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Musterschüler RB Leipzig RB Leipzig und die stärkste Hinrunde eines Aufsteigers in der Bundesliga-Geschichte

Von Ullrich Kroemer und Martin Henkel 28.12.2016, 17:00

Leipzig - Die Rasanz, mit der sich Rasenballsport Leipzig in den vier Monaten seit Saisonbeginn entwickelte, beeindruckte selbst den obersten Fußballlehrer des Klubs. Ralph Hasenhüttl ließ keine Gelegenheit aus, die außergewöhnliche Lernbereitschaft- und –fähigkeit seines Teams zu erwähnen. Die Hinrunde in 17 Unterrichtseinheiten.

Lektion 1: Pokalduelle in Dresden haben ihre eigenen Gesetze oder: Cleverness lernen

Zu jeder guten Erfolgsgeschichte gehört auch ein dramatischer Start: das Aus im DFB-Pokal im Prestigeduell bei Dynamo Dresden. Am Tag nach der Pleite tagte der Krisenstab am Leipziger Cottaweg. Doch einer blieb cool: Trainer Ralph Hasenhüttl. Der Österreicher sagte der nach der Niederlage im ersten Pflichtspiel seiner Amtszeit bei RBL: „Wenn wir unser Spiel mal nicht so durchziehen können, muss man sich halt zusammenrotten und Plan B verfolgen. Diese Cleverness, das auch zu erkennen und umzuschalten, daran werden wir arbeiten. Und: „Es muss auch mal reichen, eine Führung zu verwalten und den Rhythmus des Gegners anders zu brechen. Das wird uns sicher in Zukunft besser gelingen, das kann ich versprechen.”

Lektion 2: Laufen lernen und Rückstände aufholen in Sinsheim

Das 2:2 bei der TSG Hoffenheim zu RB Leipzigs Premierenball in Liga eins war ein wildes Spiel. Dass sich RB gleich zweimal gegen Rückstände wehrte, nährte dem Glauben des Teams, dass es in der ersten Liga konkurrenzfähig ist. Nach der ungeordneten Startphase sorgte der Neuling mit viel Offensivdrang und Sabitzers Last-Minute-Ausgleich für ein Erfolgserlebnis zum Auftakt. „Wir haben uns schnell an das höhere Niveau gewöhnt. Die Truppe hat sehr schnell gelernt, was geht und was nicht“, lobte Hasenhüttl.

Lektion 3: Einen Riesen bezwingen – Nichts ist unmöglich

Wenn Spieler und Trainer über die schier unglaublich Hinrunde sprachen, fiel der Triumph gegen den BVB am häufigsten. Das späte 1:0 in der Schlussphase durch Naby Keita brachte den Rasenballsportlern die Überzeugung, dass sie mit Teamgeist und Spielphilosophie alles schaffen können. Dieses Erfolgserlebnis zur Heimpremiere infizierte die gesamte Mannschaft mit dem Siegervirus. Nach der Partie sagte Hasenhüttl selbstbewusst: „Es reicht nicht zu sehen, dass man mithalten kann. Man muss dann den richtigen Moment nutzen, um sich endgültig zu belohnen.”

Lektion 4: Die Bank gewinnt Spiele

Nachdem Hasenhüttl bereits gegen den BVB den Sieg eingewechselt hatte, gelang dem Coach das beim Hamburger SV erneut. Beim 4:0-Triumph bei Bundesliga-Dino HSV entschieden Emil Forsberg (erstes Spiel von Beginn an) sowie die eingewechselten Timo Werner per Doppelpack und Davie Selke die Partie quasi im Alleingang. Das eröffnete dem Fußballlehrer in der Startphase der Saison zahlreiche personelle Optionen. Auch wer nicht von Beginn an auflief wusste, dass er jederzeit zum Matchwinner werden kann. Zudem war der erste Auswärtssieg im Oberhaus in dieser Höhe ein weiteres Signal an die Gegner.

