1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Weltfestspiele 1973: Weltfestspiele 1973: Gäste aus 104 Ländern kamen in die DDR

Weltfestspiele 1973 Weltfestspiele 1973: Gäste aus 104 Ländern kamen in die DDR

Von Steffen Könau 03.08.2013, 17:13
Der Oktoberklub Berlin bei einer Veranstaltung zum Festival des Politischen Liedes im Rahmen der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin.
Der Oktoberklub Berlin bei einer Veranstaltung zum Festival des Politischen Liedes im Rahmen der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin. Archiv/dpa Lizenz

Berlin/MZ - Am schlimmsten waren die Aufmarschproben. „Einmal und noch einmal und noch einmal mussten wir vor der Tribüne vorbeiziehen“, erinnert sich Jürgen Maier. Die ist noch leer, die führenden Genossen werden sich der Jugend der Welt erst später präsentieren. Jürgen Maier, der mit einer Delegation aus Quedlinburg zu den X. Weltfestspielen nach Berlin, Hauptstadt der DDR gekommen war, ist es gleich gewesen. Was für ihn wie für die Hunderttausenden an Jugendlichen zählt, ist nicht der Blick auf Erich Honecker, seit zwei Jahren neuer erster Mann an der Parteispitze. Sondern das Gemeinschafterlebnis mit Diskussionen, Rockmusik, Mädchen und Alkohol.

Gäste aus 104 Ländern sind angereist

Berlin wird in jenen Augustwochen vor 40 Jahren zum Schaufenster eines idealisierten Sozialismus. Gäste aus 104 Ländern sind angereist, weltoffen präsentiert sich die DDR. Zwar ist die dominierende Farbe das Blau der FDJ-Blusen. Doch die Röcke der Mädchen sind kurz, das Haar vieler Jungen lang, die Festivaltücher leuchten bunt und die eigens geschriebenen Lieder klingen launig. Klassenkampf darf Spaß machen!

Das „Lied der Weltjugend“, bei den III. Weltfestspielen im Sommer 1951 noch ein Gassenhauer, wird 22 Jahre danach zwar immer noch gesungen. Lauter aber klingen die Rocksongs von Puhdys, Renft, der Gruppe Wir, Bisser Kirow und Dean Reed. „Es war ein multikulturelles Fest mit Leuten aus aller Welt“, erinnert sich Rainer Gehrtag aus Gotha, „sowas kannten wir ja gar nicht.“ Fasziniert habe er die Auftritte der Südafrikanerin Miriam Makeba verfolgt, der gerade freigekämpften US-Bürgerrechtlerin Angela Davis auf dem Balkon des Roten Rathauses zugejubelt und die afrikanischen Trommler bewundert, die überall zu hören waren. „Das war wie eine andere Welt, nicht mehr die kleine DDR.“ Selbst die Versorgung habe geklappt, staunt er noch heute.

Doch auch für die Gäste eröffnet sich ein neuer Blick auf das graue Land hinter der Mauer. Der Alexanderplatz wird binnen weniger Tage zu einem Ort, der nie schläft. Immer spielt irgendwer Gitarre, immer wird irgendwo diskutiert. Polizisten tauchen hin und wieder auf, meist bekommen sie dann ein Festivaltuch umgebunden. Nicht nur am Rande geht es auch ums Zwischenmenschliche, über Ländergrenzen hinweg - die sogenannten „Feldbettspiele“, ausgetragen nicht nur in den Schulen, in denen Männlein und Weiblein getrennt schlafen müssen, wie sich Jürgen Maier erinnert. Eine symbolische Trennung: „Ich habe trotzdem nur geknutscht“. Ähnlich sieht es Rainer Gehrtag: „Es hatte seinen Grund, warum das Festival inoffiziell Interpimper ’73 hieß“, sagt er schmunzelnd.

Auf 95 Bühnen gibt es Beat- und Rockkonzerte

Auf 95 Bühnen gibt es Beat- und Rockkonzerte, die Stimmung im sommerlichen Berlin ist heiter, selbst als sich der mit Auftrittsverbot belegte Regimekritiker Wolf Biermann auf den Alexanderplatz begibt, beobachtet ihn die Staatssicherheit zwar. Doch unbehelligt darf der Liedermacher 90 Minuten lang mit FDJlern diskutieren. Seine Bewacher trauen sich nicht einmal einzugreifen, als Biermann sein verbotenes Che-Guevara-Lied anstimmt. Dabei haben Staat und Jugendorganisation FDJ das Großereignis minutiös vorbereitet. Im Dezember 1971 schon war eine Grobkonzeption erstellt worden, seit Juli 1971 brüteten Propaganda-Experten über Marschbändern, Regiebüchern und Maßnahmen zur politischen Kaderschulung. Das

Innenministerium der DDR schickt 24 000 Volkspolizisten unter die mehr als 288 000 Teilnehmer aus der DDR, das MfS mobilisiert über 4 000 Stasimänner, um mit der „Aktion Banner“ feindliche Störmanöver zu verhindern. Vor der Eröffnung werden mehr als 2 000 mutmaßliche Staatsfeinde in Jugendwerkhöfe und Spezialheime eingewiesen. 800 mögliche Störer müssen Berlin verlassen, tausende andere erhalten ein Verbot, nach Berlin zu reisen.

