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Flugzeugbau Flugzeugbau: Rentner restaurieren letzte Condor

Von Christiane Gläser 27.07.2007, 10:57
Die Flugzeugbauerin Marion Wagner arbeitet in einer Halle auf dem Airbus-Gelände in Bremen an der verrotteten Flügelstruktur des 1941 in Bremen gebauten viermotorigen Metallflugzeugs vom Typ Focke Wulf Fw 200 «Condor». (Foto: dpa)
Die Flugzeugbauerin Marion Wagner arbeitet in einer Halle auf dem Airbus-Gelände in Bremen an der verrotteten Flügelstruktur des 1941 in Bremen gebauten viermotorigen Metallflugzeugs vom Typ Focke Wulf Fw 200 «Condor». (Foto: dpa) dpa

Bremen/dpa. - Fritz Schneider schleift ein langes, silbrigglänzende Metallstück millimetergenau zurecht - mit der gleichenPräzision wie vor 65 Jahren. Das frisch geschliffene Metallteil istein winzig kleines Puzzlestück auf dem Weg zu einem möglichstoriginalgetreu restaurierten Flugzeug: die letzte noch existierendeFocke-Wulf Fw 200 Condor. Eine solche Maschine flog als erstesviermotoriges Ganzmetallflugzeug nonstop über den Atlantik.

Über ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Schneider solcheArbeiten zum ersten Mal übernahm. Doch die Details sitzen noch immer.Der 82 Jahre alte Mann lernte 1939 die Arbeit einesMetallflugzeugbauers in Bremen. Damals war er Lehrling beimFlugzeughersteller Focke Wulf. Heute spielen er und seine Mitstreitermit gleichen und ähnlichen Qualifikationen auf dem Airbus-Gelände inBremen wieder eine wichtige Rolle.

Diese letzte Focke-Wulf Fw 200 Condor wurde 1941 in Bremen gebaut- zu der Zeit, als Fritz Schneider dort Auszubildender war. Sie giltals ziviler Höhepunkt der Bremer Luftfahrt in den 30er Jahren. DieDeutsche Lufthansa setzte die Condor damals als erste Kundin imLiniennetz ein. Das Flugzeug hatte vier Mann Besatzung und bot Platzfür 26 Passagiere. Als rekordverdächtig galt aber nicht nur diezurückgelegte Distanz, auch die kurze Bauzeit der Fw 200 konnte sichsehen lassen. In nur einem Jahr und elf Tagen wurde die Maschineentworfen, konstruiert und fertig gestellt. Zum ersten Mal flog sievor fast 70 Jahren - im September 1937. Die Spannweite der altenCondor beträgt 33 Meter und ist damit fast so groß wie die eineskleineren Airbus von heute.

Diesem Prunkstück der Luftfahrtgeschichte haben sich fast 50Rentner und eine Rentnerin voll und ganz verschrieben. Woche fürWoche treffen sie sich in Bremen auf dem Airbus-Gelände am Flughafen.Sie alle fühlen sich in irgendeiner Weise der Fliegerei imAllgemeinen oder der Fw 200 im Besonderen verbunden. MargretKristensen beispielsweise war fast 40 Jahre lang Konstrukteurin beiAirbus. Im Ruhestand konnte und wollte sie das technische Zeichnennicht ganz aufgeben. Bei der Restaurierung der Condor kann sie nunzwei Mal pro Woche dort weitermachen, wo sie vor Jahren bei Airbusaufgehört hat.

So wie ihr geht es vielen Mitgliedern des «Condor-Teams». Sie sindzwischen 55 bis 83 Jahre alt. Fünf von ihnen waren von 1939 bis 1942Lehrlinge im Bremer Focke-Wulf-Werk. Vor dem Krieg lernten sie unteranderem auch an diesem Flieger den Flugzeugbau. Sie wollten die Weltals Metallflugzeugbauer erobern, doch dann kam der Zweite Weltkrieg,und sie mussten Soldaten werden. Direkt nach dem Krieg gab es imFlugzeugbau keine Arbeit, und die Focke-Wulf-Lehrlinge musstenumsatteln. Fritz Schneider wurde Lokführer, doch Flugzeuge haben ihnnie losgelassen. «Es ist ein Traum von mir. Ich war damals 17 Jahrealt. Und jetzt kann ich helfen, ein mir vertrautes Flugzeug von FockeWulf zu restaurieren.»