Lektion 5: Ein Spiel dauert 90 Minuten

Nach dem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach saß Ralph Hasenhüttl bei der Pressekonferenz so enttäuscht auf dem Podium, als hätte sein Team gerade verloren. Dabei war das Remis gegen den Champions-League-Teilnehmer keinesfalls ein schlechtes Ergebnis. Doch angesichts der Dominanz, der Laufbereitschaft (über 120 Kilometer) der Hausherren und des späten Gegentores (85.) wäre RB auch ein würdiger Sieger gewesen. Doch eine zu schwache, unpräzise und nervöse Schlussphase würde den Leipzigern in der gesamten Saison nicht noch einmal passieren.

Lektion 6: Mentalitätstest in Köln

Nach dem 1:1 beim 1. FC Köln waren sich alle einig – dieses Spiel war für beide Teams ein Punktgewinn. Noch agierte RB gegen den Tabellenführer nicht so konstant wie später in der Saison, erlaubte den Kölnern eine starke Phase zwischen 15. und 65. Minute. Doch trotz Protesten und Busblockade eine so starke Auswärtspartie abzuliefern war zu diesem Zeitpunkt ein mentaler Reifetest. „Generell haben wir uns gut reingearbeitet in die erste Liga. Das ist alles Neuland für uns, wir haben es bis dato sehr, sehr gut gemacht”, bilanzierte Stürmer Davie Selke. Ein gefühlter Sieg für RB.

Lektion 7: Lücken finden gegen Augsburg

Damit, massierte Abwehrformationen zu überwinden, hatte sich RBL in der vergangenen Saison häufig schwer getan. Gegen Augsburg nahm die Hasenhüttl-Elf den Kampf von Beginn an und blieb anders als gegen Dynamo auch in der Schlussphase stabil. Im Vergleich zur Vorsaison zeigte RBL, dass das Team Abwehrbollwerken stringentere Lösungen und automatisiertere Kombinationen entgegensetzen kann. „Wir haben den Jungs Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, wie man den Gegner noch mehr unter Stress setzen kann”, sagte Hasenhüttl. Mit Erfolg. Ein Arbeitssieg, der enorm dazu beitrug, die Leipziger Arena zur Festung werden zu lassen und die Siegermentalität als eigenes Selbstverständnis zu stabilisieren.

Lektion 8: Routinierte Abwehrpower in der Fremde

Das 1:0 beim VfL Wolfsburg war in der zweiten Hälfte eine Demonstration der Leipziger Abwehrstärke. Die favorisierten „Wölfe” kreierten in den zweiten 45 Minuten keine einzige echte Torgelegenheit mehr. RB spielte die Partie so routiniert zu Ende, als wäre es nicht das achte, sondern das 800. Bundesligaspiel des Klubs. „Wir haben jetzt auch auswärts gezeigt, dass wir mit jedem Gegner mithalten können”, sagte Willi Orban hernach.

Lektion 9: Einen Gang höher schalten gegen Werder

Werder Bremen forderte RB Leipzig wieder als Ballbesitzteam. „Gegen einen Gegner zu spielen, der so tief verteidigt, war eine komplett neue Erfahrung für uns. Wir mussten viel Geduld mitbringen”, sagte Hasenhüttl. Trotz Naby Keitas Ausnahmeleistung mit einem Doppelpack kam Werder Bremen noch einmal heran. Die Qualität dieses Spiels war es, dass „wir am Ende nochmal einen Gang höher geschalten haben”, sagte Torschütze Davie Selke.

Lektion 10: Mauern einreißen in Darmstadt

Das Spiel bei den „Lilien“ war die erste Partie der Leipziger, in der sie vor der Aufgabe standen: Wie durchbreche ich Beton? 24 Prozent Ballbesitz waren Ausdruck für Darmstadts Maurertaktik. Einfallsreichtum im letzten Drittel war gefragt. Und Geduld. Nach zahllosen Fehlversuchen, dem Darmstädter Tor nahe zu kommen, durchbrachen die coolen Leipziger das Bollwerk, Marcel Sabitzer vollendete bei seinem ersten Einsatz nach Blitzheilung zweimal zum 2:0-Endstand.

