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Neuanfang für frühere Comedy-Queen Ilka Bessin: Darum gibt es Cindy aus Marzahn nicht mehr

Von Marcus Weingärtner 01.06.2019, 15:00
Die Pink-Phase ist längst vorüber, denn Cindy aus Marzahn gibt es nicht mehr: llka Bessin im Jahr 2019. 
Die Pink-Phase ist längst vorüber, denn Cindy aus Marzahn gibt es nicht mehr: llka Bessin im Jahr 2019.  www.imago-images.de

Berlin - Zwei Jahre hat es gedauert, bis das Treffen mit Ilka Bessin zustande kommt. Sie sei sehr beschäftigt gewesen, entschuldigt sie sich, ein neues Showprogramm, an dem sie arbeitet, sie hat eine eigene Modelinie entworfen, war für RTL als Reporterin im Einsatz. Zuletzt hat sie ein Buch mit dem Titel „Abgeschminkt“ herausgebracht, ihre Biografie.

Aber nun betritt sie das Café in Wilmersdorf, und man erkennt sie sofort, auch ohne den pinkfarbenen Jogginganzug. Ilka Bessin war einmal Cindy aus Marzahn, die prollige Nervensäge, die mehr als zehn Jahre lang aus keiner Comedy-Sendung wegzudenken war. Dort erzählte sie sie mit galligem Humor und gebrochenem Herzen von ihrem Verlierer-Alltag. Und lächelte selbst dann nicht, wenn sich das Publikum ausschüttete vor Lachen.

Ilka Bessin steuert die hinterste Ecke des Cafés an. Sie ist groß, „aber nur 1,84“, sagt sie. Im Internet ist zu lesen, sie wäre mindestens 1,90 groß, oft wird sie noch größer gemacht. Woher dieses Gerücht komme, wisse sie nicht, aber dass das, was da so über sie geschrieben stehe, oft nicht der Wahrheit entspreche, wisse man ja wohl selber, sagt sie. Man kennt sie hier.

Es gibt ein Küsschen von der Kellnerin, und Bessin verteilt ihren Kram auf der weißen Tischdecke. Nichts davon deutet auf ein größeres Vermögen hin, mal abgesehen vielleicht von einer schwarzen Louis-Vuitton-Börse.

Aber die hätte auch Cindy aus Marzahn besitzen können, als Imitat, versteht sich.

Ilka Bessin setzt sich, zupft ihr T-Shirt zurecht, darauf ist eine Bulldogge mit Sonnenbrille, sie bestellt Apfelschorle, lehnt sich zurück, die Wand als Stütze im Rücken. „Wollen wir uns duzen“, fragt sie. Eine unerwartete Nähe entsteht, und es passt, dieses Bodenständige und Unprätentiöse. Das ist sie, und es scheint Ilka Bessin wichtig zu sein, dass man das spürt: Hier sitzt jemand, dem ist der Ruhm nicht zu Kopf gestiegen ist, nicht die ausverkauften Abende in den Hallen mit den Tausenden von Fans, nicht das Gastspiel in New York. Klar, das sei toll gewesen, aber sie sei froh gewesen, wieder in Berlin zu sein. Und wenn sie hier morgens mit dem Hund rausgehe, dann weder mit Sonnenbrille noch mit einem riesigen Hut.

Ob sie da ein wenig verquollen aussehe, sei ihr wurscht und man glaubt es ihr. Was will man von Ilka Bessin wissen? Die Zeit ihres großen Erfolgs mit Cindy aus Marzahn ist vorbei. Sie hat die Kunstfigur beerdigt.

„Die Geschichte war einfach auserzählt“, sagt sie, nicht genervt, aber routiniert und spielt mit ihrem Schlüsselanhänger. Natürlich hätte sie weitermachen können mit der Cindy, den Witzen über das Gewicht und über das Leben am Rande der Gesellschaft, aber das wäre langweilig gewesen.

Vielleicht ist es das, was man von ihr gerne erfahren würde: wie man lernt, sich immer wieder neu zu erfinden. Ilka Bessin wirkt nicht wie jemand, der Langeweile gut erträgt. Ihr Leben war von einer gewissen Rastlosigkeit geprägt, bis sie mit ihrer Kunstfigur Cindy aus Marzahn bekannt wurde.

Ilka Bessin begann mit 30, sich nutzlos zu fühlen - und erfand Cindy aus Marzahn 

Dick sei sie immer gewesen, sagt sie, beliebt nie, geliebt selten, nie der Star auf der Tanzfläche im Jugendheim in Luckenwalde, der Kleinstadt in Brandenburg, wo sie geboren wurde und aufwuchs. Wenn sie über die Zeit vor ihrem Erfolg spricht, bekommt Ilka Bessins Gesicht etwas Hartes, Unnachgiebiges.

