Thüringen Thüringen: Heiße Liebe zu Öfen aus Eisen
Günserode/MZ. - Wer etwas auf sich hielt, hatte einen "Wurmbach". "War jemand reich, kam ein ,Wurmbach' ins Haus, war er noch reicher, musste es ein bunter ,Wurmbach' sein. Und wenn jemand etwas ganz Besonderes wollte, dann schaffte er sich gar ein weißes Exemplar an." Ronald Koch lächelt vor sich hin, wenn er diese Geschichte erzählt. Er würde sich heute kaum als reich bezeichnen und doch hat er nicht nur einen "Wurmbach", sondern eine ganze Sammlung. Ein "Wurmbach" ist ein Ofen. Ein Gussofen, um genau zu sein, ebenso wie jener weiße Stubenofen, denn er natürlich auch besitzt.
Vorsintflutliche Heizgeräte, die jede Menge Dreck und Arbeit machen, soll eine Wohnung damit warm werden? Für diese Erklärung hat Ronald Koch nur ein mitleidiges Lächeln und ein Kopfschütteln übrig. Für ihn sind die Wurmbach-Öfen Kunst in höchster Vollendung. Handwerkskunst. Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die Eisen-Ungetüme ihre Blütezeit und Exemplare dieser Ära sind es, die den Ofenfreund aus Günserode heute begeistern. Er sammelt, restauriert und verkauft deutsche Gussöfen aus der Zeit von 1870 bis 1910. "Die deutsche Technik war anderen Herstellern damals um 20 Jahre voraus, was Luftführung und -regulierung betrifft", begründet er seine Entscheidung für diesen Zeitraum. Einmal beim Thema schiebt der Fachmann Fakt um Fakt nach. Es gab etliche Gießereien in Deutschland, die Öfen dieser Art herstellten. Etwa 35 taten dies in nennenswerten Stückzahlen, jede fertigte bis zu 200 verschiedene Modelle.
Von 30 dieser Firmen besitzt Ronald Koch die originalen oder kopierte Musterbücher - viele seiner Öfen kann er so exakt zuordnen. Doch woher diese heiße Liebe zu den kalten, graublauen Wärmespendern? Alles fing an mit seiner Oma. Sie schwärmte für die Gussöfen der guten, alten Zeit und das hat der damals 15-, 16-Jährige wohl verinnerlicht. Eines Tages fand er auf einem Dachboden seinen ersten Ofen. An diesem entzündete sich die Leidenschaft und heute kann er sich gar nichts anderes mehr vorstellen, als in ganz Europa Öfen zusammenzutragen. Kaputt sind sie eigentlich immer. Und so ist er mit der Zeit vom Ofenfreund zum Ofenrestaurator geworden. Und zum Kunstkenner und -liebhaber. Die reichhaltigen Verzierungen der Gussöfen begeistern ihn ebenso wie die Ausstattung, zu der beispielsweise auch Emaillierungen und Bemalungen gehören - je nach Stil.
Ja, Modestile gab es auch hier: "Jugendstil, Art Deco, Biedermeier - jede Zeit widerspiegelt sich auch in den Gussöfen", erklärt der Kenner. Selbst einfache Vertreter ihrer Art waren teuer. Für ärmere Schichten kam der Gussofen so gar nicht infrage, sie mussten sich mit Blechmäntelöfen begnügen. Als der gelernte Klempner mit den geschickten Händen 2004 arbeitslos wurde, fiel endlich die Entscheidung, die eigentlich schon lange in der Luft lag: Ronald Koch machte sich selbstständig. Mit einem alten VW-Bus, der erst vor einem Jahr nach 320 000 Kilometern mit geplatztem Motor bei Bamberg auf der Strecke blieb, trug er die einzigartige Parade auf seinem Hof zusammen. Einmal allerdings musste er ein anderes Verkehrsmittel wählen, um an ein begehrtes Sammlerstück zu kommen. Das hatte dann eine wirklich ungewöhnliche "Anreise". Aufmerksam wurde Ronald Koch auf die außergewöhnliche Rarität per Internet. Problem: Sie stand in Norwegen. Wie holt man einen Gussofen aus Norwegen nach Thüringen? Ganz einfach: Man setzt sich mit Lebensgefährtin Rebecca und Tochter Angelina ohne Gepäck ins Flugzeug, fliegt nach Oslo, kommt 13 Uhr an, zerlegt das Teil, füllt damit sechs mitgebrachte Pappkartons mit je 20 Kilogramm Ofen und sitzt noch am selben Abend wieder im Flieger - auf dem Rückweg. "Toll, was?!", strahlt da der 45-Jährige und sagt treuherzig: "Für den Ofen wäre ich sogar nach Amerika geflogen."
Zum Glück freut sich seine Partnerin mindestens genauso, über den gelungenen Transport. Sein Lieblingsofen ist der Norweger übrigens nicht geworden. "Ach, das ist immer mal ein anderer", meint der Spezialist und denkt dabei daran, wie viel Mühe es macht, aus "total zerlederten Schrottteilen" wieder ein Sammler- und Liebhaberstück vom Feinsten zu schaffen. Denn Kochs Sammlung besteht nicht nur aus ganzen Öfen, sondern sie ist auch ein riesiges Ersatzteillager. "Die Heizbrust, das ist die Platte vorn", erzählt der Tüftler, "ist fast immer kaputt. Auch die Simsringe. Es fehlen Türen, Rahmen, Füße."
Von gerissenen Teilen macht er Abgüsse und lässt sie in der Kunstgussgießerei in Lauchhammer neu anfertigen. Wo nichts mehr zu retten ist, ergänzt er aus seinem Fundus. Rost und Patina verschwinden unterm Glasperlenstrahl und wenn alles zusammengebaut ist, gibt's auch noch ein wundervolles Make-up - aus Ofenschwärze. Graphit und Petroleum, doch das Mischungsverhältnis bleibt Geheimnis. Letztlich hat der Handwerker noch aus jedem Haufen Schrott wieder ein vollendetes Kunstwerk hergerichtet - mehr als 300 mögen es im Laufe der Zeit gewesen sein, schätzt er. Das Wichtigste: Es sind nicht etwa Anschauungsstücke, sondern perfekt funktionierende Feuerstätten. Amtlich geprüft sogar, denn jeder einzelne Gussofen muss sozusagen seine Feuertaufe in Oberhausen bestehen. Dort werden bei der Feuerstättenabnahme Fein-staubwerte und Wirkungsgrad geprüft.
Die Museumsstücke aus Günserode erreichen selbstredend Bestwerte. "Die erfüllen schon heute die Bundesimmissionsschutzverordnung von 2015", sagt ihr Schöpfer stolz und beweist damit, dass er es in seinem Hobby längst zum gewieften Profi gebracht hat. "Etwa fünf von dieser Zunft gibt es in Deutschland", vermutet er und vergisst bescheiden zu erwähnen, dass er selbst einer davon ist - der einzige im Osten Deutschlands.