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Kremlflieger Kremlflieger: Vor 25 Jahren landete Mathias Rust auf Rotem Platz

Von Steffen Könau 25.05.2012, 17:55

Halle (Saale)/MZ. - Über die Frage der Sicherheit hatte sich Mathias Rust große Gedanken gemacht. Was wäre, wenn die Sowjetunion seine lauteren Absichten missverstünde? Und ihn trotz der am Leitwerk seiner Cessna aufgeklebten Friedenssymbole abschießen ließe? Rust, 19 Jahre alt, im schleswig-holsteinischen Wedel geboren und an jenem 28. Mai vor 25 Jahren gerade unterwegs, um den Mächtigen der Welt mitzuteilen, dass es höchste Zeit sei, Krieg und Hader aus dem Leben der Menschen zu verbannen, greift neben sich. Und setzt kurz vorm Überfliegen der sowjetischen Grenze einen Motorradhelm auf.

Viel weiter hat der junge Mann, der Stunden später in die Geschichte eingehen wird, nicht gedacht. Mathias Rust glaubt sich auf einer Mission. Seit er ein Jahr zuvor enttäuscht miterleben musste, wie US-Präsident Ronald Reagan und der Sowjet-Chef Michael Gorbatschow bei einem Treffen auf Island aneinander vorbeiredeten, bis alles Reden nichts mehr half, hatte der Hobbyflieger überlegt, wie er dem Abrüstungsprozess wieder auf die Beine helfen könnte.

Rust plant kurzentschlossen um. Statt auf einen Europarundflug zu gehen, für den er lange gespart hat, besorgt er sich Karten für die Route nach Moskau. Die Kraft für das Wagnis, in den hermetisch abgeriegelten sowjetischen Luftraum einzudringen, holt er sich vorher bei einem Abstecher in genau jenes Reykjavik, das seine Friedenshoffnungen so bitter enttäuscht hat.

Es ist ein Abenteuer, ausbaldowert mit eben so viel Naivität wie Chuzpe. Mathias Rust weiß, was er will, und er weiß, wie er es bekommt: Nach dem Abflug aus Helsinki verschwindet er vom Radarschirm der Norweger. Statt wie angekündigt nach Stockholm fliegt er quer über den finnischen Meerbusen Richtung Peipussee.

Natürlich entgeht das kleine Flugzeug, auf das Rust vor dem Start noch seine selbstausgedachten Friedenssymbole geklebt hat, der sowjetischen Luftabwehr nicht. Doch nur einmal begleitet ihn ganz kurz eine Eskorte. Dann fliegt Rust wieder ganz allein Richtung Moskau. Kurz vor 18 Uhr sieht er die Stadt, eine halbe Stunde kreist er nun, weil er den Roten Platz nicht entdecken kann. Dann hat er ihn endlich, allerdings stellt sich beim ersten Anflug heraus, dass die Menschen unten nicht verstehen, dass sie ihm eine Gasse zum Landen freimachen sollen. "Nachdem ich dreimal in zehn Metern Höhe über den Platz geflogen bin, dachte ich, das Risiko ist zu groß", erinnert sich Rust. Kurzentschlossen visiert er die nahe Moskworezkij-Brücke an. Dort landet er exakt um 18.43 Uhr und lässt das Flugzeug dann zum Roten Platz rollen. "Auf den Platz selbst konnte ich nicht, weil da Ketten gespannt waren."

Dicht dabei ist in diesem Falle aber wie mittendrin. Das größte Land der Welt ist von dem kleinen Flieger wie im Herzen getroffen. Ganz freundlich wird Rust bestaunt, er muss Hände schütteln, schreibt Autogramme, bekommt ein Brot überreicht. Erst nach einer Stunde taucht ein Offizieller auf, der seinen Pass sehen will. Dann kommen Soldaten und Absperrgitter, Geheimdienstleute kontrollieren sein Gepäck und fordern ihn auf, mitzukommen. Mathias Rust weiß es noch nicht, aber sein Vorhaben ist zu diesem Zeitpunkt bereits gescheitert. So nahe wie in seiner ersten Stunde in der Sowjetunion wird er den einfachen Sowjetmenschen nie mehr kommen.

Doch Rust ist im Begriff, die Weltgeschichte anzuschieben auch ohne es zu merken. Denn hinter den Kulissen brodelt es. Michael Gorbatschow, der zwei Jahre zuvor angetreten ist, die verknöcherte Gesellschaft der UdSSR zu reformieren, erkennt im unerhörten Eindringen des jungen Deutschen in den Luftraum über der Sowjetunion die Gelegenheit, gegen die alles Neuen bekämpfende Armeeführung vorzugehen. Schon zwei Tage nach Rusts Landung zwingt Gorbatschow Verteidigungsminister Sokolow zum Rücktritt. In der Folge müssen weitere 150 hohe Militärs gehen - der größte derartige Aderlass, den die Sowjetarmee seit Stalins Säuberungskampagnen hat hinnehmen müssen. Rust hilft Gorbatschow, die Hardliner loszuwerden, gegen deren Macht er zuvor nicht offen ankämpfen konnte. Erst der Flug des Deutschen liefert ihm die Handhabe. Der Deutsche ist es aber auch, der den Preis dafür bezahlt: 432 Tage sitzt Rust in Haft, weil Gorbatschow den "Fall von Rowdytum" ernst nehmen muss, um ernste Konsequenzen im eigenen Lager ziehen zu können.

Als Rust freigelassen wird, sagt er selbst "ich kam als Kind und gehe als Erwachsener". Daheim in Deutschland wartet eine gierige Medienmaschine, die den gerade 20-Jährigen einsaugt und beschädigt ausspuckt. Nach einem tätlichen Angriff auf eine Kollegin verurteilt ihn ein Gericht zu zwei Jahren Haft. Nach seiner Entlassung taucht Mathias Rust in die Anonymität ab. Heute arbeitet der Kremlflieger als Finanzanalyst für eine Schweizer Firma.

Ed Stuhler liest am 3. Juni ab 19 Uhr in der Moritzbastei Leipzig aus seinem Rust-Buch "Der Kreml-Flieger"