Tierklinik Tierklinik: Mehr Luft für Mops Anton
Halle/MZ. - Heute geht es unter anderem um eine seltene Komplikation bei einem Traumapatienten: Der Hund wurde nach einem Autounfall eingeliefert, eine Schädelbasisfraktur hat zu einer völligen Verstopfung des Nasenausgangs geführt.
Um die komplizierte Laseroperation an der Schädelbasis des Boxers optimal vorzubereiten, informiert Klinikchef Gerhard Oechtering die Runde darüber, dass er sich sogar mit Kollegen von der Humanmedizin beraten und gemeinsam mit ihnen eine Strategie besprochen hat. Mit den HNO-Ärzten und den Kiefer- und Gesichtschirurgen der Uniklinik Leipzig gibt es eine exzellente Kooperation.
Für den schwierigen Eingriff bei dem angefahrenen Tier stehen die Chancen nicht allzu gut. Der Ausnahmechirurg Oechtering will es dennoch wagen: "Wir haben nur einen Versuch", sagt er, "und der muss klappen!"
Nach der halbstündigen Besprechung begeben sich die Weißkittel in die Krankenzimmer. Nein, die lieben Tierchen liegen nicht erwartungsvoll in ihren Betten, aber ansonsten erinnert so manches durchaus an ein Krankenhaus: so die Fieberkurve unter den Namensschildern an den Boxen, die beratenden Ärzte, die mit ernsten Mienen und dicken Patientenakten von Fall zu Fall schreiten, und die schicksalsergebene Haltung ihrer Schutzbefohlenen.
Bei Dolly, einem Mischlingshund mit Nierenversagen, können heute die Medikamente abgesetzt werden und auch dem kleinen Dackel, der am Zwerchfell operiert wurde, geht es gut; er darf nach Hause. Auf der Intensivstation sitzen zwei frisch Operierte - ein Golden Retriever und ein blonder Mischlingshund. Ihre Schmerztherapie wird von Tierpflegerin Sabine Hieke rund um die Uhr überwacht.
Klinikdirektor Gerhard Oechtering hat uns das Privileg gewährt, einen gewöhnlichen Vormittag in seiner Klinik mitzuerleben. Zuvor aber bittet er uns in sein Allerheiligstes, um Irritationen vorzubeugen: "Wir haben in allererster Linie die Aufgabe, gute Tierärzte auszubilden", betont er. "Unser zweites Standbein ist die Forschung und erst an dritter Stelle steht die Patientenversorgung. Das heißt, wir sind nicht der erste Ansprechpartner fürs Ohrenputzen und die kleinen Wehwechen. Unser Ding sind die richtig kniffligen Fälle!"
Drei Tage in der Woche ist der Chef im OP anzutreffen. Ehe er auch heute dahin enteilt, fordert er auf: "Schauen Sie sich bei uns um!" Durch das medizinische Universum der Vierbeiner begleitet uns die Leitende Anästhesistin Dr. Michaele Alef. Überraschend menschlich geht es zu, angefangen vom hellen Wartezimmer über Spezialdisziplinen wie Röntgendiagnostik, Endoskopie, Kardiologie, Chirurgie bis zu Ophtalmologie und Neurologie.
Im Hals-Nasen-Ohren-OP ist im Augenblick von Anton nur die Schnauze zu sehen, alles übrige bleibt unter grünen Tüchern verborgen. Anton ist ein Mops, und er teilt das Schicksal nahezu aller Möpse: Er leidet unter Atemnot. Während im Laser-OP alles auf den Eingriff vorbereitet wird, beschreibt uns Gerhard Oechtering das Problem: "Möpse und Französische Bulldogen sind wunderbare, fröhliche und menschenfreundliche Hunde. Aber in dem Bestreben, sie noch drolliger aussehen zu lassen, wurde ihnen diese Kurzköpfigkeit angezüchtet: Kulleraugen, Stupsnase, rundes Gesicht. ,Kindchenschema' heißt das in der Verhaltensforschung."
Im Laufe der Zeit sind die Züchter völlig über das Ziel hinausgeschossen - aus der Zucht ist eine Qualzucht geworden. Die Nasenhöhle ist extrem verkleinert, die Nasengänge sind verstopft, die Tiere schnorcheln, weil sie zu wenig Luft bekommen. "Wenn sie nicht operiert werden, quälen sich manche ein ganzes Leben lang", sagt der Professor.
In Leipzig wurde eine völlig neue Operationsmethode entwickelt. Dabei wird nicht nur wie sonst üblich das Gaumensegel gekürzt, sondern zusätzlich das die Nase verstopfende Gewebe mit dem Laser entfernt. Bei Anton hat der Chirurg vor einem halben Jahr bereits per Laser die Nasengänge neu angelegt. Heute stehen eine Kontrolle und feinste Korrekturen an.
Der 52-jährige Operateur mit dem Ruf, als weltweit einziger diese hochkomplizierte Laserchirurgie für die Nasen der Brachyzephalen (der Kurzköpfigen) entwickelt zu haben, sitzt vor seinem Patienten und entfernt mit einem Laserendoskop Gewebe. Per Bildschirm kontrolliert er sein Vorgehen.
Was dort wie eine Wanderung durch Tropfsteinhöhlen aussieht, ist in Wirklichkeit eine filigrane Angelegenheit. Mit Hilfe einer chirurgischen Laserfaser, deren Spitze, auf tausend Grad erhitzt, in die Nasenmuschel eingeführt wird, verdampft überflüssiges Knochengewebe. Nur vierhundert Mikrometer werden von der Sonde weggefräst - wahrlich nur ein Hauch.
Für diese OP kommen Möpse und Bulldoggen aus ganz Deutschland und vielen europäischen Nachbarländern nach Leipzig.
Im Raum riecht es inzwischen leicht verschmort wie in einer Dönerbude, dafür ist die Operation geglückt. Morgen schon wird Anton, Ringelschwänzchen wedelnd, wieder auf dem Weg nach Hamburg sein. "Jazz täte jetzt gut", lächelt der Professor, "aber ich kann mich mit meinen Assistentinnen einfach nicht auf die passende OP-Musik einigen."
Der Boxer übrigens hat trotz der geringen Chancen die Operation gut überstanden. Auch ihm geht es längst wieder gut.