Kriminalität Interpol: Staaten drohen gegen die Mafia zu verlieren
Zum Ende seiner Amtszeit schlägt der deutsche Interpol-Generalsekretär Alarm. Organisierte Kriminalität wird mächtiger, das Problem mit Kokain wächst. Der Kampf um Reviere beginnt auch in Deutschland.
New York/Hamburg - Der scheidende Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock schlägt angesichts international operierender Gangs Alarm. „Die Welt läuft Gefahr, den Kampf gegen die transnationale organisierte Kriminalität zu verlieren“, sagte Stock der Deutschen Presse-Agentur in New York. Das Potenzial dieser Banden, „sogar Industrieländer zu destabilisieren, zum Beispiel auch in Europa, hat ebenfalls beispiellose Ausmaße angenommen“.
Der Deutsche Stock wird im November nach zehnjähriger Amtszeit sein Amt als Generalsekretär von Interpol abgeben. Die besten Chancen für seine Nachfolge hat der Brasilianer Valdecy Urquiza. Interpol ist mit 196 Mitgliedsstaaten die weltgrößte Polizeiorganisation und koordiniert internationale Polizeizusammenarbeit.
Stock betonte, dass die internationale kriminalpolizeiliche Organisation klare Erkenntnisse darüber habe, dass sich früher eher regional agierende mafiöse Gruppen mittlerweile auf allen Erdteilen ausgebreitet hätten. „Sie sind zu globalen Verbrechern geworden, sie agieren wie globale Unternehmen“, so der hochrangige Polizist. Dabei verfügten sie über „astronomische Mengen an Ressourcen“, etwa um Menschen- und Waffenhandel voranzutreiben.
Kokain als besonders großes Problem
Die Haupteinnahmequelle der Banditen sei aber weiterhin der Drogenhandel, der auch in Zentraleuropa, unter anderem in Deutschland, zu einem immer größeren Problem werde. „Wir sprechen über alle Arten von Drogen, die auf den kriminellen Märkten erhältlich sind. Aber derzeit ist Kokain vor allem ein großes Problem“, so Stock weiter.
Trotz Nachrichten von Rekordfunden von Drogen in den Häfen von Antwerpen, Rotterdam und Hamburg veränderten sich Preis und Angebot auf den Straßen nicht - ein klares Zeichen, dass kein Mangel bestehe. Schätzungen gingen davon aus, dass Drogenfahnder nur etwa 15 bis 20 Prozent aller Einfuhren beschlagnahmten.
Extrem tödliches Fentanyl schleicht sich in Europa ein
Gefährlich sei das unter anderem, weil sich beigemischt in den Drogen immer öfter das synthetische Opioid Fentanyl finde. „Wir können derzeit sehen, dass es sich auch in die europäischen Märkte einschleicht“, sagt der Interpol-Generalsekretär. Fentanyl ist potenziell gefährlicher als andere Drogen, Experten zufolge wirkt es etwa 50-mal stärker als Heroin. Bereits zwei Milligramm gelten als potenziell tödliche Dosis.
In den USA hat Fentanyl bereits zu einem enormen Drogenproblem mit Zehntausenden Toten geführt. Nach Angaben des nationalen US-Instituts, das Drogenmissbrauch erforscht, starben durch eine Überdosis synthetischer Opioide - vor allem Fentanyl - allein im Jahr 2021 mehr als 70.000 Menschen.
Der Weg des Kokains: Von Südamerika bis zur deutschen Straßenecke
Vor allem das Kokain kommt Stock zufolge nach wie vor von den Kartellen Südamerikas, vor allem in Kolumbien, Peru und Bolivien. Es gelange zum Beispiel im Hafen der ecuadorianischen Stadt Guayaquil auf Schiffe in den Pazifik. „Von da an wird der Markt sehr flexibel“, sagt Stock. Auf verschiedenen Routen gelangt die hochprofitable Droge mit einem hiesigen Straßenverkaufspreis von etwa 70 bis 90 Euro pro Gramm nach Europa.
Eine der Routen führt über das politisch in Teilen zerrüttete Westafrika, von wo Drogen bis nach Nordafrika und damit in die Mittelmeerregion gelangen. Ein großes Problem bei den Häfen auch in Europa ist Stock zufolge dabei das Ausmaß an Korruption, über die sich viele örtliche Polizeichefs beklagten: „Der Zustrom von Drogen lässt sich also nur dadurch erklären, dass die Hafenbehörden und die dort arbeitenden Menschen offensichtlich korrumpiert werden.“
Revierkämpfe auf den letzten Metern zum Konsumenten
Entlang der Route führt das Geschäft mit den Drogen immer wieder zu Gewalt - doch auch am Ende der illegalen Lieferkette nehmen die Taten zu. Dort, auf der sogenannten letzten Meile, organisierten lokale Banden den Straßenverkauf. „Und weil es so profitabel ist, kämpfen sie auch in dieser Phase um ihr Revier.“ Beispiele seien hier Schweden, Belgien oder die Niederlande. „Aber es gibt auch Berichte aus Deutschland, es gibt Anzeichen dafür, dass dieser Kampf zumindest in Teilen Deutschlands begonnen hat“, so Stock.
Um der Gefahr durch die Gangs zu begegnen, brauche es noch mehr Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden, sagt Stock. Die Behörden der Länder müssten die zehn bis 15 größten Gruppen gezielt ins Visier nehmen.