Schweden Schweden: Falscher Massenmörder seit 18 Jahren in Haft
Stockholm/MZ. - Schweden erlebt derzeit einen der größten Rechtsskandale seiner Geschichte. Der berüchtigtste Serienmörder des Landes war offenbar keiner. Thomas Quick hatte nach einem Bankraub in den 90er Jahren gestanden, zwischen 1969 und 1991 mehr als dreißig Menschen ermordet zu haben. Seit 18 Jahren sitzt er für acht Mordverurteilungen ein.
Doch anscheinend ist der heute 62-Jährige, den seine sechs Geschwister schon in jungen Jahren für sein Bühnentalent bewunderten, unschuldig. Am Freitag hat ein Gericht im nordschwedischen Umea einem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben, auch die letzten drei Mordverurteilungen erneut zu verhandeln. Für fünf Morde wurde er bereits nachträglich freigesprochen.
"Ich bin sehr froh über den heutigen Revisionsentscheid. Ich möchte endlich wieder freikommen", sagt Bergwall im rechtspsychiatrischen Gefängnis Säter. Er beteuert: "Ich habe keinen der Morde begangen, für die ich verurteilt worden bin und auch keinen der anderen", sagt Quick gegenüber der MZ. Seit 2002 trägt er wieder seinen Geburtsnamen Sture Bergwall. Mit dem will er auch angesprochen werden. Er wolle nicht mehr der Massenmörder sein, den er so lange unter dem Namen Quick gespielt hatte.
Wie es ausgerechnet im rechtsstaatlichen Schweden zur dieser Verurteilung ohne ausreichende Beweise kommen konnte, enthüllte erstmals eine Reportage des schwedischen Fernsehens SVT vor einigen Jahren. Demnach soll Quick alias Bergwall die Taten aus einem krankhaften Aufmerksamkeitsbedürfnis heraus gestanden haben. "Es hat mir gefallen, im Mittelpunkt zu sein. Ich wurde ernst genommen und habe interessante Gespräche mit intellektuellen Menschen führen dürfen", erinnert sich Bergwall.
Die ermittelnden Polizeibeamten und der damalige Oberstaatsanwalt sollen zudem laut SVT entlastende Elemente bewusst ignoriert haben. Es hätte sich für die beruflichen Aussichten der Beamten gelohnt, Quick dingfest zu machen, deutete SVT an. Ein Kriminalinspektor stellte etwa das Aufnahmeband bei Verhören auf Pause. "Ich rauchte damals. Wir gingen auf den Balkon, er legte seine Hand auf meine Schulter und sagte mir, was ich betonen und was weglassen sollte, wenn wir wieder reingehen würden, immer und immer wieder", beschreibt Bergwall detailreich. "Beim ersten Geständnis bekam ich so viel Aufmerksamkeit, es war wie ein Rausch, ich machte weiter und wurde mit Psychopharmaka belohnt", sagt Bergwall. Fleißig gestand er immer weitere Morde. Anstaltsärzte pumpten Bergwall jahrelang mit berauschenden Benzodiazepinen voll. Schon damals gab es Zweifel. Der Psychiater Ulf Aasgaard traf Bergwall 1995. "Mein Ergebnis war, dass er nicht glaubwürdig war. Damit war ich aus dem Fall raus.
Dann kam der Bruch. Ein neuer Arzt setzte alle Medikamente ab. Nach acht Monaten Entzug wachte Bergwall mit der Erkenntnis auf: "Ich will nicht mehr schuldig sein, ich will nicht mehr eingesperrt sein", erinnert er sich. 2008 widerrief er alle Geständnisse. Er berief sich auf den Einfluss der Medikamente und seine Geltungssucht. Inzwischen scheint daraus eine Mission geworden zu sein. "Ich will die Menschen darüber aufklären, dass wir in Schweden nicht rechtssicher leben, sondern, dass Gerichte von Polizisten und Staatsanwälten manipuliert werden."