Fanforscher im Interview Harald Lange Gründer des Instituts für Fankultur über Erklärungsansätze und Folgen der Randale von Dortmund.

Leipzig/Dortmund - Die brutalen Attacken von Dortmunder Ultras und Hooligans auf Fans von RB Leipzig sind nicht nur innerhalb der Dortmunder Fanszene eine Zäsur. Auch für den Protest gegen RB Leipzig können die Krawalle vor dem Stadion Rote Erde ein Wendepunkt sein. Der Fanforscher Harald Lange über das Scheitern einer Protestkultur und Kritik an den Vereinsbossen. „Ab jetzt sollten die BVB-Funktionäre die Bälle flach halten”, sagt Lange.
Herr Professor Lange, gibt es für Sie eine rationale Erklärung dafür, weshalb der Protest gegen RB Leipzig in Dortmund in einen Gewaltexzess mündete?
Harald Lange: Wir haben innerhalb der Fanszenen immer wieder Gruppen oder Einzelpersonen, die mit der komplexen sozialen Anforderung, eine gesunde und friedliche Fankultur zu leben und dabei auch Rivalität aushalten zu können, schlichtweg überfordert sind. Ich finde es bezeichnend und tragisch, dass diese massiven Ausschreitungen jetzt in einem Verein passiert sind, der für sich reklamiert, Bewahrer und Hüter des Traditionsfußballs und der wahren Fankultur zu sein, der „echten Liebe”. Jeder RB-Kritiker muss sich jetzt hinterfragen: Was meint ihr eigentlich mit Eurer Fußball-Tradition, mit echter Fankultur?
Ist der Protest gegen RB gescheitert?
Lange: Der Verein hat jetzt die Aufgabe, das aufzuarbeiten und zu vermitteln, was gesunde Rivalität, was wirksamer und friedlicher Protest ist, den man bei RB Leipzig durchaus anbringen darf oder gar muss. Plump oder gar gewaltvoll kann jeder protestieren. Aber treffender, fairer, intelligenter, der Sache angemessener Protest ist gar nicht so einfach. Die Randale in Dortmund haben allen gezeigt: So aggressiv, gewaltvoll und plump geht Protest eben nicht.
BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke steht in der Kritik, weil er mit stetigen Sticheleien gegen RB Leipzig eine Hasskultur geschürt habe. Trägt er eine Mitschuld?
Lange: Die Rolle von Herrn Watzke ist absolut ambivalent und auch für mich als Wissenschaftler hoch interessant. Man hätte bis Samstag argumentieren können: Er geht davon aus, dass es eine gewachsene und starke Fankultur wie die beim BVB schafft, mit Rivalität umzugehen, sodass er das als Sprachrohr anheizt und Öl ins Feuer gießt. Seit Samstag wissen wir, dass die Fanszene beim BVB nur in Teilen friedlich protestieren kann und in anderen Teilen damit heillos überfordert ist. Und zwar nicht aus einer eskalierenden Situation heraus, sondern da wurde ganz strategisch Gewalt vorbereitet. Das zeigt auch, dass der Verein seine Fankultur was Gewalt angeht nicht im Griff hat. Deshalb müssen im Nachgang des Spiels Konsequenzen gezogen werden.
Welche?
Lange: Die Wichtigste wäre aus meiner Sicht: Ab jetzt sollten die BVB-Funktionäre die Bälle flach halten, weil man gesehen hat, dass Teile der BVB-Fans mit dieser Form des Aufbauens von Rivalität nicht umgehen können. Bei den nächsten Spielen sollte man aufs Anheizen völlig verzichten. Das Thema ist für Borussia Dortmund „verbrannt”. Der BVB hat der Kritik an RB Leipzig seit diesem Wochenende nichts mehr glaubhaft hinzuzufügen.
Welche Konsequenzen wird dieser Abend für das Ansehen von RBL haben?
Lange: Selbst wer kritisch mit RB Leipzig umgeht, wird sich nach diesen Vorkommnissen mit dem Verein solidarisieren. Und andersherum hat das Image des BVB Kratzer bekommen. Wer so etwas Wertvolles wie wahre Fußballkultur für sich in Anspruch nimmt, der darf sich auf gar keinen Fall so verhalten. Das ist ein Widerspruch sondergleichen.
Also?
Lange: So schlimm die Randale auch waren: Dieses Wochenende war, was das Image von RB Leipzig in der breiten Masse betrifft, positiv für den Klub. Die gängigen Muster, aus München oder Dortmund pauschal, gegen jüngere Vereine zu schießen, kann man jetzt nicht mehr bringen. Soziologisch gesehen sind die kommenden Wochen hoch spannend.
Univ.-Prof. Dr. Harald Lange, Jahrgang 1968, ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent für Sportpädagogik an der Trainerakademie des DOSB in Köln.
Zuvor war er u.a. Professor für Sportpädagogik an einer Pädagogischen Hochschule (2002–2009) und Gastprofessor an der Universität Wien (2008–2009). Wissenschaftlich hat sich Lange u.a. mit den Bildungspotenzialen im Sport und pädagogischen sowie (sozial-)psychologischen Fragen und Problemen im Sport beschäftigt. Seine wissenschaftlichen Interessen liegen in der Sicherheits- und Kommunikationsforschung, der Analyse sozialer Strukturen im Sport, der Fairplay-Erziehung, der Sportphilosophie sowie der Konzeption, Implementation und Evaluation bewegungsbezogener Bildungsprozesse in verschiedenen Settings (Fankultur, Jugendsozialarbeit, Bewegungserziehung, Schulsport, Gesundheitssport und Leistungssport).
Harald Lange hat über 250 wissenschaftliche Arbeiten publiziert – davon mehr als 50 Bücher und Sammelwerke.
Das nächste Auswärtsspiel von RB Leipzig findet in Mönchengladbach stattfinden. Werden die Ereignisse von Dortmund auch auf andere Klubs abstrahlen?
Lange: Auch in anderen Klubs sind Verantwortlichen wie aktive Fans gehalten, aus diesem Fall Dortmund zu lernen und ihre Kritik entsprechend zu überdenken und zu dosieren. Jeder, der ab dem nächsten Wochenende sagt, dass er nicht habe wissen können, dass Protest so eskalieren kann, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er Gewalt bewusst in Kauf nimmt. Auch die aktiven Fans wissen: Protest wird jetzt schwieriger. Ich halte das als Forscher übrigens für ausgesprochen problematisch, denn RB Leipzig braucht fair geäußerte Kritik. Das ist in der Fanszene ein neuralgisches Thema, das weiter diskutiert werden muss.
In Dortmund radikalisieren sich gerade einzelne Ultra-Gruppierungen. Das kennt man aus politischen Zusammenhängen. Welche Rolle spielt die aktuelle politische Lage etwa mit dem Protest durch Pegida und AfD für die Situation in den Kurven generell?
Lange: Ich sehe da keine unmittelbaren Abhängigkeiten. Aber man kann auch hier beobachten: Auch politischer Protest will gekonnt sein. Es gibt bei politischen Demonstrationen das gleiche Phänomen wie beim Fußball: Einige Gruppen bekommen es hin, dem Rechtsstaat und einer demokratisch verfassten Gesellschaft angemessen Protest zu üben. Andere schaffen das nicht, das mündet dann in Gewalt gegen Asylsuchende etc. Da kann man Sport durchaus als Feld heranziehen, auf dem man legitimen Protest einüben kann beziehungsweise erkennt, wo die Protagonisten überfordert sind. (mz)