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Ernährung Ernährung: Die Turbo-Gänse

Von Stephan börnecke 22.12.2011, 18:33
Gänse sind Weidetiere. Doch ein Großteil des hierzulande verkauften Federviehs kennt Wiesen allenfalls aus der Ferne. (FOTO: ZB)
Gänse sind Weidetiere. Doch ein Großteil des hierzulande verkauften Federviehs kennt Wiesen allenfalls aus der Ferne. (FOTO: ZB) dpa-Zentralbild

Berlin/MZ. - Nun duftet sie wieder, knusprig braun, glänzend im eigenen Saft, mit Äpfeln, Kartoffeln oder Maisbrot gefüllt: die Weihnachtsgans. Sechs, sieben Kilo brachte sie im Supermarkt auf die Waage. Ein Festmahl.

Doch wo kommt die Gans her? Wie hat sie gelebt? Die Antwort will ganz und gar nicht munden: Denn den meisten Gänsen ging in es ihrem kurzen Leben eher mies. Dabei hätte der Vogel das Zeug zum klimaschonenden Braten. Denn Gänse sind wie sonst nur die Wiederkäuer auch Grasfresser und können auf der Weide gehalten werden. In diesem Fall drohte das Tier nicht als Stopfgans missbraucht zu werden - was in Frankreich, vor allem aber in Ungarn, noch gang und gäbe ist. Und gerade aus diesen Ländern kommen viele unserer Supermarktgänse her.

Bei der Stopfgans wird die Fähigkeit des Wasservogels ausgenutzt, viel fressen zu können und die Kalorien als Fett in den Leberzellen zu lagern - um sie bei Bedarf abzurufen. Für wilde Gänse, die großteils Zugvögel sind, ist diese Fähigkeit überlebenswichtig. Bei der Mast aber handelt es sich dabei eher um Tierquälerei.

Damit beginnt das Problem für den Verbraucher: Denn während das Stopfen von Gänsen in Deutschland verboten ist, landen Stopfgänse und Stopfenten dennoch im Handel - und damit auf unserem Teller. Man sieht den Tieren in der Regel ihre Vergangenheit nicht an. Und ob es der Händler so genau weiß?

Auch auf den zweiten Blick verspielt die Gans ihr Potenzial zum klimaneutralen Braten. Denn egal, ob in der nur zehn Wochen dauernden Kurzmast oder der in Deutschland meist üblichen 16-Wochen-Mast, oder gar in einer mit viel Weidegang kombinierten, bis zu 32 Wochen dauernden Langmast: Eine konventionelle Gans frisst in ihrem Leben ziemlich viel Kraftfutter. Allein in den vier bis acht Wochen Endmast bekommt so eine Gans bis zu 8,5 Kilo Powerfutter: Das besteht zu 55 Prozent aus Weizen und neben Pflanzenöl, Rapskuchen, Mais und Mineralien auch zu 15 Prozent aus Sojaextraktionsschrot. So wird aus dem Weidegeflügel ein Nahrungskonkurrent der Menschen. Soja stammt fast immer aus Übersee, und das ist, sofern es nicht aus besonderen, meist brasilianischen Quellen stammt, gentechnisch verändert. Das sollte der Kunde wissen, bevor er seinen Braten ansetzt.

Auch aus Klimaschutzgründen sind Bedenken beim Verzehr der Weihnachtsgans schon einmal angebracht. Denn der zunehmende Sojaanbau geht einher mit dem Raubbau am Regenwald. Wird der für den Sojaanbau abgeholzt, geht massenweise Kohlenstoff in die Luft. Weil deutsche Bauern aber kaum eigenes Eiweißfutter anbauen, hat die Fleischwirtschaft diese Flächen nach Übersee ausgelagert: Auf 2,9 Millionen Hektar beziffert Germanwatch die "virtuelle", über den Ozean ausgelagerte Anbaufläche allein für Deutschland, für die gesamte EU werden 20 Millionen Hektar geschätzt - mehr als die Bundesrepublik an Agrarland besitzt. "Allein in Brasilien sind bis 2007 für den Sojaanbau 21 Millionen Hektar Regenwald geopfert worden", so der Europaabgeordnete der Grünen, Martin Häusling, in der Studie "Artenvielfalt statt Sojawahn".

Zugegeben, Soja ist ein Eiweißprotz, und Proteine sind in der Tiernahrung notwendig. Doch Eiweiß kann man auch aus heimischen Bohnen oder Erbsen gewinnen, und in der Ökomast der Gänse wird das auch so gemacht, so wie einst beim Gänseliesel. Da bekommen die Tiere heimisches Biofutter.

Es kommt also bei der Gans sehr auf die Haltungsform an: Grast sie überwiegend auf der Weide, ist ihr Anteil am Treibhauseffekt geringer. Wird sie im Stall mit viel Weizen, Mais und Soja gemästet, hat die Gans das Zeug zum Klimakiller.