1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Reinhard Heß: Reinhard Heß: Der Streichler und Antreiber

Reinhard Heß Reinhard Heß: Der Streichler und Antreiber

Von Rüdiger Fritz 19.02.2002, 15:19
Skisprung-Bundestrainer Reinhard Heß
Skisprung-Bundestrainer Reinhard Heß dpa

Salt Lake City/MZ. - Solche Tage sind eigentlich nichts mehr für ihn. Das Herzinfarkt-Duell mit den Finnen und dem deutschen Olympiasieg mit dem hauchdünnen Vorsprung von 0,1 Punktenwaren für Skisprung-Bundestrainer Reinhard Heß zu viel der Aufregung. "Ich weiß nicht, ob ich so einen Wettbewerb noch mal durchstehe", kamen aus seinem Munde nur knappe Worte, während sich seine Goldjungen im Auslauf der Schanze wie Kinder im Schnee kugelten. Mit Tränen in den Augen entzog er sich den Fernsehkameras und Reporterfragen. "Lasst mich einen Tag in Ruhe. Den brauche ich, um das alles zuverdauen."

Der Chef ging leise von dannen. Ein Fingerzeig, dass es der 56-Jährige ernst meint, nicht mehr ewig auf der Kommandobrücke zu stehen? Dem deutschen Fernsehpublikum, aber noch viel mehr seinen Athleten, würde etwas fehlen.Kaum ein deutsches Trainergesicht mit Ausnahme der Coachs aus der Fußball-Bundesliga ist auf dem Bildschirm so präsent wie das des Thüringers aus Suhl. Dabei sieht sich nicht als einen Mann der Öffentlichkeit. Es liegt ihm im Grunde seines Wesens fern, andere zu unterhalten. Aber er tut es auf seine Art. Schrilles Selbstdarstellung wäre ihm dabei allemal zuwider.

Wenn er an der Schanze im Blickkontakt zu seinem Springer hoch oben an der Absprungluke die deutsche Fahne in seiner Hand mit energischem, etwas ungelenk auschauendem Schwung nach unten reißt, dann ist das für den Zuschauer eine x-mal erlebte Geste. Sein markantes Gesicht spricht Bände. Vielleicht verzichtet er deshalb auf zu viele Worte. Ein zurückhaltende Lächeln oder eine grimmige Miene können manchmal mehr aussagen.

Der freundliche Trainer vermag sich durchaus in einen wilden Elefanten zu wandeln, der das Porzellan zertritt. Zu spaßen ist mit Reinhard Heß nicht, spürt er Gefahren fürseine Athleten. Da verbrennt er sich auch gern mal den Mund bei den Funktionären, wenn sie mit zu langen Anläufen oder Wettbewerben bei zu starkem Wind auf Kosten spektakulärerSprünge die Grenze zu gesundheitlichen Risiken übergehen. "Ich will meine Athleten heil nach Hause bringen", lautet eine seiner gebräuchlichen Formulierungen. Überhaupt, er besitzt ein Repertoire von Sprüchen, das er gerne anbringt.

Einer lautet: "Wir wollen auf der Wurstsuppe schwimmen." Fast wären die deutschen Springer als verhöhnte "Suppenhühner" darin gelandet, so miserabel war die Ausgangslage, als Heß 1993 das deutsche Nationalteam übernahm. Jens Weißflog sprang damals um Längen hinterher.Dieter Thoma war in jenem Jahr von dem Vorgänger von Heß bei der Weltmeisterschaft in Falun wegen ständiger Querelen nach Hause geschickt worden. Der neue Trainer glaubte an die schlummernden Fähigkeiten von Weißflog, die es nur zu wecken galt, nahm den hitzigen Thoma behutsam ins Gebet und holte in zurück ins Nationalteam. Der Mannschafts-Olympiasieg 1994 in Lillehammer mit den beiden Routiniers, eine Einzel-Goldmedaille für Weißflog und auch ein Silberplatz für Thoma schufen die Grundlage dafür, dass Heßzu einer Trainer-Legende wurde. Gern hört er das nicht, "weil nicht ich es bin, der die Kastanien aus dem Feuer holt".

Bitte lesen Sie hier weiter