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Potenzmittel Potenzmittel: Die Pille für gewisse Stunden

Von Simone Humml und Irena Güttel 26.09.2008, 07:35
Vor zehn Jahren, am 01. Oktober 1998, kam die blaue Potenzpille Viagra auf den Markt. 1,8 Milliarden Potenzpillen hat das Unternehmen Pfizer nach eigenen Angaben weltweit bislang verkauft. (Foto: dpa)
Vor zehn Jahren, am 01. Oktober 1998, kam die blaue Potenzpille Viagra auf den Markt. 1,8 Milliarden Potenzpillen hat das Unternehmen Pfizer nach eigenen Angaben weltweit bislang verkauft. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - Vor zehn Jahren, am 1. Oktober 1998, kam die blauePotenzpille auf in Deutschland den Markt. Etwa ebenso lang gibt esdie erste wissenschaftlich geprüfte Tablette gegen Haarausfall beimMann und das Schlankheitsmittel, das die Aufnahme von Fett im Darmvermindert. Es folgten viele weitere Potenz-, Abnehm- und Wohlfühl-Pillen. Haben sie zu einem Homo tabletticus geführt?

Etwa 1,8 Milliarden Potenzpillen hat Viagra-Hersteller Pfizer nacheigenen Angaben weltweit bislang verkauft. Nach Viagra kamen mitLevitra und Cialis später noch zwei weitere Mittel insApothekenregal, die direkt auf den Schwellkörper des Gliedes wirken.Generelle Unterschiede gebe es nicht, erläutert die Chefärztin derKlinischen Andrologie am Universitätsklinikum Münster, Prof. SabineKliesch. «Die eine wirkt schneller, die andere länger oder ist fürDiabetiker besser geeignet. Viele Patienten testen alle dreihintereinander und entscheiden sich dann für eine.»

Zehn Jahre Viagra haben Millionen Menschen wieder zu Sexverholfen. Hauptkonsumenten sind laut Kliesch Männer mitRisikofaktoren für Erektionsstörungen: über 50 Jahre, Diabetes,Bluthochdruck, Übergewicht. Zusätzlich habe diese Pille weitereVorteile. «Es ist ganz sicher so, dass Viagra das Thema erektileDysfunktion enttabuisiert hat.» Das habe auch einen direktenGesundheitsnutzen: «Ärzte und Patienten sprechen nun häufiger übererektile Dysfunktion. Und das ist in jedem Fall positiv, denn sie istoft ein Frühwarnsymptom für andere Gefäßkrankheiten, wie etwa spätereinen Herzinfarkt.»

Fest stehe: Ohne medizinischen Grund werde Viagra nichtverschrieben, und auch dann müsse der Mann alles zahlen - je nachPackungsgröße laut Pfizer 10 bis 15 Euro pro Pille. «Das ist proWoche so teuer wie Rauchen», meint Kliesch. Es gebe sicher auchViagra-Konsumenten ohne klare medizinische Ursache. «Aber diebesorgen sich die Pille übers Internet.» Und das ist recht unsicher.Nach Angaben von Pfizer wurden 2007 allein in Europa rund 14Millionen Fälschungen sichergestellt.

Den Verkaufserfolg von Viagra hat das Schlankheitsmittel Xenicalzwar nicht ganz erreicht, doch als es im September 1998 auf den Marktkam, war es innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Mittlerweile sei dieEuphorie aber abgeflaut, sagt Prof. Andreas Pfeiffer, Leiter derAbteilung Klinische Ernährung im Deutschen Institut fürErnährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). «Es hat sich gezeigt,dass das Abnehmen mit solchen Pillen gar nicht so effektiv ist, wiesich die Leute das wünschen.» Xenical allein mache jemanden, der 130Kilogramm wiege, nicht schlank. Die türkisfarbenen Kapseln können dasKörpergewicht nur um einige Kilogramm reduzieren. «Für fünf Kilowollen viele aber keine 80 Euro im Monat zahlen.»

Dennoch sind Xenical und andere Schlankheitspillen wie Reduktilund Acomplia nach Meinung von Pfeiffer sinnvolle Medikamente, da siedas Risiko für Typ 2-Diabetes deutlich senken können. «Wenn man vierKilogramm zunimmt, dann verdoppelt man sein Diabetes-Risiko.» DiesenNutzen würden die Verbraucher aber nicht sehen, ihnen gehe es alleinum den kosmetischen Aspekt.

Wie Viagra und Xenical gibt es Propecia in deutschen Apothekenauch nur auf Rezept. Ärzte dürfen das Medikament nur Männern miterblich bedingtem Haarausfall verschreiben. Hauptnutzer seien 20- bis35-Jährige, sagt Dermatologe Prof. Markus Böhm vomUniversitätsklinikum Münster. In Deutschland nehmen rund 35 000Männer das Mittel nach Hochrechnungen des Herstellers MSD Sharp &Dohme. Als Nebenwirkung bei der Langzeiteinnahme von Propecia könnesich in wenigen Fällen allerdings die Brust vergrößern oder dieErektionsfähigkeit vermindern.

In Deutschland gelten die drei Pillen als Medikamente, die zwardie Schönheit und das Wohlbefinden steigern, aber nicht wichtig fürdie Behandlung einer Krankheit sind. Deshalb erstatten dieKrankenkassen die Kosten dafür nicht, was Pfeiffer mit Blick aufXenical kritisiert: Die Europäische Union betrachte Adipositas, alsoFettleibigkeit, als eine Krankheit. «Das deutsche Gesundheitssystemtut aber so, als sei Adipositas ein persönliches Problem.»

Anders sieht es der Herausgeber der pharmakritischen Zeitung«Arznei-Telegramm», Wolfgang Becker-Brüser. «Der Erfolg von Viagrawar ein Türöffner für sogenannte Lifestyle-Medikamente wie Botox,Schlankheitspillen, Haarwuchs- oder Potenz-Mittel», sagt Becker-Brüser in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Beiihrer Anwendung herrsche eine gewisse Gedankenlosigkeit. «Das sindalles Medikamente, die nicht ohne Nebenwirkungen sind, aber siewerden wie Zuckerpillen geschluckt oder leichtfertig gespritzt.»