Lektion 11: Spiegelfußball im Mainzer Angesicht

Mainz kam zu Besuch – und die Herausforderung war zuallererst mentaler Natur. Wie nämlich spielt man gegen sich selbst Fußball? Auch die Karnevalskicker lieben seit den Tagen von Trainer Wolfgang Frank und Jürgen Klopp Gegenpressing und schnelles Umschalten. Die Neugier war groß. Aber die Partie konnte die Spannung nicht halten. Genauer gesagt: Mainz konnte es nicht. Bis zur Halbzeit hatte RB bewiesen, dass aktuell kein anderes Team besser Bälle jagen und blitzkontern kann. Es stand nach 45 Minuten 3:0. Timo Werner hatte in der 3. Minute getroffen, Emil Forsberg in der 22. und noch mal Werner in der 44. Den Anschluss zum 3:1-Endstand erzielte Stefan Bell (74.).

Lektion 12: Mit fremden Kräften in Leverkusen

Das Spiel gegen Bayer war reich an neuen Erfahrungen. Für RBs Busfahrer zuallererst, er wurde kundig in der Beseitigung von Farbe an seinem Gefährt. Für Marcel Sabitzer, der erfahren durfte, wie es sich anfühlt mit einem Turban zu spielen, ihm riss die Stirnhaut nach einer Kopfnuss von Wendell. Für Benno Schmitz auch, Marvin Comppers Verletzung setzte eine Verteidigerrochade in Gang, in deren Folge der Sommer-Zugang zu seinem ersten Einsatz seit Hoffenheim kam. Und die Mannschaft durfte lernen, wie man den Gegner für den eigenen Sieg benutzen kann. RBL profitierte von einem Eigentor, einem verschossenen Elfmeter und einem Patzer von Bayer-Keeper Leno. Matchglück, das sich das Team erarbeitete. Dass Willi Orban dann zum 3:2-Siegtreffer einköpfte, war kein Glück, sondern zeigte den beeindruckenden Willen und die starke Kondition der Sachsen.

Lektion 13: Favoritenfußball im Breisgau

Nach dem Sieg gegen Bayer war es amtlich: RB gehört wider aller Unerfahrenheit zu den Spitzenkräften der ersten Liga. Damit muss man erst einmal umgehen. Gerade bei einem Gegner wie dem SC Freiburg, der in der Vorsaison die Sachsen hinter sich gelassen hatte. Kann RB das, Favorit sein? Sie konnten. In der zweiten Minute schlug ein Fernschuss von Naby Keita im SC-Kasten ein. Und kann RB einen  Rückschlag im Spiel verkraften? Auch das. Nachdem Freiburg in der 15. Minute durch Niederlechner ausgeglichen hatte, zermürbte Werner Freiburgs Hoffnungen mit einem Doppelpack (21., 35.) ehe Sabitzer das Spiel in der 79. Minute beendete.

Lektion 14: Wie man richtig mit einer Schwalbe umgeht

Akkuratesse ist eine Maßgabe bei RB. In allen Belangen. Umso größere Lerninhalte hinterließ die Partie gegen Schalke. Denn der Gegner ermöglichte den Sachsen nicht nur die Erkenntnis, dass man bei richtiger Brettlinie eine Welle sehr lange surfen kann. Die Sachsen gewannen ihr bis dahin bestes Saisonspiel durch einen Foulelfmeter von Timo Werner und ein reguläres Tor sowie einen Eigentreffer von Sead Kolasinac 2:1 (2., 31., 47.). Schalke lehrte sie aber auch, dass man über Schwalben im Fußball besser nicht spricht. Timo Werner war vor dem Strafstoß ohne direkten Kontakt mit dem Gegner zu Fall gekommen und hatte hernach mit Gott und der Welt darüber geplaudert. Das tat er allerdings in so facettenreicher Art, dass der Eindruck entstand, der gebürtige Stuttgarter sei von der Akkuratesse eines Schwaben so weit entfernt, wie der HSV von normalen Verhältnissen. Der Stolperstrafstoß ging als Schwalbengate in die Annalen der Hinserie ein.