Man sieht ihr an, dass sie durch einige Täler musste, um die zu werden, die sie heute ist. Und wohl auch durch einige Täler mehr als andere Menschen. Köchin war sie, Hotelfachfrau, tingelte in den Nachwendejahren auf der Suche nach Jobs durch das wiedervereinte Deutschland, bevor sie als Animateurin auf dem Kreuzfahrtschiff Aida ihre ersten Erfahrungen auf der Bühne machte – vor angeheiterten Touristen und anspruchsvollen Rentnern, Shuffleboard bei 40 Grad im Schatten und immer lächeln, lächeln, lächeln.

„Ein Knochenjob war das. Aber ich habe es gerne gemacht, es gab einen tollen Zusammenhalt im Team.“ Zusammenhalt, der ist ihr wichtig. Sie habe nicht viele Freunde, aber ein paar, für die sie „auch nachts nach Hamburg fahren würde, im Schlafanzug, wenn es sein muss“.

Aber das erwarte sie auch von engen Freunden, sagt Ilka Bessin und hat wieder diese Entschlossenheit im Gesicht, die Menschen auszeichnet, die ihre Enttäuschungen hinter sich gelassen haben.

Sie lehnt sich gegen die dunkel getäfelte Wand und verschränkt die Arme vor der Brust, eine Bewegung, die sie oft wiederholt, so verleiht sie dem Gesagten Nachdruck. Eine Geste, die auch bedeutet: Es ist alles zu dem Thema gesagt. 

Nach der Arbeit auf der Aida wird sie Geschäftsführerin in einem Café in Schöneberg, ein Traumjob, für den sie lebt, wie sie betont – und ein Traum, der von einer Sekunde zur anderen vorüber ist. Ihr wird gekündigt, weil sie für die neuen Betreiber zu teuer ist. Ilka Bessin ist arbeitslos. Das Amt hilft nicht weiter, außer mit Jobs im Billiglohnsegment. Ein Geschäftsführerposten in der Gastronomie, wo vieles durch Mundpropaganda entschieden wird, ist nicht dabei. Erscheint ihr die Arbeitslosigkeit zu Beginn noch wie eine Erholung von den Kreuzfahrt-Jahren mit den Sieben-Tage-Arbeitswochen und vom aufreibenden Job im Café, so bekommt die erzwungene Untätigkeit schnell einen faden Beigeschmack.

Ilka Bessin, nicht mal 30, beginnt sich nutzlos zu fühlen und – das sind die stärksten Stellen in ihrem Buch – gerät in eine Art lähmenden Trott, den viele Arbeitslose beschreiben. Es ist ein Sog nach unten. „Ich stand drei Tage lang nicht auf, für wen denn auch? Ich fraß – Salami-Stullen, Nudeln mit Ketchup, Nutella-Stullen, der Fernseher lief ständig. Nur die Zähne, die putzte ich mir immer. Neue Zähne hätte ich mir ja nicht leisten können“, erzählt Ilka Bessin, inzwischen 47 Jahre alt.

Mit Cindy aus Marzahn schuf Ilka Bessin etwas Neues 

Sie spricht von der Demütigung, die man empfindet, wenn draußen das Leben weitergeht und man selbst gerade noch die Energie aufbringt, den Termin bei der Sachbearbeiterin nicht zu verschlafen. „Am Montag schreibt man eine Bewerbung, und plötzlich ist es schon Donnerstag. Man schaltet den Fernseher nach dem Aufwachen ein, und prompt ist es 14 Uhr. Man gewöhnt sich auch an den bitteren Geschmack. Ich fühlte mich nutzlos, und in meinen schlimmsten Momenten erschien mir das alles auch noch richtig. Ich war arbeitslos und ungeliebt. So war das“, sagt sie und verschränkt die Arme, von der Bulldogge auf ihrem Shirt sieht man jetzt nur noch die Sonnenbrille.

So vergehen vier Jahre. Dann befreit sie sich selbst, zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf aus Frust und Perspektivlosigkeit. Das ist vielleicht eine von Bessins bemerkenswertesten Eigenschaften – am Ende die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sich auf niemanden zu verlassen.

„Dafür bin ich nicht der Typ. Ich weiß ja, was ich erlebt habe“, sagt sie. Die Idee zu Cindy aus Marzahn kam Bessin bei einem ihrer Fernsehmarathons, es war Thomas Hermanns „Quatsch Comedy Club“, der den Impuls gab für einen Neuanfang. Das Konzept war damals, zu Beginn der 2000er-Jahre, neu in Deutschland: Stand-up-Comedy, Improvisation und ein Humor, der sich emanzipierte von den steifen Gags der Moderatoren und vom Nonsens der britischen Vorbilder. Und der vermehrt Frauen auf die Bühne brachte. Ilka Bessin hatte auf ihren Kreuzfahrten Erfahrung gesammelt, hatte als Animateurin auf der Bühne auch eine Putzfrau gespielt. Und sie schaffte es in die Talentschmiede des Comedy Clubs: Cindy aus Marzahn alberte sich zügig durch Publikums-Vorentscheide und in die Herzen der Zuschauer und gewann am Ende den begehrten Nachwuchspreis des Clubs.

