Schnapszahl Schnapszahl: «Aus Spaß wird Wissenschaft»

Berlin/MZ - Am Freitag ist der 11.11.11. Um 11.11 Uhr beginnt obendrein der Karneval. Und viele Paare, die gerade am Freitag vor den Traualtar treten wollen, haben die Elf zu ihrer Glückszahl erkoren.Über Zahlen und deren Bedeutung sprach MZ-Redakteur Gunther Immenhoff mit Günter M. Ziegler, Mathematikprofessor an der Freien Universität Berlin und Mitglied im DFG Forschungszentrum Matheon.
Haben Sie eine Glückszahl?
Ziegler: Ja, das ist die Fünf. Das hat wenig mit Mathematik zu tun, sondern kommt daher, dass ich vier Brüder habe.
Ist die Elf auch für den Mathematiker eine besondere Zahl?
Ziegler: Es gehört es zum menschlichen Forscherdrang, dass man auch bei solchen Zahlen und Daten nach Mustern sucht. Dass man versucht, sie zu erklären, und nach einem tieferen Sinn sucht. Hinter jeder Frage, die man dazu stellt, stehen gleich mehrere weitere Fragen. Zum Beispiel die, wann kommt denn das nächste Mal solch ein besonderes Datum? Das ist einerseits Spiel und andererseits der Anfang von Wissenschaft. So hat der große Mathematiker Carl Friedrich Gauß auf die Frage nach dem Datum für das Osterfest, das ja von Jahr zu Jahr wild durch den Kalender springt, eine sehr komplizierte Formel entwickelt, nach der man das berechnen kann.
Zurück zur Elf. Ihr wird eine besondere Bedeutung beigemessen, so wird angenommen, sie stehe neben der Zehn für die zehn Gebote als Zahl für die Sünde. Sind solche Deutungen willkürlich oder entdecken Sie dahinter tieferen Sinn?
Ziegler: Wenn man sich die kleineren Zahlen anschaut, dann ist jede einzelne auch mit einer Symbolik behaftet. Die Eins steht für den einen Gott, die zwei ist ein Paar, die drei steht für die Dreifaltigkeit... Das sind Dinge, die von Menschen hineininterpretiert werden, die ich deshalb aber auch nicht abtun möchte.
Man stößt dabei immer wieder auf die Primzahlen.
Ziegler: Die Primzahlen sind auch für mich etwas Besonderes. Die Elf ist ja auch eine,die kleinste zweistellige Primzahl. Sie werden auch Atome der Zahlentheorie genannt: Man kann alle Zahlen durch das Multiplizieren von Primzahlen erhalten. Aber die Primzahlen erhält man nicht als Produkt von kleineren Zahlen. Auch deshalb sind sie seit der Antike studiert worden. Als mathematische Objekte und auch mit Mythologie belegt. Und auch da ist die Neugier, die Spielerei ein Anfang von tiefer Wissenschaft.
Bis heute?
Ziegler: Die Muster in den Primzahlen beschäftigen die Wissenschaft bis heute. Da ist die Elf nicht nur die kleinste zweistellige Primzahl sondern auch als Palindrom interessant - Palindrome sind Zahlen oder Worte, die von vorn wie hinten gelesen dasselbe ergeben. Denn auch Palindrome sind ein Muster, das zum Beispiel neugierig macht, andere Primzahl-Palindrome zu finden. Dabei ist die Elf das einzige zweistellige Primzahl-Palindrom, das nächste wäre die 101. Ganz ähnliche Muster werden zum Beispiel in der Kryptografie studiert, der Wissenschaft der Verschlüsselung von Informationen, deren technische Bedeutung im Zeitalter des Internets und der Hochtechnologie immer größer wird. Daran hängen dann zum Beispiel solch wichtige Fragen wie die Datensicherheit. Das reicht bis in unseren Alltag, wenn wir etwa ein sicheres E-Mail-Passwort suchen. Begonnen hat all das mit Fragen und Neugier.
Wann begann der Mensch, sich mit Zahlen zu beschäftigen?
Ziegler: Für mich ist der Anfang der Mathematik der so genannte Ishango-Knochen. Der versteinerte Tierknochen wurde im 1960 im Kongo gefunden und liegt im Naturhistorischen Museum in Brüssel. Das 20 000 Jahre alte Fundstück weist Kerbungen auf,die die zahlen Elf, 13, 17 und 19 darstellen - also Primzahlen! So etwas entsteht nicht durch Zufall, da hat jemand ganz bewusst ein mathematisches Muster erzeugt.
Wenn die Mathematik 20 000 Jahre alt ist, warum werden dann bis heute auch in den verschiedenen Kulturen so viele unterschiedliche Dinge in Zahlen interpretiert?
Ziegler: Die Antwort steckt in der Frage. Beispiel: Freitag der 13. Er wird zurückgeführt auf 13 Menschen, die beim Abendmahl dabei waren, er zieht sich durch Märchen bis hin zu einem Börsenroman, den der Amerikaner Thomas William Lawson 1907 geschrieben hat. Das alles hat nichts mit Mathematik zu tun, sondern mit Kultur, Aberglauben oder Geschichten, die jemand erfunden hat. Kein Zufall ist es, dass man sich dafür gerade Primzahlen hernimmt.
Übrigens gehören die Elf und die 13 irgendwie zusammen. Sie sind Primzahlzwillinge, diese sind selten: Es liegt nur eine Zahl zwischen ihnen, das macht sie wieder interessant. Das wir die Unglückszahl 13 in Europa und Amerika zum Beispiel gemeinsam haben, das zeigt, dass der Glaube daran kulturell bedingt ist. In anderen Kulturkreisen muss zum Beispiel die 17 als Unglückszahl herhalten.
Und wie sieht es mit der magischen 42 aus, die doch sogar in modernen Computerprogrammen auftaucht?
Ziegler: Dies geht auf den Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams zurück, in dem ein Computer die Zahl 42 als Antwort auf die Frage „nach dem Leben,dem Universum und Allem“ errechnet, nach siebeneinhalb Millionen Jahren aber nicht mehr sagen kann, was denn eigentlich die Frage war. Das Buch hat auch die Fantasie einiger Entwickler in der Computerbranche beflügelt. Und Spaß an Zahlen ist gut! Klar bleibt aber auch, dass wir aus Zahlen tiefere Einsichten in unsere Welt gewinnen, dass alle unsere Naturwissenschaften auf ihnen beruhen. Zahlen sind die Basis unserer Hochtechnologie, aber eben nicht eine einzelneZahl.
Was würden Sie uns für den 12.12. 12 mit auf den Weg geben?
Ziegler: Ich würde empfehlen, Weihnachtseinkäufe zu machen und nicht auf den 13. 13. 2013 zu warten, weil es den nicht geben wird. Und das hat doch vielleicht auch wieder etwas Beruhigendes.