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Deutschlands WM-Desaster Gründe, Folgen und Einschätzungen der „Kata(r)strophe“

Aktualisiert: 02.12.2022, 12:03
Bundestrainer Hansi Flick ist mit dem Nationalteam bei der WM in Katar ausgeschieden.
Bundestrainer Hansi Flick ist mit dem Nationalteam bei der WM in Katar ausgeschieden. (Foto: IMAGO/Ulmer/Teamfoto)

Doha/SID/MZ - DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat nach dem WM-Aus in Katar für die kommende Woche eine Krisensitzung mit Bundestrainer Hansi Flick, Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke angekündigt. Die aktuelle Situation in Fragen und Antworten.

Was ist passiert?

„Kata(r)strophe“ und „Horrorfilm“ im Wüstensand - die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist wie beim historischen Desaster 2018 in der WM-Vorrunde gescheitert. Das 4:2 im Gruppenfinale gegen den Außenseiter Costa Rica war zu wenig, weil Japan auch gegen Spanien 2:1 gewann.

Was hat das mit dem WM-Ball zu tun?

Es ging um Millimeter. „Al Rihla“ (die Reise), wie der Ball heißt, war vor dem zweiten japanischen Tor im Aus. Oder doch nicht? Diese Frage wurde fast drei Minuten lang erörtert, dann war (nicht allen) klar: Ball drin, Deutschland raus, Reise zu Ende.

Wo liegen die Gründe?

Hansi Flick hat sich im Turnier zu viele Fehler erlaubt. Er hat sich „vercoacht“ (Lothar Matthäus), nie eine erste Elf gefunden. Er probierte vier Rechtsverteidiger aus, begann mit drei verschiedenen Mittelfeldbesetzungen, er setzte Thomas Müller falsch ein. Der Bundestrainer sah die Blamage nicht kommen, sprach blind von „Qualität“. Die aber haben zu wenige Spieler. Es fehlte defensiv wie vorne an Entschlossenheit.

Welche Versäumnisse gab es sonst?

Pleiten hier, Pannen dort. Schon die - zugegeben kurze - Vorbereitung im Oman war nicht optimal. Der DFB mit Präsident Bernd Neuendorf gab im belastenden „One Love“-Zoff keine gute Figur ab. Geschäftsführer Oliver Bierhoff verzockte sich bei der Quartierswahl im Norden Katars. Das Schwänzen einer PK wurde als arrogant aufgenommen und von der FIFA bestraft.

Gibt es strukturelle Probleme?

In der Stunde des Scheiterns wollte Flick plötzlich nicht mehr so viel von der viel gerühmten Qualität in seiner Mannschaft wissen: „Wir müssen in der Ausbildung besser werden. Wir reden seit Jahren über Neuner, die wir brauchen, über spielstarke Außenverteidiger.“ Auch „die Basics“ vermisste er - also deutsche Tugenden, die zu wenig vermittelt würden.

Hat all das personelle Konsequenzen?

Zunächst: nein. Flick und Bierhoff verwiesen auf ihre Verträge bis zur Heim-EM 2024. DFB-Boss Neuendorf forderte am Tag danach eine Analyse des Turniers und der Entwicklung seit 2018. Letzteres könnte ein Zeichen sein, dass Bierhoff wackelt. Kapitän Manuel Neuer will weitermachen, bei Thomas Müller deutet einiges auf einen Rücktritt hin, Ilkay Gündogans Zukunft im DFB-Team ist offen.

Was sagen die Experten?

„Es gehört dazu, dass jede Position hinterfragt wird. Da gehört auch der Trainer dazu. Alle“, meinte Michael Ballack. Dietmar Hamann hält es „für ausgeschlossen, dass wir mit dem Trainer weitermachen können“. Sami Khedira sieht Flick noch immer „als einen richtig guten Trainer“.

Gibt es überhaupt einen Gewinner?

Jein. Niclas Füllkrug hat sich mit seiner Unbekümmertheit als „Killer mit der Zahnlücke“ (Times) in die Fanherzen gespielt. Jamal Musiala war als Dribbelkönig Welt-, als Torjäger Kreisklasse. Julian Nagelsmann bekommt seine Bayern-Stars früher als erwartet zurück, muss sie aber aufbauen.

Ist Deutschland noch eine Turniermannschaft?

Klares Nein! Von den jüngsten elf EM- und WM-Partien wurden drei gewonnen - gegen Portugal, Schweden und Costa Rica. Gegen Top-Teams wie Frankreich oder England gab es Pleiten, gegen Spanien wurde seit der Wiedervereinigung nicht gewonnen. Der viermalige Weltmeister ist international in der Zweitklassigkeit angekommen.

Was bedeutet das perspektivisch?

Dass Titelträume vermessen sind. Der DFB und mit ihm die Nationalmannschaft haben seit 2016 sehr viel Kredit verspielt, viele Fans verloren. Die Heim-EM 2024 kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

Was macht Mut?

In der aktuellen personellen Konstellation: wenig. Die hoch gelobte Confed-Cup-Generation der Jahrgänge 1995/96 um Anführer Joshua Kimmich ist mehrfach gescheitert. Talente wie Musiala, Youssoufa Moukoko oder Florian Wirtz sind rar, im Nachwuchs ist der DFB abgehängt.

Wie geht's weiter?

Neuendorf, Flick, Bierhoff und DFB-Vize Hans-Joachim Watzke treffen sich in der kommenden Woche. Es bräuchte eine „Lichtgestalt“ wie Franz Beckenbauer, der nach der EM-Pleite 1984 frischen Wind brachte. Das könnte mit Blick auf die EURO in 18 Monaten Jürgen Klopp sein, der aber an Liverpool gebunden ist. Die nächsten Länderspiele sind im März, die Gegner offen. (SID)