Ozzy Osbourne Ozzy Osbourne: «Ich bin von Gott gesegnet»

Halle (Saale)/MZ. - Der Mann, den sie den "Prince of Darkness" nennen, schlurft zur Tür einer Suite in einem Düsseldorfer Hotel herein. So langsam, dass man ihn stützen möchte. Ozzy Osbourne grüßt freundlich, sagt, er müsse jetzt erst mal auf die Toilette: "I gotta pee". Dann setzt er sich aufs Sofa, ganz in schwarz gekleidet, ein riesiges silbernes Kreuz um den Hals, die Fingernägel schwarz lackiert. Er war Sänger von Black Sabbath, Geburtshelfer des Heavy Metal und ist bis heute einer der großen Exzentriker seiner Zunft. All die Geschichten über Drogen-Exzesse, abgebissene Tauben- und Fledermausköpfe, hat er in seiner Autobiographie akribisch aufgelistet. Eigentlich sollte er in diesen Tagen mit seiner alten Band Black Sabbath auf Reunion-Tournee gehen. Wegen der Krebs-Erkrankung des Gitarristen Tony Iommi wurde sie verschoben. Würde dieses Interview im Radio gesendet, wäre vermutlich jeder zweite Satz von einem Piepton unterbrochen, mit denen Rundfunksender derbe Flüche übertönen. Ozzy Osbourne flucht ständig, aber das darf man nicht als Provokation missverstehen. Denn seine ständigen "fucking"- und "fuck"-Ausrufe sind sowohl Ausdruck höchster Wertschätzung wie auch tiefster Verachtung. Egal wie, man kann das schlecht domestizieren. Das ist bisher wohl nur einer Person gelungen: Der Queen, als sie ihn vor zehn Jahren zu ihrem 50. Thronjubiläum einlud und Osbourne brav das Protokoll befolgte.
Das Gespräch führte Martin Scholz.
Mr. Osbourne, Sie leben in Kalifornien, sprechen aber stets voll Stolz über Ihre englische Heimat, Ihre Geburtsstadt. Lassen Sie uns über ein paar bedeutsame Engländerinnen und Engländer reden, die Ihnen in Ihrem aberwitzigen Leben Halt gegeben haben.
Osbourne: Fuck! Jetzt bin ich aber gespannt.
Sie haben mal gesagt, Sie wollten immer wie Paul McCartney sein. Das ist für den größten Buhmann des Heavy Metal, nicht unbedingt eine Vorliebe, die sich aufdrängt. Können Sie uns den Widerspruch erklären?
Osbourne: Für mich ist das kein Widerspruch. Paul McCartney ist mein Held, die Beatles bedeuten mir . . . alles. Ich liebe das Facettenreiche an McCartneys Stimme. Dieser verdammte Typ hat in seinem Leben ein paar verdammt großartige Lieder geschrieben. Ich bin deswegen mal mit dem früheren Gitarristen der Sex Pistols, Steve Jones, heftig aneinandergeraten, als er lästerte, er hasse die Beatles. Ich war außer mir. Wenn das jemand sagt, ist das für mich, als würde er sagen "Ich hasse das Leben" oder "Ich hasse die Luft." Unfassbar.
Auf McCartney lassen Sie nichts kommen?
Osbourne: Diese Schelte habe ich Jones nicht durchgehen lassen. Aber um Ihnen wirklich klarmachen zu können, was mir die Beatles bedeuten, muss ich etwas weiter ausholen. Darf ich?
Bitte.
Osbourne: Sehen Sie, ich stamme aus Aston, einem Arbeiterstadtteil in Birmingham. Da gab es wenig Hoffnung. Erschwerend hinzu kam: Ich leide seit meiner Kindheit unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und der Leseschwäche Dyslexie. Als ich jung war, war das allerdings niemandem aufgefallen, diese Störungen waren damals kaum bekannt. Da saß ich also in einer Klasse mit 39 Kindern. Wenn du lernen wolltest, haben sie dich unterrichtet. Wenn du nicht lernen wolltest oder konntest, ließen sie dich einfach da sitzen und Bilder malen oder gar nichts machen.
Sie waren ein Außenseiter.
Osbourne: Ja. Wenn sie mit der Kreide etwas an die Tafel schrieben, hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete. Mir Hausaufgaben zu geben, war ein Witz. Mein Vater und meine Mutter arbeiteten in Fabriken, meine Verwandten ebenfalls. Das schien auch mein vorbestimmter Weg zu sein. Bis ich eines Tages mit einem Transistorradio durch unsere Straßen ging und plötzlich spielten sie den Song "She loves you". In dem Moment ist irgendetwas in meinem Kopf entflammt - und es brennt noch heute. Ich hatte immer nach einem Weg gesucht, aus meinem Industrieviertel rauszukommen. Jetzt wusste ich, was ich machen wollte, auch wenn ich noch nicht wusste, wie ich es anstellen sollte: Hauptsache Musik, sowas wie die Beatles.
Wie ging es weiter?