Ein gelber Strich auf dem Boden markiert den Arbeitsbereich desCondor-Teams. Rund 400 Quadratmeter stehen ihnen in einer Werkshalleauf dem Bremer Airbus-Gelände zur Verfügung. Es ist laut in der hohenHalle. Hämmer schlagen auf Metall, druckluftbetriebene Bohrerschrauben sich in das Material, Schweißfunken fliegen, es riecht nachFarbe. Mehrere meterlange Werkbänke reihen sich aneinander, und aufihnen stapeln sich Schablonen, Ersatzteile, Werkzeugkisten undZeichnungen.

Der Blick fällt schließlich auf ein mehrere Meter breiteshellgrünes Metallteil, das bis fast unter die Decke aufragt. Dahintersteht ein breites, löchriges Metallkonstrukt der gleichen Größe. «Dassind die beiden Innenflügelteile unserer Condor. Einer davon ist fastfertig restauriert, der andere noch fast in dem Zustand, in dem wirihn damals bekommen haben», sagt Werkstattleiter Peter-Jörg Wiesner.Er hält das Team zusammen, kennt Stärken und Schwächen eines jeden,klärt Probleme und behält den Überblick.

Vom Salzwasser zerfressen und durch Algen und Sedimentablagerungenverkrustet, erinnert heute nur die Größe an den Stolz, den dieseCondor Ende der 30er Jahre als Passagierflugzeug ausgestrahlt habenmag. Seit 2002 nehmen die Rentner die Flügel Stück für Stückauseinander, um sie schließlich, restauriert und von grünerRostschutzfarbe überzogen, wieder in allen Einzelteilenzusammenzusetzen. Dazu benutzen sie Formwerkzeuge aus Hartholz, langepraktizierte Verfahrenstechniken und einige sehr wenigeWerkzeugmaschinen.

Diese hoch interessante Art, das Flugzeug zu restaurieren, und dasAlter der Restaurierenden hat auch zahlreiche Airbus-Mitarbeiterneugierig gemacht. Viele schauen oft während ihrer Mittagspause inder Condor-Halle vorbei. «Die Airbus-Mitarbeiter finden das Projektsuper. Und je grüner es in der Halle wird, desto mehr steigt auch dieAkzeptanz», sagt Wiesner und bezieht sich damit auf die knalligegrüne Korrosionsschutzfarbe. Sie signalisiert schließlich, dass dasentsprechende Metallteil komplett restauriert ist.

Die Maschine, die nun in neuem Glanz erstehen soll, flog imZweiten Weltkrieg als Fernaufklärungsflugzeug und musste bei Norwegenim Wasser notlanden. Im Mai 1999 konnte sie aus einem Fjord beiTrondheim geborgen werden. Geplant war damals, die letzte Fw 200Condor zu restaurieren und im Deutschen Technikmuseum in Berlin zupräsentieren. Alle anderen Fw 200 aus dem Focke-Wulf-Werk in Bremensind entweder verschollen, verschrottet oder als Wracks schwerbeschädigt und nicht mehr zu retten.

Doch fast wäre der Traum der Historiker zerplatzt, als dasFlugzeug während der Bergung auseinander brach. Muscheln, Algen undSedimente hatten die fast sechs Jahrzehnte in 60 Metern Tiefeliegende Condor so schwer gemacht, dass sie mehr als 35 Tonnen wog.Das Originalgewicht beträgt mit 17 Tonnen nur halb so viel.

Das Projekt so einfach aufzugeben, kam aber nicht in Frage. Derhistorische Wert erschien dann doch zu groß. Deshalb suchte dasMuseum nach Spezialisten und wandte sich schließlich auch an GünterBüker von Airbus Deutschland in Bremen. Dort waren schnelleinsatzfreudige Fachkräfte für die Restaurierung gefunden. Diemeisten Mitglieder des Spezialistenteams um Projektleiter Bükerhatten ihre Leistungsfähigkeit bereits an einer Junkers W 33bewiesen. Auch sie wurde so originalgetreu wieder aufgearbeitet, wiees nur ging. Nun waren Ingenieure, Konstrukteure, technischeZeichner, Maschinenbauer, Flugzeugbauer und weitere Männer und Frauenaus anderen Berufen bereit für einen neuen Auftrag.

