Tierheilpraktiker Tierheilpraktiker: Der Pferdeflüsterer
Halle (Saale)/MZ. - Die junge Pferdewirtin Christin Muchau führt Lamour aus der Box. Der Pferdezahnarzt ist da. Der Wallach hat das Klappern der Instrumente im Desinfektionseimer längst registriert und trippelt etwas unruhig. Tierheilpraktiker Joachim Brand redet beruhigend auf das Tier ein, sagt immer wieder "mein Freund". Mehrmals im Jahr kommt Brand aus dem unterfränkischen Stadtlauringen auf den Pferdehof der Familie Muchau im südthüringischen Keulrod bei Schleusingen. Die zehn eigenen Tiere und 14 Einsteller, die die Muchaus in Pension haben, sind regelmäßig in der Zahnbehandlung. "Besser den jährlichen kurzen Eingriff als spätere große Probleme", sagt Mitinhaber Wolfgang Muchau.
Für die Behandlungen führt Brand zahlreiche Spezialinstrumente mit sich. Darunter sind Maulgatter und -keile, Zahnraspeln und -meißel, Zangen und Schleifmaschinen. "Ich komme im Normalfall ohne das meiste aus", sagt er. Vor der ersten Visite füllt Brand noch die Hosentasche mit Leckerlis. "Das Tier ist entspannter und erfährt die Nascherei als Belohnung dafür, dass es sich willig raspeln lässt."
In seinen Augen ist Lamour ein schönes und fittes Tier. "Seinen Zustand schickt mir das Tier rüber", versucht er, sein Gespür zu erklären. Dann tastet er tief in das Tiermaul. Mit der langen Raspel beginnt er, Zahnspitzen abzutragen und Schneidezähne zu richten, bis die Kiefer wieder zueinanderpassen. Zwischendurch macht er immer wieder Pausen und belohnt den Warmblüter während der schweißtreibenden Arbeit mit einer kleinen Nascherei.
Seit fast 30 Jahren therapiert der Autodidakt Brand Pferde. Der 55-Jährige wurde durch die Arbeit als freier Journalist über Pferdehaltung zum Fachmann. Einen Großteil der Zahninstrumente hat er selbst entwickelt. Sie schonen nicht nur die Pferde, sondern sind auch kraftsparend und effektiv für den Behandelnden. Der selbstständige Tierheilpraktiker ist auf Speziallehrgängen ein bundesweit gefragter Referent.
Die Muchaus arbeiten seit ihrer Übernahme des Hofes 2007 mit Brand zusammen. Die Kosten von 50 bis 100 Euro je Behandlung seien ihnen die Tiere wert, vor allem die ganzheitliche Art der Pferdebehandlung, die den Kauapparat im Zusammenhang mit vielen Körperfunktionen beim Pferd betrachtet, sagte die Dressur- und Springreiterin Christin Muchau.
Gerade das sei ein "Notstandsgebiet" in Deutschland, meint Joachim Brand. Dabei werde ein Drittel aller Probleme mit der Rittigkeit von Pferden, also ihrer Arbeitsfreude, durch unentdeckte Zahnprobleme beim Tier verursacht. "Kopfschlagen, Versteifung des Rückens, mangelnde Biegung und Bocken liegen oft an schiefen Backenzähnen, störenden Wolfszähnen, scharfkantigen Haken", sagt der Tiertherapeut.
Allein mechanisch einzugreifen, nütze aber wenig. Ganzheitliche Zahnheilkunde heiße auch, auf den Sitz des Sattels zu schauen, sich Hufe, Fütterung und Haltung anzusehen. Gerade im Kopfbereich, sagt Brand, verliefen wichtige Meridiane des Energieflusses im Körper. Eine einzige übersehene Zahnspitze könne ernste Folgen für Leber-, Nieren-, Herz- oder Knochenfunktion des Tieres haben, ähnlich wie beim Menschen. "A Pferd is in dem Sinn a bloß a Mensch", sagt Brand in breitem Dialekt.
Nach der Wende sei er dank Buschfunk zu ersten Pferdebehandlungen nach Thüringen gerufen worden. Mittlerweile hat er hier bis zu 20 Einsätze im Jahr. Er ist gefragt bei Pferdezüchtern in Benshausen, Suhl, Themar und Jena. Bis zu zehn Tiere behandelt Joachim Brand am Tag. Thüringer Kollegen seines Spezialgebietes kennt er nicht.
Der Präsident der Landestierärztekammer Thüringen, Uwe Landsiedel, sieht zwar derzeit keine Engpässe bei spezialisierten Tierärzten. "Aber der Bedarf an modernen, hochqualifizierten tierärztlichen Leistungen wie Zahnheilkunde, Akupunktur, Homöopathie oder Physiotherapie steigt deutlich." In der Branche sei überregionales und internationales Arbeiten üblich, sagt er. Die Ausbildung an tierärztlichen Hochschulen und die Ausrüstungen seien kostenintensiv. Da nehme der Spezialist auch weite Fahrstrecken in Kauf, um finanziell überleben zu können. Brand kommt so im Jahr problemlos auf rund 30 000 Fahrkilometer.
In Keulrod packt er nach vier Stunden ein. Bei vier Tieren sitzt das Gebiss nun wieder perfekt.