Koalitionsvertrag Krankenhäuser und Ärzte fordern Entlastung unter Schwarz-Rot
Union und SPD haben sich für die nächsten Jahre einige Änderungen im Gesundheitswesen vorgenommen. Was Niedersachsens Kliniken und Ärzten daran gefällt – und was sie kritisieren.

Hannover - Krankenhäuser und Ärztevertreter in Niedersachsen rufen die nächste Bundesregierung auf, die im Koalitionsvertrag angepeilten Reformen für das Gesundheitswesen schnell umzusetzen. Union und SPD seien sich der wirtschaftlich dramatischen Lage vieler Kliniken bewusst, sagte der Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), Helge Engelke. Der Koalitionsvertrag müsse aber zügig konkretisiert werden.
Ein entscheidendes Signal sei, dass die Krankenhäuser für die Jahre 2022 und 2023 einen Inflationsausgleich erhalten sollen. Damit könne die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben der Kliniken wenigstens zum Teil geschlossen werden. Jedoch handele es sich dabei nur um eine einmalige Zahlung und nicht um einen „echten Lückenschluss“.
Kliniken pochen auf Sicherheit unabhängig von Fallzahlen
Union und SPD hätten zudem erkannt, dass die Krankenhausreform bisher nicht praxistauglich sei und weiterentwickelt werden müsse, sagte Engelke weiter. Allerdings fehle die Erkenntnis, dass die sogenannte Vorhaltefinanzierung, die Krankenhäuser unabhängig von der Zahl der behandelten Patienten absichern solle, bisher nicht die beabsichtigte Abkehr von Fallpauschalen bewirke.
„Erste Analysen aus der Krankenhauspraxis zeigen, dass die Kopplung mit den aktuell definierten Leistungsgruppen zu Fehlsteuerungen und unkalkulierbaren Wechselwirkungen mit der Krankenhausplanung führen wird“, sagte der Verbandsdirektor. Die Vorhaltevergütung müsse daher dringend ausgesetzt und umfassend überarbeitet werden.
Wichtig sei auch die geplante Entlastung von Bürokratie. „Durch einen gezielten Abbau unnötiger Bürokratie können personelle Ressourcen freigesetzt werden“, sagte Engelke. „Das kommt unmittelbar der Patientenversorgung zugute.“
Ärzte drei bis vier Stunden am Tag mit Bürokratie beschäftigt
Auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund Niedersachsen hält den angestrebten Bürokratieabbau für dringend notwendig. Krankenhausärzte seien derzeit drei bis vier Stunden pro Tag mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt, kritisierte der 2. Vorsitzende Andreas Hammerschmidt. „Das sind Stunden, die für die Patientinnen und Patienten fehlen.“ Schon eine Reduzierung der Bürokratie um die Hälfte des Arbeitsaufwands entspräche rund 32.000 Stellen.
Die im Koalitionsvertrag angekündigte KI-basierte Behandlungsdokumentation begrüßt die Ärztegewerkschaft daher grundsätzlich. Noch sei aber unklar, was sie in der Praxis bedeute. Union und SPD müssten daher darauf achten, dass dieser Schritt nicht zu noch mehr Dokumentationspflichten führe.
„Nicht alle in die Notaufnahme rennen“
Auch bei weiteren Vorhaben von Schwarz-Rot seien noch viele Fragen offen, sagte Hammerschmidt: „Es gibt viele positive Punkte. Bei vielen Punkten muss man aber abwarten, wie das mit Leben gefüllt wird.“
Umgesetzt werden müsse unter anderem eine Reform der Notfallversorgung und der Rettungsdienste. „Da brauchen wir dringend eine Nachsteuerung, dass Patientinnen und Patienten schneller an die richtigen Stellen kommen und nicht alle in die Notaufnahme rennen“, sagte der Orthopäde und Unfallchirurg.
Kritik an wöchentlicher Höchstarbeitszeit
Kritisch sieht der Marburger Bund unterdessen den geplanten Wechsel von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. „Die Wochenhöchstarbeitszeit darf kein Freifahrtschein für überbordende, ultralange Schichten werden“, sagte Hammerschmidt.
Offen sei zudem, inwiefern die künftige Koalition die angestrebte Termingarantie für Facharzttermine werde umsetzen können – denn diese hänge auch davon ab, wie viele Ärztinnen und Ärzte überhaupt verfügbar seien, sagte der Gewerkschafter.
Ärztekammer: Verkauf von Zigaretten und Alkohol einschränken
Die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) kritisierte, dass zur Notfallversorgung und zum Rettungswesen nur ein Halbsatz im Koalitionsvertrag stehe. Daher stelle sich die Frage, ob die neue Regierung diesem wichtigen Vorhaben die gebotene Priorität einräume, sagte ÄKN-Präsidentin Martina Wenker.
Zudem vermisse sie „eindeutig die Erhöhung der Medizinstudienplätze“, sagte Wenker weiter und warnte: „Wenn wir in Deutschland nicht mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden, wird sich der Fachkräftemangel weiterhin verschärfen.“
Gleichzeitig nehme die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung ab, daher müsse auch mehr zur Vermeidung von Krankheiten unternommen werden. „Wir fordern hierzu insbesondere die Integration von Lerninhalten zur Gesundheitskompetenz in die Unterrichtspläne der allgemeinbildenden Schulen sowie auch Einschränkungen für Verkauf und Werbung von Zigaretten und Alkohol“, sagte Wenker.