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Leichtathletik Leichtathletik: Uhr ging wie eine Eins

Von Ralf Jarkowski und Wolfgang Jung 25.07.2008, 15:10
Die tschechische Läuferin Jarmila Kratochvilova läuft in München mit 1:53,28 Minuten einen Weltrekord über 800 Meter (Archivfoto vom 26.07.1983). Am kommenden Samstag feiert der älteste offizielle Leichtathletik-Weltrekord, aufgestellt von der Tschechin Jarmila Kratochvilova, sein 25 jähriges Jubiläum. (Foto: dpa)
Die tschechische Läuferin Jarmila Kratochvilova läuft in München mit 1:53,28 Minuten einen Weltrekord über 800 Meter (Archivfoto vom 26.07.1983). Am kommenden Samstag feiert der älteste offizielle Leichtathletik-Weltrekord, aufgestellt von der Tschechin Jarmila Kratochvilova, sein 25 jähriges Jubiläum. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - «Noch fünf Meter vor der Ziellinie war ich sicher: DieUhr muss kaputt sein», erinnert sich Jarmila Kratochvilova an jenenlauen Münchner Sommerabend des 26. Juli 1983. Und natürlich an die«heiße» Zeit: 1:53,28 Minuten. Weltrekord! Noch nie hat eine Frau diezwei Stadionrunden schneller abgespult. 25 Jahre schon beißt sich dieKonkurrenz an der Fabelzeit der stämmigen Tschechin die Zähne aus -vergeblich. Der älteste offizielle Leichtathletik-Weltrekord hat am(kommenden) Samstag das erste Vierteljahrhundert überlebt.

«Als ich den Rekord vor 25 Jahren erzielte, hatte ich keine Idee,dass er so lange halten würde», sagte Kratochvilova der DeutschenPresse-Agentur dpa. «Die Zeit fliegt vorbei. Ich habe gelernt, mitdem Rekord zu leben.» Nicht nur ihre acht chancenlosenKonkurrentinnen laufen im Olympiastadion mit - den Dopingverdacht istdie damals 32-Jährige bis heute niemals losgeworden. Wer wie«Krachi», wie Kratochvilova in Athletenkreisen einst genannt wurde,als 400-Meter-Spezialistin bereits im dritten 800-Meter-RennenWeltrekord rennt, der muss sich Fragen gefallen lassen.

«Ihr Körper war pure Provokation», schreibt das Magazin «SPORTS»im September 1993 über die neben Marita Koch überragende 400-Meter-Läuferin der 80er Jahre. «Kann eine Frau solche Muskeln haben?» DieAntwort lässt nicht lange auf sich warten: «Ja, wenn sie so harttrainiert wie ich.» Heute sagt Jarmila Kratochvilova: «Wenn jemandder Beste in der Welt ist, tauchen solche Spekulationen auf. Speziellim Sport, wenn dort etwas für 25 Jahre besteht. Mein Trainer und ichkennen die geleistete Arbeit am besten, die 16 Jahre Training, diedahinter standen.»

Die Arbeit hat sich gelohnt, denn bis auf Olympia-Gold hat dieheute 57-Jährige (fast) alles gewonnen: Gleich bei der WM-Premiere1983 in Helsinki erkämpft Kratochvilova Doppel-Gold über 400 und 800Meter. In 47,99 bleibt sie als erste Frau über 400 Meter unter 48Sekunden. Diesen Weltrekord nimmt ihr ihre Dauerrivalin Marita Koch,mit der sie gern einmal privat zusammensitzen und plaudern würde, 26Monate später wieder ab (47,60).

«Meine Ergebnisse habe ich durch langjährige systematische harteArbeit erreicht», hatte sie einmal der tschechischen Zeitung «Mladafronta Dnes» gesagt. Und: «Kein Funktionär hat mich jemals gezwungen,unerlaubte Mittel zu nehmen.» Ihr Trainer und Entdecker Miroslav Kvachat das Erfolgsgeheimnis des Duos längst verraten: «Sie nahm nurerlaubte Mittel, aber die wirkten wie Anabolika.» ObwohlKratochvilova ihre Karriere erst 1987, nach dem enttäuschendenfünften WM-Platz über 800 Meter, mit 36 Jahren beendet, ist sie heutegesund - «bis auf die üblichen Beschwerden des Alters».

Das ist eigentlich ein Wunder, wenn man ihrem Coach zuhört. «Wirmachten unglaublich viel Krafttraining. In jedem Training hob sieinsgesamt 16 Tonnen. Jeden Vormittag lief sie 18 Mal 300 Meter»,berichtet Kvac, dem auch unorthodoxe Trainingsmethoden nicht fremdwaren: «Sie lief durch ein Becken mit knöchelhohem Wasser oder mitmilitärischer ABC-Schutzmaske und Zehn-Kilo-Bleiweste.»

Heute wohnt Jarmila Kratochvilova in ihrem böhmischen GeburtsortGolcova Jenikova südöstlich von Prag; bei der schweren Arbeit auf demBauernhof ihrer Eltern hatte sie sich einst Kraft und Kondition fürdie spätere Sportkarriere geholt. Nach der aktiven Laufbahn wird sieTrainerin und betreut unter anderen die tschechische 800-Meter-Weltmeisterin von 1999, Ludmila Formanova.

10 000 Kronen gibt es für den Weltrekord - im Prag des Jahres 1983hätte sich Kratochvilova dafür einen Farbfernseher kaufen können. Undin den nächsten Jahren sah sie, dass keine ihrer Nach-Läuferinnenauch nur in die Nähe der 1:53,28 Minuten kommen. Der Russin NadeschdaOlisarenko (1:53,43) hat sie den Weltrekord abgenommen, danach kommtihr die Kubanerin Ana Fidelia Quirot (1:54,44 ) noch am nächsten,auch die große Maria Mutola (Mosambik/1:55,19) kriegt sie nie ein.Kratochvilova glaubt nicht, dass ihr Uralt-Weltrekord wackelt: «Dieheutigen Athleten bestreiten einen Wettkampf nach dem anderen,während ich vor allem trainiert habe.» Und dann fügt sie an: «DerSinn eines Rekordes ist, übertroffen zu werden. Aber ich habe einangenehmes Gefühl im Herzen, wenn niemand dies schafft.»