Das war 2004. Bessin hatte mit Cindy aus Marzahn etwas Neues geschaffen. Einen traurigen Clown im Jogginganzug, in den besten Momenten einen weiblichen Karl Valentin, der mit bitterem Humor aus seinem Leben erzählt. Das Publikum liebte Cindy für diese Brüche und für Sprüche wie „Ich habe Alzheimer-Bulimie, morgens fresse ich und abends vergesse ich zu kotzen“. Angetan in Pink, eine billige Perücke auf dem Kopf, sprach da jemand plötzlich von einem Alltag im Sozialbau, von der Stütze und den besoffenen Männern, den unehelichen Kindern, die Jeremy Jaden James hießen oder Cheyenne. Das war neu, und es war anders als die dröhnenden Gags von Atze Schröder oder Mario Barth. Dass diese mit ihren Gags und ihren Figuren immer noch unterwegs sind und Bessin die Cindy abgelegt hat, liegt auch daran, dass Ilka Bessin ihrer Figur wesentlich näher ist. Denn im Grunde hat sie einem Publikum aus ihrem eigenen Leben erzählt. Das Publikum amüsierte sich, ihr selbst war oft nicht nach Lachen zumute. 

Ilka Bessin nicht als Cindy aus Marzahn: Ihr neues Bühnenprogramm soll politischer werden 

„Die Leute haben ja nicht nur über Cindy aus Marzahn gelacht, sondern auch über mich. Wenn ich irgendwo sitze und ein Eis esse, dann sagen die Leute nicht: ,Guck mal, die genießt ihr Eis.‘ Nein, sie denken: ,Muss die Dicke jetzt auch noch ein Eis essen?‘ Man wird immer verurteilt, vorab. Ganz egal, ob als Cindy oder Ilka Bessin. Und das tut weh. Und zwar immer.“

Doch sie ist damals natürlich auch glücklich über den Erfolg, und der ist enorm. Das Leid des anderen ist ja immer das schönste. Und so tourt Bessin als Cindy durch immer größer werdende Hallen. Zehn Jahre geht das so. Das Feuilleton betrachtet sie als Phänomen, Harald Schmidt spricht vom Prekariats-Fernsehen, damit ist auch Cindy aus Marzahn gemeint. Die begeistert selbst am Broadway, die New York Times schreibt über „an accidental Comedian of the people“ und den schwindenden deutschen Mittelstand – Humor aus Deutschland, das glaubt man kaum. 

Doch irgendwann sei Schluss, sagt Ilka Bessin im Café, das Gespräch nähert sich dem Ende. Sie müsse die Cindy nicht mehr spielen. 2016 hört sie auf und versucht sich danach auf verschiedenen Gebieten: Mode, Moderationen, macht Comedy auf Netflix im Halbstundenformat. Eigentlich sollte sie als Ilka Bessin schon wieder mit einem neuen Programm unterwegs sein, doch dieses Programm gefalle ihr noch nicht, sagt sie. Außerdem sei der Erfolg ihres Buches „Abgeschminkt“ dazwischengekommen, Platz sechs auf der Amazon-Bestseller-Liste. 

Bessin hat die Tour in den Herbst verschoben, sie kann es sich leisten, sich Zeit zu lassen, sie hat schon einmal die Massen erobert und war clever genug, die Cindy rechtzeitig zu beerdigen, nicht ewig durchs Land zu ziehen wie ein Schlagersänger, dessen Publikum immer nur den einen großen Hit hören will.

Politischer soll das neue Programm sein, und damit liegt sie wohl richtig. Comedy hat eine neue Form gefunden seit dem Ende des Mädchens aus Marzahn, eine neue weibliche Generation von Comedians hat dieser Cindy einiges zu verdanken, soziale Härte auf der Bühne gehört heute zum Programm bei Enissa Amani oder Jilet Ayse, die zudem ihren Migrationshintergrund zum Thema machen. 

Sie sind bei Ilka Bessin in die Schule gegangen, haben sich bedient bei ihrem Prolo-Humor und den scharfkantigen Sprüchen, sind aber wesentlich selbstbewusster in der Gestaltung ihrer Bühnenfiguren. Ilka Bessin muss bald los, der nächste Interviewer wartet, sie wirkt entspannt.

„Ich muss mir nichts mehr beweisen“, sagt sie zum Abschied. Sie wird noch einen kleinen Moment sitzen bleiben, das Café ist so etwas wie Heimat für sie. (mz)