Schifffahrt Schifffahrt: «Alles klar auf der Andrea Doria?»

Washington/dpa. - Die Passagiere saßen gerade zusammen auf dem Schiff,feierten Abschied nach der Tour über den Atlantik, waren fröhlich,aufgekratzt, denn morgen würden sie in New York sein. Da passiert es,um 23.06 Uhr: Wie ein Riesendolch bohrt sich der Bug der schwedischen«Stockholm» vor der US-Ostküste mit gewaltiger Wucht in dieRumpfseite der «Andrea Doria» und schlitzt ihren Leib auf. Wasserstürzt in die zu diesem Zeitpunkt fast leeren Treibstofftanks.
Etwa 50 Menschen, die meisten davon Passagiere des italienischen30 000-Tonnen-Schiffes, sterben. Der Todeskampf der «Andrea Doria»selbst dauert elf Stunden - dann kentert sie und versinkt. Nein,nichts war klar in dieser Nacht vor 50 Jahren, aber später weiß manauch, es hätte noch schlimmer kommen können. Vor allem der rascheBeistand durch andere Schiffe verhinderte eine Katastrophe vom Ausmaßder «Titanic»-Tragödie von 1912, die über 1500 Menschenleben kostete.
Sie war der Stolz der italienischen Kreuzfahrtflotte, die 212Meter lange und 30 Meter breite «Andrea Doria» der Reederei «Societàdi navigazione Italia», supermodern und mondän, mit gleich dreiFreiluft-Swimmingpools. Und als besonders sicher galt das nach einemgenuesischen Admiral aus dem 16. Jahrhundert benannte Schiff auch.Einen Doppelboden hatte es und - im Gegensatz zur nach der Kollisionmit einem Eisberg gesunkenen «Titanic» - Rettungsboote für alle.
Am Abend des 25. Juli hat die in Genua aufgebrochene «AndreaDoria» mit 1134 Passagieren und 572 Besatzungsmitgliedern an Bord ihrZiel New York fast erreicht. Sie nähert sich schon Nantucket vor derKüste von Massachusetts, nur noch gut 200 Seemeilen (etwa 370Kilometer) sind es bis zum Hafen der US-Ostküstenmetropole. Zurselben Zeit fährt die «Stockholm» in umgekehrter Richtung mit Kursauf das schwedische Göteborg. Wie es in dem riesigen Seegebiet zurKollision kommen konnte, wurde nie gänzlich geklärt - auch nicht ineiner späteren Seegerichtsverhandlung, die mit einem Vergleichzwischen den beiden Reedereien endete.
Aber so viel kristallisierte sich doch heraus: Die «Andrea Doria»fährt in dichtem Nebel, die «Stockholm» unter klarem Himmel, als dasRadar auf beiden Seiten einen gefährlich dichten Parallelkursanzeigt. Entgegen üblichen Regeln entschließt sich der italienischeKapitän Piero Calamei zu einem Ausweichmanöver nach links, in demGlauben, ihm komme nur ein Trawler entgegen und es gebe genügendPlatz. Da der Wachhabende auf der «Stockholm» seinerseits einRechtsmanöver eingeleitet hat, befinden sich beide Schiffe nun aufKollisionskurs. Auf der schwedischen Seite wundert man sich, dasskeine Lichter des entgegenkommenden Schiffes zu sehen sind und glaubtan ein verdunkeltes Marinefahrzeug. An Nebel denkt niemand.
Als die «Andrea Doria» schließlich aus den Schwaden auftaucht,sind sich die Schiffe schon so nahe, dass letzte Ausweichversuche -«Hart Steuerbord» der «Stockholm», «Hart Backbord» der «AndreaDoria», nichts mehr helfen. Die Wucht der Kollision ist gewaltig.Angaben über die Gesamtzahl der Opfer schwanken, aber in den meistenQuellen ist von 46 toten Passagieren auf der «Andrea Doria» und vonfünf toten «Stockholm»-Besatzungsmitgliedern die Rede. HunderteMenschen wurden verletzt.
Alle Opfer waren auf die Kollision zurückzuführen - niemandertrank, auch wenn der Großteil der Rettungsboote wegen derzunehmenden Schlagseite des Schiffes nicht aufs Wasserhinuntergelassen werden konnten und daher unbrauchbar waren. Zuverdanken ist das Überleben der meisten - darunter auch KlausDorneich, der einzige deutsche Passagier auf der «Andrea Doria» -einer beispiellosen Rettungsaktion: Gleich mehrere Schiffe folgtenden «SOS»-Rufen der «Andrea Doria» und nahmen die Schiffbrüchigenauf. Sogar die «Stockholm» übernahm Hunderte der Passagiere desitalienischen Luxusliners, der dann um kurz nach 10.00 Uhr am 26.Juli 1956 versank. Das Wrack liegt noch heute in rund 70 Meter Tiefeauf Grund.