Osbourne: Mein Vater kaufte mir ein Mikrophon und eine kleine Verstärker-Anlage. Das war das beste Geschenk, das ich je bekommen habe. Ich hatte immer diese verrückten Tagträume. Ich wünschte mir, eine meiner Schwestern würde mit Paul McCartney ausgehen, sie würden Kinder haben, sowas halt. Ich trug Beatles-Schuhe, mein Schlafzimmer war mit Beatles-Wäsche und -Postern dekoriert, mit allem, worauf man "Beatles" drucken konnte.
Haben Sie das Zeug noch?
Osbourne: Verdammt, nein. Was glauben Sie denn? Ich bin 63. Aber mein Elternhaus in Birmingham steht noch. Aber für mich bleiben die Beatles ein Geschenk Gottes. Man kann den Einfluss, den sie auf mich hatten, manchmal in meinen Texten und meinen Melodien raushören.
Tatsächlich? In "Sabbath Bloody Sabbath", "Children Of The Grave" oder "Never Say Die" aber eher nicht, oder?
Osbourne: Nein, aber in meinem Song "Dreamer" kann man die Beatles-Einflüsse sehr wohl erkennen. Ich habe McCartney gefragt, ob er Lust hätte, auf dem Song Bass zu spielen. Ich habe ihn fragen lassen, von meinem Toningenieur, den McCartney auch kannte. Ich selbst hätte mich nicht getraut. Fucking Paul McCartney auf meinem Song, das wär's gewesen!
Der Wunsch hat sich nicht erfüllt?
Osbourne: Hat er nicht. McCartney ließ mir ausrichten, er könne auf dem Song auch nicht besser spielen, als der Bassist, den wir hatten. Da habe ich mir den Toningenieur zur Brust genommen: "Du hättest McCartney doch sagen können, dass mir sowas scheißegal ist. McCartney hätte sich von mir aus im Studio übergeben oder in die Ecke pinkeln können - dann hätten wir meinetwegen das aufgenommen. Hauptsache ein Beatle spielt mal auf meiner Platte." Ein Jahr später traf ich McCartney zufällig in einer New York Talk-Show. Ich bin vor Ehrfurcht fast zusammengebrochen. Und ich war überrascht über sein Erinnerungsvermögen. Das erste, was er sagte, war: "Tut mir so leid, Ozzy, dass ich nicht dein Bassist sein konnte." Später hat er mich zu seinem Konzert in L.A. eingeladen. Er spielte verdammte drei Stunden lang. Verdammt gut, würde ich sagen.
McCartney wurde am Montag 70. Ist er ein Vorbild was das "In-Würde-Alt-Werden" betrifft?
Osbourne: Absolut. Wenn er es nicht mehr machen könnte, würde er aufhören. Ich weiß, wovon ich rede. Wenn du in diesem Genre erst mal die 60 überschritten hast, häufen sich die Zwischenrufe, die dir das Aufhören nahe legen. Der Punkt ist: Rocksänger zu sein, ist kein Job. Es ist ein Geschenk, eine Gabe. Wenn es dir Spaß macht, du immer noch ein Publikum hast, warum solltest du aufhören? Ich bin von Gott gesegnet, dass ich das mit 63 immer noch machen kann.
Aber was hat Sie gerade an McCartney, dem Meister der Ballade und Harmonien, so sehr fasziniert? Sie hätten sich ja auch an John Lennon orientieren können, der Ihrem Naturell vermutlich näher kam, oder?
Osbourne: Bei den Beatles war für mich vor allem die Kombination von McCartney und Lennon sehr reizvoll. Lennon ist mir teilweise auf den Geist gegangen mit all seinen politischen Ansichten. Es bringt mich auf die Palme, wenn Rock'n'Roll-Musiker und Künstler politisches Sendungsbewusstsein an den Tag legen. Wenn ich mir die Oscar-Verleihung ansehe, und wirklich jeder, der vors Mikro tritt, einen Spruch loslässt über die Armen in Äthiopien oder sonstwo. Verdammt! Live Aid war damals eine gute Idee, aber das kann man nicht ewig wiederholen. Davon abgesehen, weiß ich nicht genug über Politik, um tiefgründig darüber zu sinnieren. Ich bin doch nicht der Bono des Heavy Metal! Die Leute gehen nicht auf Konzerte, um sich politisch weiterzubilden. Und Politiker sind für mich keine Götter, sie sind "full of shit".
Was Sie auf Ihre Weise einmal unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, als Sie beim Correspondents Diner im Weißen Haus exakt in jenem Moment volltrunken auf den Tisch stiegen und "Yeah, Yeah" brüllten, als George Bush den Saal betrat.
