Neuer Skandal Neuer Skandal: Pferdefleisch in 124 deutsche Betriebe geliefert

Hamburg/dpa/afp - Der vor Monaten aufgedeckte, europaweite Betrug mit falsch deklariertem Pferdefleisch ist noch größer als bislang bekannt. Ein niederländischer Großhändler soll nach Angaben der dortigen Behörden schon seit mehr als zwei Jahren Pferdefleisch falsch etikettiert und verkauft haben - auch nach Deutschland. Das wurde teilweise schon Anfang des Jahres aufgedeckt, als in mehreren Ländern Tiefkühl-Gerichte entdeckt wurden, in denen Pferdefleisch steckte, obwohl dies nicht angegeben war. Bei ihren Nachforschungen und flächendeckenden Tests stießen die niederländischen Kontrolleure laut EU-Kommission nun allerdings auf insgesamt 50 000 Tonnen Fleisch, deren Herkunft unklar ist.
„Die niederländischen Behörden haben bestätigt, dass Pferdefleisch mit Rindfleisch vermischt wurde“, sagte der Sprecher von Verbraucherschutz-Kommissar Tonio Borg. Die Niederlande hätten eine „umfassende betrügerische Kette“ aufgedeckt.
Das Fleisch sei in 16 EU-Staaten gelangt, erklärte das Verbraucherministerium unter Berufung auf niederländische Behörden. Überwiegend seien die Lieferungen nach Deutschland, Frankreich, Portugal und Spanien gegangen. Betroffen seien derzeit 502 Betriebe, darunter 124 in Deutschland.
Das am stärksten betroffene Bundesland sei Nordrhein-Westfalen mit 38 Händlern, weiterverarbeitenden Betrieben und Metzgereien. In Baden-Württemberg seien 15 Betriebe von dem verdächtigen Unternehmen beliefert worden, in Bayern 14, in Niedersachsen 13 und in Sachsen zwölf. Nicht betroffen seien Bremen und das Saarland, in den übrigen Ländern bewege sich die Zahl betroffener Betriebe im einstelligen Bereich.
Dennoch sind Verbraucher nun erneut stark verunsichert und die Behörden verschiedener Länder alarmiert. Sie bemühen sich, das Fleisch genau zurückzuverfolgen und zu ermitteln, wohin es tatsächlich gelangte. Die EU-Kommission rief dazu auf, die verdächtigen Produkte zu finden und vom Markt zu nehmen. Der größte Teil der 50 000 Tonnen Fleisch wurde laut den niederländischen Kontrollbehörden vermutlich längst gegessen. Doch gerade in Tiefkühl-Produkten könnte noch immer Schummelfleisch stecken.
Sobald nachverfolgt werden könne, in welchen Produkten das Fleisch steckt, sollten Verbraucher sich auf Internetportalen informieren, die auf Betrug oder Gefahren bei Lebensmitteln hinweisen. Solche Portale sind zum Beispiel lebensmittelklarheit.de von den Verbraucherzentralen, sowie lebensmittelwarnung.de und pferdefleisch-rueckrufe.de vom Bundesverbraucherministerium.
„Wenn man nicht weiß, woher das Fleisch kommt, ist es prinzipiell nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“, sagte der Sprecher der niederländischen Kontrollbehörde, Benno Bruggink. Konkrete Hinweise auf Gefahren für Verbraucher gebe es aber nicht. Das betonte auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Es seien praktisch alle Bundesländer tangiert, sagte sie und schloss nicht aus, dass falsch etikettiertes Fleisch auch in Deutschland schon gegessen wurde. Der Verzehr solcher Produkte sei aber nicht gesundheitsgefährdend.
Verbraucherverbände, Politik und die Lebensmittelbranche verlangten eine schnelle Aufklärung. Der deutsche Einzelhandel setzte sich zudem für stärkere Lebensmittel-Kontrollen ein. „Die staatlichen Kontrollen müssen besser vernetzt werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, am Donnerstag in Düsseldorf. Die Zuständigkeit liege hierzulande bei den einzelnen Bundesländern und sei dort in den Kreisverwaltungen angesiedelt. Kriminelle Machenschaften machten aber an den Landesgrenzen nicht halt. Außerdem sollte die Zahl der staatlichen Lebensmittel-Kontrolleure erhöht werden, meinte der HDE.
Die Verbraucherorganisation foodwatch forderte ein strengeres Durchgreifen der Europäischen Union. Der Fall zeige „in erschreckender Deutlichkeit, dass bestehende Gesetze nicht durchgesetzt werden“, erklärte der stellvertretende Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt.
Der verdächtige Unternehmer Willy Selten aus den Niederlanden will gerichtliche Schritte gegen die Kontrollbehörde unternehmen. Die Maßnahme sei unbegreiflich, sagte sein Anwalt Frank Peters dem niederländischen Radio. „Das Fleisch kann man normal essen, und es wurde unter Aufsicht der Behörde verkauft.“