Eine halbe Million lässt die DDR sich allein die Vorbereitung kosten. Jeder Bus, der Teilnehmer ankarrt, hat seinen Einsatzleiter, jeder Waggon seinen Wagenordner. Benutzt werden auch - wie im Fall von Rainer Gehrtag - Güterwaggons. „Uns war das egal, denn nach Ulbrichts Tod hatten wir ja Angst, das alles abgesagt wird.“

Doch Erich Honecker entscheidet, dass die Spiele weitergehen. Schnell wird ein Wunsch Ulbrichts entdeckt, „dass das Festival erfolgreich zu Ende geführt werden möge, damit sich die antiimperialistische Solidarität und Freundschaft weiter festigen und der Frieden sicherer wird“.

Kein Preis ist dafür zu hoch, auch der der Selbstverleugnung nicht. Als der 18-jährige Klaus Gomert versucht, in Berlin über die Mauer zu klettern, wird von DDR-Grenzern zwar geschossen, aber nur in die Luft. Weil Westmedien dennoch behaupten, Gomert sei kaltblütig ermordet worden, geht die DDR in die Offensive: Erst zeigt das DDR-Fernsehen das Opfer quicklebendig. Stunden später erscheint der Tote dann am Grenzübergang Chausseestraße, um auszureisen. Erich Honecker selbst diktiert die Pressemitteilung: Um eine „verleumderische Kampagne im Westen zu entlarven, haben die Organe der DDR ausnahmsweise den angeblich Erschossenen ausgewiesen“.

Nichts soll die Idylle stören

Nichts soll die Idylle stören, die von denen, die dabei waren, als echt wahrgenommen wird. Thomas „Monster“ Schoppe, mit seiner Gruppe Renft eingeladen, erinnert sich an die neun Tage von Berlin wie an einen Traum. Nicht wegen der Groupies, „die hatten wir auch so“, wie Schoppe schmunzelt. Nein, „vor einer internationalen Öffentlichkeit auftreten, das war ein Höhepunkt“. Schoppe bekommt allerdings auch mit, wie die Verlässlichkeit der Künstler sichergestellt wird. „Erst gab es ein Kadergespräch, dann bekamen wir natürlich einen Betreuer von der Stasi.“ Lag es an der gelösten Atmosphäre, dass der tief blicken lässt? „Ach, Monster, sagte er zu mir, mehr Leute wie Du, und wir würden den Sozialismus schaffen.“
Ein Ziel, das bei den Weltfestspielen alle eint - von den Renft-Leuten, die noch auf eine Reform der DDR hoffen, bis zu westdeutschen Kabarettisten, die Diskussionen mit den Renftlern verweigern, weil „wir nicht in der Partei waren“. Er habe damals dennoch eine Stimmung wahrgenommen, die ihn glauben ließ, dass „sich die DDR öffnet und das nicht nur zum Schein“.

Eine Ahnung davon, wie der Sozialismus sein könnte, liegt in der Luft, glaubt auch Rainer Gehrtag. Ein Hauch von Freiheit, Weite und Weltrevolution! „Der Stalinist Ulbricht war tot, das passte“, sagt Thomas Schoppe, „die Leute haben diskutiert und gestritten, sogar mit Leuten von der Jungen Union, mit dem späteren Bürgermeister Eberhard Diepgen.“ Doch es ist ein kurzer Sommer der Euphorie, dem ein langer Winter folgen wird. „Wie haben wir auf Honecker gehofft“, sagt Schoppe, „aber der war dann noch schlimmer als Ulbricht.“ Zwei Jahre später wird seine Band verboten sein. Die „Festivalbabys“, die neun Monate nach den X. zur Welt kommen, wachsen in einem Land auf, das nie wieder so sein wird wie im August ’73.

Manfred Krug bei einem Auftritt im Rahmen der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1973 in Berlin.
Manfred Krug bei einem Auftritt im Rahmen der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1973 in Berlin.
dpa-Zentralbild