Nitribitt-Mord Nitribitt-Mord: Wer tötete Deutschlands berühmteste Hure?

Frankfurt/Main/dpa. - Das «Mädchen Rosemarie» darf auch 50 Jahre nach seinem Tod nicht endgültig ruhen. In Frankfurt, der Stadt ihresschnellen Lebens und ihres gewaltsamen Todes, wird immer noch gerneauf den Spuren der wohl berühmtesten Hure Deutschlands gewandelt. Sogibt es Führungen zu Nitribitts Geschichte, ihr früheres Appartementist eine morbide Touristenattraktion, und als vor einigen Wochen dasTraditionscafé Schneider schloss, galt ein Großteil derAufmerksamkeit dem Tisch Nummer 1, an dem die «blonde Rosi» immergesessen haben soll. Interessante Details sind auch imPolizeipräsidium und im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden zu finden, wo dieErmittlungsakten des offiziell immer noch nicht geklärten Mordfallslagern.
Die anrüchige Geschichte um die im Alter von 24 Jahren ermordeteNitribitt erregte schon die prüde Nachkriegsgesellschaft, diente alsMahnung für junge Mädchen und als Vorlage für einen Roman, Filme undein Musical. Erst die mediale Verarbeitung des saftigen Stoffes umSex, Geld und Macht hat die von Nadja Tiller verkörperte Nitribittzur negativen Ikone des Wirtschaftswunderlands im Allgemeinen und dervermeintlich besonders verdorbenen Stadt Frankfurt im Speziellengemacht. «Der Fall klebt an Frankfurt wie Nachkriegskaugummi»,stellte die Kommune gerade erst in ihrem Pressedienst lakonisch fest.
Großen Anteil an der Legendenbildung hatte der Autor Erich Kubymit seinem schnell verfilmten Buch «Rosemarie - des deutschen Wundersliebstes Kind», in dem er 1958 rund um den Mord einen wilden Plot umErpressung und Industriespionage konstruierte. Angefeuert wurde dieFantasie des Publikums im «Sittenskandal» durch den Umstand, dass dieNitribitt zu Lebzeiten ihr Gewerbe in der Messestadt äußerst offensivund für jedermann sichtbar betrieben hatte. Ihr Revier war unteranderem der noble Frankfurter Hof, an dem sie im schwarzen Mercedes-Cabrio mit roten Sitzen und Weißwand-Reifen vorfuhr.
So falsch lag Kuby in der Beschreibung der Nitribitt-Kundschaftoffenbar nicht: Die Journalistin Helga Dierichs vom HessischenRundfunk fand für eine ARD-Reportage in den Ermittlungsaktendeutliche Belege für Kontakte des leichten Mädchens aus derUnterschicht zu bekannten Größen der Industrie. Zwar haben nachDierichs Angaben Unbekannte nach Kräften versucht, die Spuren vonKrupp-Spross Harald von Bohlen und Halbach, BMW-Eigner Harald Quandtsowie Ernst und Gunter Sachs aus dem Aktenwust zu tilgen, dochQuerverweise belegten laut Dierichs die Amouren.
Neue Sensationen sind aus den gut zwei Metern Akten, die aufAntrag mit verkürzten Schutzfristen eingesehen werden dürfen, nichtmehr zu erwarten, sagt der Wiesbadener Archivar Johann Zillen. Diesagenumwobene Kundendatei der Nitribitt sei nicht unter denSchriftstücken, versichert er. Die Akten seien aber auch nichtkomplett von der Frankfurter Staatsanwaltschaft an das Archivübergeben worden.
Für die Frankfurter Polizei ist der Fall Nitribitt eine nicht mehrauszuwetzende Scharte. Die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachseneFrau war am 1. November 1957 in ihrem völlig überheizten Appartementerwürgt aufgefunden worden. Dass die Beamten als erstes die Fensteraufrissen und damit die Feststellung des genauen Todeszeitpunktesverhinderten, sollte nicht ohne Folgen bleiben. Schnell legte sichdie Kripo auf einen Raubmord fest, schließlich war aus der Wohnungdie damals exzeptionelle Summe von 20 000 Mark verschwunden.
Im Februar des folgenden Jahres wanderte der arbeitslose und aufunerklärliche Weise zu Geld gekommene Kaufmann und Nitribitt-Vertraute Heinz P. unter dringendem Mordverdacht inUntersuchungshaft. Das Frankfurter Landgericht sprach den Mann imJuli 1960 unter anderem deswegen frei, weil ein genauer Tatzeitpunktnicht festzustellen war. Während der kürzlich gestorbeneChefermittler Alfred Kalk den Verdächtigen Heinz P. dennoch für denMörder hielt, zeigte sich der damalige Richter Karl Dreysel überzeugtvon der Unschuld des Angeklagten.
In dem nur angemeldeten Besuchergruppen zugänglichenKriminalmuseum im Kellergeschoss des Polizeipräsidiums ist dieNitribitt immer noch der unumstrittene Star. «Wir haben allesversucht», lautet die häufig bezweifelte Botschaft der schauerlichenSammlung: Polizei- und Privatfotos der Prostituierten sind ebenso zusehen wie die in Formalin eingelegten abgehackten Hände einesvorübergehend Tatverdächtigen, der während der Ermittlungen gestorbenwar und dessen Hände man noch benötigte. Auch Nitribitts Leiche fandden Weg nicht vollständig in die Erde ihrer Heimatstadt Düsseldorf:Ihr Schädel gehört inzwischen zur Lehrmittelsammlung für angehende Frankfurter Kommissare.