Nina Hagen wird 60 Jahre alt Nina Hagen wird 60 Jahre alt: Menschliches Ufo mit der Sirenenstimme
Halle (Saale) - „Huhu, ich bin Nina“, gluckst die Frau mit der wilden schwarzen Mähne und sie reißt die braunen Augen ganz weit auf, als müsse noch irgendein Zweifel daran beseitigt werden. Aber nein, Nina Hagen, die heute ihren 60. Geburtstag feiert, ist unverwechselbar: Die Tochter der großen DDR-Schauspielerin Eva-Maria Hagen ist auch 40 Jahre nach dem Start ihrer Karriere das bunteste, und schrillste Ufo am deutschen Unterhaltungshimmel.
Ein Flugobjekt mit Sirenenstimme ist die Mutter des heute 25-jährigen Otis und der 34-jährigen Cosma Shiva zudem. Schon als Sängerin beim Alfons-Wonneberg-Orchester und später bei der Gruppe Automobil zeigt sie Anfang der 70er Jahre eine Mischung aus Vier-Oktaven-Gesang und komödiantischem Talent. Hagen, Stieftochter des unter Hausarrest stehenden Dichters und Liedermachers Wolf Biermann, darf in der DDR nicht an die Schauspielschule, weil sie als systemfeindlich gilt. Doch mit dem Lied „Du hast den Farbfilm vergessen“ wird sie dennoch zum Star, der die Hitparaden dominiert und Narrenfreiheit genießt.
Ein Privileg, das sich Nina Hagen nicht mehr nehmen lassen wird. Als es ihr bei Automobil zu eng wird, geht sie zu Fritzens Dampferband. Als die DDR ihr mit Berufsverbot droht, weil sie sich kritisch zur Biermann-Ausbürgerung geäußert hat, packt sie die Koffer.
Im Westen wird Nina Hagen auch äußerlich, was sie schon immer war: Ein Punk, der sich in der Provokation wohlfühlt. Mit der Nina Hagen Band singt sie von lesbischer Liebe und in „TV-Glotzer“ rechnet sie mit dem westdeutschen Spießer ab. Der hat sie zum Dank bald genauso gern wie die SED-Funktionäre im Osten.
Nina Hagen ist bald weniger Person als Ereignis. Wo sie auftaucht, weht ein Hauch von Wahnsinn, wo sie steht, ist Bühne, was sie tut, ist ein Schauspiel. Sie masturbiert im Fernsehen, ist egozentrisch und unberechenbar, sächselt, berlinert und strebt in den USA eine Weltkarriere an. Beste Freunde der Berliner Göre sind jetzt der Mode-Designer Jean Paul Gaultier und der Komponist Giorgio Moroder, mit den später weltberühmten Red Hot Chili Peppers schreibt sie das Stück „Was es ist“ für ihr Album „Angstlos“, das ihre Trennung von Deutschland besiegelt.
Nina Hagen sucht irgendwo da draußen nach sich selbst, aber sie sucht nun auch nach dem, was sie selbst „die Wahrheit über das große Mysterium“ nennt. Männer- und Stilwechsel, abrupte Bekehrungen zu wunderlichen Religionen, die Entdeckung von Ufo-Glauben, Vegetarismus und Spiritualität, nichts wird ausgelassen.
Die nun respektvoll „Großmutter des Punk“ genannte Künstlerin ist zeitweise der einzige Weltstar deutscher Zunge, immer aber die einzige, die das Kunstwerk Nina Hagen in Madonna-Stockings und Seidenslip, Baseballkappe und Collegejacke, mit rabiatem Rock, Brecht-Liedern und Kreischgesang gleichermaßen glaubwürdig inszenieren kann.
Die Charts sind längst weg, Nina Hagen aber braucht sie nicht mehr. Zuletzt hat auf einem Album, das sie „Volksbeat“ nannte, Stiefvater Biermanns „Ermutigung“ gesungen: „Die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich“.