Spanien Spanien: «Wir sind das Bordell Europas»

Madrid/dpa. - «Aus anderenStraßen hat die Polizei die Prostituierten vertrieben, nun kommen siehierher.» Zuweilen greifen Bewohner des Stadtzentrums zu rabiatenMethoden und schütten Liebesdienerinnen unter ihrem Fenster Wasserauf den Kopf.
Die Prostitution erlebt in Spanien einen beispiellosen Boom. NachSchätzungen gehen rund 350 000 Huren ihrem Gewerbe auf Parkplätzenund Straßen, in öffentlichen Parks, Privatwohnungen und Bordellennach. Das sind - gemessen an der Bevölkerungszahl - doppelt so vielewie in Deutschland. «Spanien ist zum Bordell Europas geworden»,empört sich die Presse. Die Spanier geben nach einer Schätzung imJahr etwa 18 Milliarden Euro für die käufliche Liebe aus. Das sindetwa 40 Prozent von der Summe, die der Staat in die Bildunginvestiert.
Die Polizei führt einen aussichtslosen Kampf gegen den Vormarschder Prostitution. Häufig bleibt ihr - auch wenn dies wie ein billigerKalauer klingen mag - dabei kaum mehr als der Rückgriff auf dieMittel der Verkehrsregelung. Aus der Madrider Capitán-Haya-Straßevertrieben die Beamten Liebesdienerinnen und Freier, indem sie mitviel Blaulicht Alkoholkontrollen für Autofahrer installierten. Beider Aktion ging es nicht darum, betrunkene Fahrer zu schnappen,sondern die Prostitution zu verdrängen. In den Parkanlagen der Casade Campo, wo sich bis vor kurzem das größte Freiluftbordell Spaniensbefunden hatte, wurden Straßen für den Autoverkehr gesperrt.
Andere Mittel haben die Behörden nicht, denn in Spanien gibt eskein Gesetz, das die Prostitution ausdrücklich verbietet. Dies machensich internationale Zuhälterbanden zu Nutze. Die Mafiosi fanden inSpanien ein Eldorado. Mittlerweile kommen über 80 Prozent derProstituierten aus dem Ausland, überwiegend aus Osteuropa,Lateinamerika und Afrika. Viele dieser Frauen und Mädchen wurdenunter falschen Versprechungen ins Land geschleust und von Zuhälternzur Prostitution gezwungen.
Die Politiker sind sich einig, dass etwas geschehen muss, könnensich aber zu keiner Gesetzesinitiative durchringen. Das schwedischeModell, das ein Verbot der Prostitution und eine Bestrafung derFreier beinhaltet, geht vielen zu weit. Das Vorgehen der Niederlande,käuflichen Sex zu erlauben, aber zu reglementieren, gilt als zulasch. Sogar die Gewerkschaften sind sich uneinig. Während dieArbeiterkommissionen (CCOO) dazu neigen, die Prostitution als eineArt von Arbeit zu verstehen, die es zu reglementieren gilt, sieht dieAllgemeine Union der Arbeit (UGT) sie als eine Form der Sklaverei,die abzuschaffen ist.
Am weitesten vorgewagt hat sich Katalonien. Die Region imNordosten Spaniens legte einen Gesetzentwurf vor, der denStraßenstrich für illegal erklären und die Prostitution nur noch inzugelassenen Bordellen erlauben soll. «Mir wäre eine Welt ohneProstitution lieber», betonte die katalanische InnenministerinMontserrat Tura. «Aber wenn wir auf der Maximallösung bestehen, wirdletzten Endes - wie in all den Jahren zuvor - nichts geschehen.»
Die Prostitution war in Spanien bereits in den 30er und 50erJahren zeitweise verboten, existierte in der Praxis aber weiter. Fürdie rasante Zunahme in letzter Zeit haben die Experten keineplausible Erklärung. Die einen nennen die lockere Gesetzgebung alsUrsache, die anderen den Boom der spanischen Wirtschaft. Nach einerStudie nahmen 25 Prozent der spanischen Männer zwischen 18 und49 Jahren wenigstens einmal die Dienste einer Prostituierten inAnspruch. «Wenn man hier dem Beispiel Schwedens folgte, müsstenHunderttausende von Männern festgenommen werden», meint einPolizei-Experte.