Osbourne: Ich habe auch mal Tony Blair getroffen als er noch Premier war. Der Krieg in Afghanistan hatte gerade begonnen, unsere Soldaten waren dorthin geschickt worden, um dort zu kämpfen. Für was auch immer. Und in dieser Situation spricht mich der Premier an und sagt: "Wissen Sie was, ich war selbst mal in einer Rockband." Ich: "Oh, wirklich?!" Er: "Aber ich habe nie die Akkordfolge von ,Iron Man' herausbekommen." Da dachte ich mir nur: "Hat der zurzeit sonst keine Sorgen? Wen verdammt noch mal kümmert das?" Wenn ich zusehen müsste, wie mein Sohn nach Afghanistan geschickt würde und er dann womöglich im Sarg zurückkommt und der Premier in so einer Zeit nichts Besseres zu tun hat, als Gespräche über seine Rockstar-Vergangenheit zu führen - das fand ich unfassbar. Leute wie Blair würden es nie zulassen, dass ihre verdammten Kids in den Krieg ziehen.
Zu anderen Mitgliedern des Establishments haben Sie ein entspannteres Verhältnis. Haben Sie sich die Feierlichkeiten zum 60. Thron-Jubiläum Ihrer Queen angesehen?
Osbourne: Was glauben Sie denn! Ich habe es mir hier in meinem Hotelzimmer in Düsseldorf auf meinem Computer angesehen. Ich mag unsere Queen und die Royal Family. Sie locken viele Touristen nach England, sie leisten sehr viel für unser Land - und sie generieren viel Geld für England. Ich finde sie großartig. Ich würde deren Job dennoch nicht machen wollen, nicht mal für viel Geld.
Warum nicht?
Osbourne: Weil ich dann wirklich ständig im Licht der Öffentlichkeit stehen müsste. Ich möchte nicht mit der Queen tauschen.
Vor zehn Jahren, zum 50. Thron-Jubiläum der Queen, waren Sie als einer der Ehrengäste zum Konzert eingeladen und durften im Buckingham Palace "Paranoid" spielen. Für viele war das ein Kulturschock. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Osbourne: Ich war auch schockiert, dass die Royals mich überhaupt eingeladen hatten. Sie haben es wohl nur deshalb gemacht, weil meine damalige Reality-Fernsehshow, "The Osbournes", weltweit ein Hit war. Innerhalb von kürzester Zeit hatte ich mich von Ozzy Osbourne, diesem verrückten Rock'n'Roll-Tier in dieses andere Ding, diesen TV-Star, verwandelt.
Sie wurden zum liebenswerten, oft auch bemitleidenswerten öffentlichen Freak, der sich in seinem Anwesen in Kaliforniern beim täglichen Fluchen mit seiner Familie beobachten ließ. Bereuen Sie heute, dass Sie sich auf diese Weise bloßgestellt haben?
Osbourne: Ich habe mich mit der Sendung nie sonderlich wohl gefühlt. Es war ein Experiment, das irgendwann gewaltig aus dem Ruder lief. Und in dieser Phase lud mich der Buckingham Palace ein . . .
Waren Sie nicht doch stolz, als englischer Exzentriker von der Queen in den Kreis der großen Künstler der britischen Unterhaltungsindustrie aufgenommen zu werden?
Osbourne: Ja, sicher. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ich in den Buckingham Palace eingeladen werde. Überall standen dort Schilder "No foul language" - keine vulgären Ausdrücke. Ich glaube, die hatten sie eigens für mich aufgestellt. Nach meinem Auftritt traf ich die Queen, die mir sagte: "Oh, das ist es also, was wir Entertainment nennen." Das war nett gemeint. Eine surreale Begegnung. Verdammt! Es war das Highlight meiner Karriere.
Sie haben eingangs Ihre Leseschwäche angesprochen. Es heißt, Sie hätten eine gewaltige Bibliothek. Was machen Sie damit?
Osbourne: Ich sehe mir die Bücher in den Regalen gerne an. Meine Bibliothek ist wirklich sehr beeindruckend. Aber ich habe kein Buch davon gelesen. Ich habe Phasen, in denen ich lesen kann und dann verschlinge ich so viele Bücher wie möglich. Das ist, als ob plötzlich ein Schalter in meinem Gehirn umgelegt wird.
Ihr Black Sabbath-Kollege, Gitarrist Tony Iommi, hat wie Sie eine Autobiographie veröffentlicht. Haben Sie die gelesen?
Osbourne: Nein. Ich warte noch auf den Moment, da sich der Schalter in meinem Gehirn umlegt und ich wieder lesen kann.
Sie hatten für 2012 bereits eine Welttournee für die Reunion mit Black Sabbath gebucht, als Tony Iommi an Krebs erkrankte und sich einer Chemotherapie unterziehen musste. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?
Osbourne: Ich habe ihn regelmäßig besucht. Seine Behandlung ist inzwischen abgeschlossen. Soweit ich weiß, geht es ihm gut. Er hat auch während der Behandlung gearbeitet, einige wenige Konzerte mit uns gegeben. Als damals der Vorschlag kam, wieder zusammenzuspielen, glaubte ich nicht, dass es dazu kommen würde. Doch mich interessierte, wie Black Sabbath heute klingen würde, wenn wir zusammengeblieben wären. Ich würde sagen, wir sind dem sehr nahe gekommen, wir haben ein paar großartige neue Songs zusammengeschrieben - dann kam die Nachricht, Tony sei an Krebs erkrankt. Aber wir werden ins Studio gehen und das Album fertigstellen.