Das Bruchstück-Puzzle gehört dem Museum. In Einzelteilen wird esin Bremen, Berlin und Oberursel aufgearbeitet. Den aktiven Rentnernaus Bremen fielen die Außen- und Innenflügel sowie der Rumpf zu. DieDeutsche Lufthansa Berlin-Stiftung restauriert Fahrwerke undHeckbaugruppe mit Seiten- und Höhenleitwerk. Rolls Royce ist für dievier Neunzylinder-Stern-Motoren zuständig. Ziel ist nach wie vor, dieCondor als rollendes Gesamtkunstwerk in Berlin auszustellen.

Doch zunächst gilt es, eine andere Etappe erfolgreich zu meistern:die Fertigstellung beider Tragflächen mit ihren vier Motoren. Obwohldie agilen Senioren in ihren blauen Arbeitsanzügen den erstenInnenflügel noch nicht geschafft haben, lassen sie sich nichtentmutigen. Allerdings haben sie ein Handicap: Es gibt nichtausreichend Baupläne für die alte Condor. Immer wieder werden dieRentner und Vorruheständler vor neue, scheinbar unlösbare Aufgabengestellt. «Wir haben kaum technische Zeichnungen für diese Condor undmüssen uns an alte Fotos und Skizzen sowie eigene Berechnungenhalten», sagt Werkstattleiter Wiesner. Die Erinnerungen der einstigenAzubis des Focke-Wulf-Werkes spielen dabei eine wichtige Rolle.

Auf Fotos, Skizzen, ein Reparaturhandbuch und Erinnerungengestützt, versuchen die Konstrukteure am Computer und auf demZeichenbrett neue detaillierte Baupläne zu erstellen. Zwar sollen soviele Originalteile wie möglich wieder verwendet werden. Doch invielen Fällen geht das nicht. Nur mit einer neuen Zeichnung, ist esdann möglich, die fehlenden Puzzlestücke mit Hilfe modernerTechnologien herzustellen. «Deswegen ist jedes Bruchstück, das wirhaben und das einigermaßen erhalten ist, ein wahres Goldstück füruns», sagt Wiesner.

Fritz Schneider schiebt seine Brille zurecht, fährt mit seinenHänden vorsichtig über die frisch geschliffene Metallkante und legtden Zollstock an. Wenn seine Berechnungen stimmen, müsste diesmalalles klappen. Als er den Rippenbogen für den Innenflügel zum erstenMal fertigte, hatte er sich um wenige Millimeter vertan. DieErinnerung ist schließlich schon einige Jahrzehnte alt. Aber der alteMann weiß sich zu helfen. «Ich habe aus meiner Zeit alsAuszubildender ein altes Lehrbuch mitgebracht. Das ist schonhilfreich. Da muss ich auch immer mal rein schauen», sagt er undlächelt verschmitzt.

Bis Ende des Jahres wollen die ehrgeizigen Männer und Frauen denersten Innenflügel restauriert haben. Ergänzt durch ein Informations-Terminal soll er inklusive Motoren und Fahrwerk am Bremer Flughafenausgestellt werden. Damit wird ein wichtiger Teil der BremerLuftfahrtindustriegeschichte wieder «fassbar» gemacht: eine Condoraus der Hansestadt, die als Vorläufer einer ganzen Generation vonFlugzeugen gilt und damit den zivilen Luftverkehr mitprägte.

Bis das Flugzeug als restauriertes Gesamtwerk im DeutschenTechnikmuseum Berlin zu sehen sein wird, werden sich die emsigenRentner noch viele Jahre treffen müssen. Büker geht davon aus, dasssein Team Flügel und Rumpf der Fw 200 Condor innerhalb der nächsten10 bis 15 Jahre Stück für Stück fertig stellen wird. «Letztlich istdas hier eine wunderschöne und sinnvolle Aufgabe für alle, die vonder Fliegerei begeistert sind», sagt Wiesner.