hat mir Spaß gemacht.“ Zum Studieren ist er nicht gekommen. Kollegen wie Kai Diekmann und Franz Josef Wagner zeigten ihm, wie's geht. „Ich war immer so eine Art Chefredakteurslehrling.“

In den 25 Jahren seit dem Mauerfall hat er 20 Jahre als Journalist gearbeitet, war zweimal verheiratet, wurde zweimal geschieden, hat einen siebenjährigen Sohn, ist allein in Berlin achtmal umgezogen. Als Robert Schneider von den Leipziger Tagen erzählt, fällt er ab und zu ins schönste Sächsisch. Er sagt, das passiere ihm nur, wenn er mit Ostdeutschen zu tun habe. „Ich lasse mich dann eher fallen, bin nicht so kontrolliert.“ Es sieht so aus, als sei das mit den verschwindenden Identitäten doch nicht so einfach. Vielleicht sitzt der Ossi-Code, von dem er spricht, wenn er an seine Leser denkt, auch bei ihm tiefer.

Jemand, der sich mit Ostdeutschen so gut auskennt wie kaum ein anderer, ist der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz aus Halle. In seinem Buch „Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR“ untersucht er, welchen Einfluss familiäre Beziehungen und staatliche Strukturen auf die Entwicklungspsychologie der Menschen in der DDR hatten. Erschienen ist es 1990, im selben Jahr wie die erste Super-Illu. Wenn sie sich auch von zwei sehr verschiedenen Seiten der ostdeutschen Seele widmen, kommen sie doch zu überraschend ähnlichen Befunden.

Hans-Joachim Maaz sagt, dass er nur zur Super-Illu greife, wenn sie zufällig irgendwo liege. Aber ihm imponiere deren Idee. Er nennt das nicht Ostalgie, sondern Rückbesinnung. „Dass es dort ein Bemühen gibt, den Alltag in der DDR zu würdigen, hat für mich einen therapeutischen Wert.“ Ostdeutsche ticken anders, lautet verkürzt das Fazit von Maaz. Die äußerliche Transformation zum Westdeutschen, wenn man es so nennen wolle, sei vor allem bei Jüngeren vollzogen. In Ausbildung und Chancen gebe es keine Unterschiede mehr. „Aber sie merken, dass sie von ihren ostdeutschen Eltern etwas mitbekommen haben, das sie in die westlich geprägte Welt einbringen können.“ Er denke an Werte wie Bescheidenheit, soziale Auskömmlichkeit, die Fähigkeit, Schwächen einzugestehen. Seine Hoffnung ist, dass sich diese in folgenden Generationen mit westlicher Durchsetzungskraft verbinden und dem Willen, Verantwortung zu übernehmen.

Bei Jochen Wolff, der die Super-Illu einst miterfunden hat, klingt das so: „Die jüngere Generation hat eine dünne Schale. Wenn du da dran klopfst, kommt sofort wieder der Osten zum Vorschein. Es ist inzwischen ein gewisser Stolz auf die Heritage Ost da.“ Eine kleine Galerie in der Redaktion zeigt Fotografien mit Prominenten. Auf einem Dutzend ist Jochen Wolff mit Politikern zu sehen. Für sie ist die Zeitschrift der Draht in den Osten. Vor ein paar Wochen wurde das Blatt sogar im Plenum des Bundestags erwähnt. Bei der Aussprache zum Stand der deutschen Einheit sagte Roland Claus (Linke): „Ich habe natürlich keinen Grund, hier Werbung für die Super-Illu zu machen, aber sie wird deshalb im Osten gelesen, weil sich die Leute dort mit ihrem Lebensgefühl wiederfinden.“ Darauf rief ein CDU-Mann: „Sehr gute Zeitung, Herr Claus!“ Schneider konnte sein Glück kaum fassen und hat das ganze Redeprotokoll abgedruckt.

Der schüchterne Ossi-Blick

Bei der Frederic-Ausgabe haben sie sich inzwischen weiter ins Heft vorgearbeitet. Robert Schneider sitzt die ganze Zeit mit dem Grafiker zusammen. Es gibt fast keine der 85 Seiten, die er nicht persönlich betreut. Die Fotos zu einem Interview mit dem Schauspieler Thomas Kretschmann lässt er komplett auswechseln. Sie sind ihm alle zu männlich. „Komm, nimm das“, sagt er zu Grabowski. „Das ist so ein schüchterner Ossi-Blick.“ Grabowski, selbst Ostler, weiß nicht, was das sein soll, ein schüchterner Ossi-Blick. Aber wenn der Chef will.

Jetzt gibt es nur noch ein akutes Problem, den Hals von Dagmar Frederic. „Soll ich Daggi glätten“, fragt die Bildbearbeiterin. „Früher musste ich sie glattziehen wie Sau.“ Der Chefredakteur sagt, er wolle so natürlich wie nur möglich bleiben. Bei der Super-Illu sind neue Zeiten angebrochen. (mz)