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Sankt Andreasberg Sankt Andreasberg: Ein Museum für Kanarienvögel

Von Horst Heinz Grimm 22.06.2004, 11:08
Ein Königreich für einen Piepmatz. (Foto: dpa)
Ein Königreich für einen Piepmatz. (Foto: dpa) Kurverwaltung Sankt Andreasberg

Sankt Andreasberg/dpa. - Ein ungewöhnliches Museum gibt es im historischen Bergbaustädtchen Sankt Andreasberg im Harz. Lauter Gesang aus zahlreichen Vogelkehlen empfängt die Besucher in einem hölzernen Wohngebäude der früheren Silbergrube «Samson».

Jochen Klähn löst mit Stolz das Rätsel: «Diese Einrichtung ist dem Kanarienvogel und seiner Geschichte gewidmet.» Klähn ist Gründer und Direktor des Hauses, das nicht zufällig im norddeutschen Mittelgebirge zu finden ist. Der so genannte Harzer Roller, gefragt wegen seines besonders wohlklingenden Gesanges, wurde hier gezüchtet.

Der Kanarienvogel stammt, wie schon der Name sagt, ursprünglich von den Kanarischen Inseln, wo spanische Mönche schon am Ende des 15. Jahrhunderts seine Vorzüge als zutraulicher Sänger erkannten. Irgendwie kam er dann nach Zentraleuropa. In Tirol fanden Bergleute später Gefallen an der Finkenart. Als sie die Tiere in den Stollen als Gesellschaft mitnahmen, merkten sie schnell, wie früh diese bei geringsten Spuren von Gasen warnten. «Kanarienvögel reagieren 16 Mal empfindlicher auf Kohlendioxid als die Menschen. Sie werden unruhig und fangen an zu schmatzen», beschreibt Klähn die Signale dieser «gefiederten Alarmanlagen».

«Die Tiroler Bergleute kamen etwa 1730 nach Sankt Andreasberg, um hier in den Bergwerken zu arbeiten», erzählt Klähn. Die Grube «Samson», bis 1910 in Betrieb, war damals die größte und weltweit tiefste Anlage. Ihre singenden Hausgenossen brachten die Tiroler mit. Wegen der Nachfrage unter den Kumpeln wurde mit der Zucht begonnen.

Ein Großhändler namens Reiche exportierte die Vögel 1882/83 in alle Welt: beispielsweise 120 000 Kanarienvögel nach New York. Transportiert wurden sie in jeweils eigenen kleinen Käfigen. 210 wurden zu einem hölzernen Traggestell, dem Reef, gestapelt.

«Viele Familien hier ernährten sich teilweise vom Bau der kleinen Käfige in Heimarbeit», sagt Klähn. «Das Material - es waren genau 66 Einzelteile - lieferten Tischlereien.» In dem Museum kann man eine solche Werkstatt sehen. Auch jede Menge Käfige sind ausgestellt. All die Schaustücke hat der Museumsleiter selbst zusammengetragen oder durch Überlassungen erhalten. Und er sucht noch weiter, zum Beispiel nach einem Wiederbelebungsgerät für Minenvögel, wie es in Südafrika von Tierfreunden entwickelt wurde.

Klähn, selbst Harzer-Roller-Züchter, konnte 2001 seine Schau eröffnen. «Wir zählen etwa 48 000 Besucher pro Jahr», sagt er und öffnet die Tür zu einem weiteren Raum, in dem etwa zwei Dutzend Käfige stehen. Die Vögel beäugen neugierig die Ankömmlinge. Wie ein Fremdkörper steht ein Grammophon auf einem Hocker mitten im Raum. Der Museumsleiter zieht es per Handkurbel auf und legt den Abspielarm mit der Nadel auf die Schellackplatte. «Stammt aus dem Jahr 1908», murmelt er. Es erklingt ein vor mehr als 90 Jahren aufgenommenes Kanarienlied. «Für die Käfigvögel ist das eine Anregung zum Singen. Geeignet sind nur die Hähnchen, bei den Weibchen fällt der Gesang eher eintönig aus.»

Der Züchter, der den Kanarienvögeln diesen Gesang beibrachte, hieß Wilhelm Trute (1836 - 1889) und stammte aus Sankt Andreasberg. Ein erst 1999 auf Initiative von Züchtern errichtetes Denkmal erinnert an ihn. Längst ist das Harzstädtchen das «ideologische Zentrum» der weltweiten Züchtergemeinde.

Der Besuch im Kanarienvogel-Museum führt auch in die Geschichte der Jahrhunderte langen Bergbautradition dieses Ortes, der 1487 erstmals erwähnt wurde. Die Grube «Samson» ging 1521 in Betrieb, die Förderung lief bis 1910. Klähns Vater richtete hier nach dem Zweiten Weltkrieg das Schaubergwerk ein. Seit 25 Jahren leitet es der Sohn - und erweiterte es um die Gedächtnisstätte für die Vögel, die zur Lebensversicherung für Bergleute wurden.