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Schülergangs in Köln Schülergangs in Köln: Der Abi-Straßenkrieg von Köln

Von Giacomo Carturan 26.03.2015, 15:35
In einem Video auf Youtube präsentieren sich die Schüler als Armee.
In einem Video auf Youtube präsentieren sich die Schüler als Armee. screenshot youtube Lizenz

Am Freitag ist für die Abiturienten des Abschlussjahrgangs 2015 der letzte Schultag. Die Vorfreude auf die neu gewonnene Freiheit ist groß. In Nordrhein-Westfalen ist es in vielen Städten zu einer Tradition geworden, dass sich die Schüler in ihrer letzten Schulwoche verkleiden. In der sogenannten Mottowoche entwickeln die Schüler ausgefallene Kostüme zu den unterschiedlichsten Themen – Rotlichtmilieu, Helden der Kindheit oder die wilden 68er. Alles ist dabei. Während in den meisten Städten die Feierlichkeiten rund ums Abitur friedlich verlaufen, kommt es in Köln in den letzten Jahren jedoch vermehrt zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Schülern der verschiedenen Gymnasien.

Ästhetik der Gewalt

Es begann im Jahr 2013, im Kölner Süden. Unter verschiedenen Decknamen wie zum Beispiel KKK (Kölsch Kraat Kommando) zogen die Schüler mit Schilden, Stöcken, Mehl, Eiern und Feuerwerkskörpern vor andere, als „feindlich“ erklärte Schulen, um sich in nächtlichen Schlachten zu messen. Schnell verbreitete sich das Phänomen in der gesamten Stadt. Provozierende Videos wurden auf Youtube hochgeladen. Insbesondere das KKK fällt hier mit einem erstaunlich breiten Stilmix auf: Das aktuelle Video bedient sich mit seiner Bildersprache beim Ku-Klux-Klan, den IS-Terrormilizen und Gangster-Rappern – eine Ästhetik des Schreckens und der Gewalt wird hier aufgerufen und gekonnt in Szene gesetzt.

Dazu passen dann durchaus auch die eher kriminalistisch erheblichen Tatbestände, von denen die Polizei zu berichten weiß, etwa Vandalismus, Hausfriedensbruch und Körperverletzung. Die Angriffe werden minuziös geplant und koordiniert. Schüler schwänzen die Schule, um sich auf die allabendlichen Schlachten vorzubereiten. Schulfassaden werden mit Farbballons und Graffiti beschmiert. 2013 äußerte sich der Kölner Polizeisprecher Andreas Frische gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Das sind keine Streiche mehr, da sind wir im Bereich eines Straftatbestandes.“ Insgesamt wurde ein Schaden von ungefähr 40000 Euro verursacht.

Im Folgejahr ging es einigermaßen friedlich zu: Der Abi-Jahrgang 2014 wurden von den Verantwortlichen der Schulen unter Druck gesetzt. So erging das Verbot an die Schüler, sich in der letzten Schulwoche den anderen Schulen zu nähern. Und tatsächlich, die Schüler blieben zumeist friedlich. Straßenschlachten fanden nicht statt. Es kam zwar zu einigen Sachschäden, doch waren die nicht vergleichbar mit denen des Vorjahres. Die Verantwortlichen von Schulen und Ämtern zeigten sich erleichtert; die verhängten Vorschriften schienen Wirkung zu zeigen.

Saufgelage: Eine Abifeier in Frankfurt am Main löste 2013 einen Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr aus. In einem Park hatten sich rund tausend Jugendliche so betrunken, dass sie notärztlich versorgt werden mussten.

Schaumparty: Nach einer misslungenen Feier mit Partyschaum mussten im Juni 2013 in Kronberg 200 Schüler mit Atembeschwerden und Brechreiz ins Krankenhaus.
Schlechter Scherz: Abiturienten aus der Nähe von Würzburg wollten nach bestandener Prüfung im Juni 2009 einen Film drehen und stürmten vermummt in eine Bank. Dann stellten sie eine Geiselnahme nach. Ein Großeinsatz der Polizei war die Folge.

Massenhysterie: Ein Großeinsatz der Feuerwehr beendete im April 2014 eine Abiparty in Hamburg. Dutzende jüngere Schüler hatten über Vergiftungssymptome geklagt. Die bestätigten sich zwar nicht, die Ärzte diagnostizierten aber eine „kollektive Massenhysterie“.

Randale: Betrunkene Gäste einer Abifeier gingen im Juli 2010 in Sindelfingen (Baden-Württemberg) auf Polizisten los – die wehrten sich mit Pfefferspray. Nachbarn hatten sich über zu laute Musik beschwert.