Lektion 15: Hasenhüttls Rückkehr oder: Die Dreierkette von Ingolstadt

Trainer Ralph Hasenhüttl hätte aus der Partie gegen seinen Ex-Klub Ingolstadt die Lehre ziehen können, dass man Heimkehrspiele besser vermeidet. Aber man hat im Fußball keine Wahl, weshalb er wenige Wochen später dieselbe Erfahrung auch noch mal gegen die Bayern machen musste, bei den er früher mal zwei Jahre in der zweite Mannschaft gespielt hatte. Lehrreicher ist deshalb der Ansatz gewesen, mit dem der zu diesem Zeitpunkt Tabellenletzte dem zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer die erste Pleite der Hinserie beibrachte. Hasenhüttls Nachnachfolger Maik Walpurgis egalisierte mit einer ausgeklügelten Taktik sämtliche Stärken des Gegners. Er stellte die Mitte zu, agierte mit langen, hohen Bällen und ließ seine Mannschaft kämpfen, als gäbe es nur zwei Optionen: Sieg oder Tod. So stellte er unter anderem eine variable Dreierkette, die sich bei Bedarf in eine Fünferkette verwandelte. Ingolstadt war so dichter als dicht hinten drin. Und nach vorn in einer Situation cleverer als der Gegner. Einen Freistoß des Ex-Leipzigers Anthony Jung versenkte Roger zum 1:0-Endstand (12.). Roger ausgerechnet, einer aus der Dreierkette.

Lektion 16: Aufstehen lernen: Souverän wie nie gegen Hertha

Wie umgehen mit der Pleite? RB Leipzigs fand es in der Partie gegen den Tabellendritten Hertha BSC heraus. Die Leipziger lernten, dass der Glaube an die eigenen Stärken eine Macht ist. Die offenbarte sich ihnen gegen einen Gegner, der es wie Ingolstadt anstellen wollte – und dabei vor die Hunde ging. Die Hauptstädter hatten im gesamten Spiel eine Halbchance, alle anderen Torgelegenheiten fanden vor ihrem eigenen Kasten statt. Zwei davon nutzte RB zum 2:0-Erfolg – der wohl deutlichste der Saison.

Lektion 17: Liga-Primus FCB

Das Spiel des Tabellenzweiten gegen den punktgleichen Tabellenersten aus München sollte das Topspiel der Hinrunde werden. Krösus gegen Emporkömmling. Primus gegen Neuling. Es wurde nichts davon. RB bekam vom deutschen Meister eine ganz besondere Lektion erteilt, die nur einen Lehrinhalt hatte: eine Abstandserfahrung. Meilenweit ist der deutsche Rekordmeister dem Red-Bull-Klub noch voraus. Ganz unabhängig davon, wie potent die Sachsen und ihr Hauptsponsor auch sind. Manches braucht eben seine Zeit und muss organisch wachsen. Wie zum Beispiel Selbstverständnis. Die Bayern gingen in diese Partie mit der ihnen eigenen Überzeugung, das Nonplusultra im deutschen Fußball zu sein. Sie überrollten die Leipziger förmlich und schlugen sie mit ihren eigenen Waffen. Bereits zur Pause stand es 3:0. Dass es dabei blieb, kam einem Wunder gleich und war vermutlich der Überzeugung der Bayern geschuldet, dass man einfache Wahrheiten auch in einer normalen Unterrichtsstunde vermitteln kann.