Doch in diesem Jahr flammt die Gewalt wieder auf. In der Nacht auf Mittwoch sollen nach Angaben der Kölner Polizei im Stadtteil Nippes – rund um das Leonardo da Vinci Gymnasium – viele Schüler auf der Straße gewesen sein. „Dabei kam es zu einigen Sachbeschädigungen an Fassaden und Autos. Auch zwei Verletzte wurden gezählt“, sagte der Sprecher der Kölner Polizei, Christoph Gilles. Auf Twitter empörte sich eine Anwohnerin. Das, was vor ihrem Haus passiere, erinnere sie an „bürgerkriegsähnliche“ Zustände. Die Schulleiterin des Gymnasiums Rodenkirchen in Köln, Almut Roselieb, zeigte sich empört: „An unserer Schule wurden dieses Jahr bereits einige Fenster zerstört. Die Statue, welche ein Zeichen unserer Schule ist, wurde mit Papier umwickelt und angezündet.“

Schon vor zwei Wochen ging es los. Banner wurden an Schulen aufgehängt und Kuhmist vor den Eingängen platziert. „Wir fürchteten, dass es einen ähnlichen Verlauf nimmt wie vor zwei Jahren“, sagt Schulleiterin Roselieb der Berliner Zeitung. Wie stehen die Schüler zur Gewalt? Wir fragen den Schülersprecher des Gymnasiums Rodenkirchen, Moritz Dege. Sein Antwort: „Mit solchen Handlungen möchten wir nichts zu tun haben. Das hat jegliche Relation verloren. Viele Beteiligten nutzen die Mottowoche einfach zum Randalieren. Wir haben auch am Tag nach dem schrecklichen Flugzeugabsturz in Südfrankreich auf Musik und große Festlichkeiten verzichtet.“

Die Randale gehen weiter

Doch denken offenbar nicht alle so wie Moritz Dege. In anderen Stadtteilen gehen die Randale weiter. Laut Kölner Polizei flogen bislang in jeder Nacht Feuerwerkskörper. „Manche Schüler scheinen Scherze von strafbaren Handlungen nicht mehr unterscheiden zu können“, kommentiert die Kölner Polizei die nächtlichen Unruhen.

Doch worin besteht der Reiz für den sogenannten Abikrieg? Ein Schüler versucht, uns das zu erklären: „Die Auseinandersetzungen mit den anderen Schulen geben uns die Möglichkeit, im kleinen Kreise Krieg zu spielen. In den Massen werden wir anonym. Unser Handeln wird von vielen unserer Mitschüler akzeptiert.“ Solche Äußerungen irritieren, Kriegsspiel an Schulen, wenigsten einmal im Jahr die Sau raus lassen – Egoshooter mit angezogener Handbremse?

Wir fragen beim NRW-Bildungsministerium nach. Dort sieht man die Verantwortung allerdings bei den Schulen: „Die Schulen sind sicherlich in der Pflicht, die Schüler nicht nur akademisch, sondern auch menschlich und sozial zu bilden.“ Viele Schulen würden beispielsweise eng mit den Vertretern der Polizei zusammenarbeiten, um deutlich zu machen, wo die Grenzen für das Handeln der Schüler liegen. Außerdem empfiehlt das Bildungsministerium den Schulen, mit den Schülern in Kontakt zu treten, um einen Kompromiss zu finden. Es sei dringend notwendig, Vereinbarungen zu treffen, damit solche Ausschreitungen schon im Vorhinein unterbunden werden.

Klingt gut. Wie ein Sieg der Vernunft: Seid nett zueinander. Oder: Haltet inne, es gibt Wichtigeres. Erinnerte Schülersprecher Moritz Dege nicht an den Flugzeugabsturz in Südfrankreich, bei dem auch Schüler aus Nordrhein-Westfalen ums Leben kamen? Wir fragen noch einmal einen Schüler. Seine Antwort ernüchtert: „Es ist jetzt unsere Zeit, die kommt nur einmal im Leben. Da ist mir, ehrlich gesagt, ein Flugzeugabsturz egal. Die Trauer in diesen Tagen ist besonders groß, nur weil es dieses Mal eine deutsche Maschine getroffen hat. Auf der ganzen Welt sterben täglich Hunderte von Menschen im Krieg oder an dessen Folgen.“

Screenshot aus den Videos des „Kölsch Kraat Kommandos“. Die Jugendlichen provozieren. Es sind keine Scherze mehr, die hier gemacht werden. Die Machart der Videos erinnert an IS und Ku-Klux-Klan.
Screenshot aus den Videos des „Kölsch Kraat Kommandos“. Die Jugendlichen provozieren. Es sind keine Scherze mehr, die hier gemacht werden. Die Machart der Videos erinnert an IS und Ku-Klux-Klan.
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