Notfälle „Es zerreißt einem das Herz“ - Vermisste Valeriia ist tot
Mit ihrer Mutter ist die kleine Valeriia vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Doch hier wurde sie Opfer eines Verbrechens. Nach über einer Woche banger Suche gibt es traurige Gewissheit.
Döbeln - Noch am Wochenende hatte Valeriias Vater per Video aus der Ukraine an mögliche Entführer appelliert: „Finden Sie in sich den Mut, uns Eltern unser geliebtes Kind zurückzugeben.“ Doch seine in der „Bild am Sonntag“ geäußerte Hoffnung, das Mädchen bald wieder in den Arm nehmen zu können, hat sich jäh zerschlagen. Valeriia ist tot. Ihre Leiche wurde am Dienstag gegen 14.30 Uhr in einem unwegsamen Wald bei Döbeln tief im Unterholz gefunden. Nach der Sektion der Leiche gehen die Ermittler von einem Verbrechen aus, ermitteln wegen Totschlag und Mord. Die Suche nach dem Täter oder der Täterin fokussiere sich derzeit auf das soziale Umfeld des Mädchens, erklärte Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart am Mittwoch.
Am Montag voriger Woche hatte sich Valeriia morgens auf den Weg zur Schule gemacht. Doch im Unterricht erscheint sie nicht. Weil es die Schule versäumt, die Mutter anzurufen, fällt ihr Verschwinden erst am Nachmittag auf, als sie nicht nach Hause kommt. Dann wird tagelang intensiv gesucht: per Drohne und Hubschrauber, mit speziellen Hunden und Tauchern; Hunderte Polizisten durchkämmten die Stadt, Bilder und Videos von Kameras werden von sogenannten Super-Recognisern analysiert. Bekannte Sexualstraftäter in der Region werden überprüft und in Fernsehsendungen nach Hinweisen auf das Mädchen gesucht. Auch zu Kollegen im Ausland nimmt die Polizei Kontakt auf - das Mädchen und ihre Mutter waren 2022 vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet, der Vater kämpft dort an der Front. Es findet sich lange keine heiße Spur, auch ein Unfall wird für möglich gehalten.
Doch seit Mittwoch herrscht traurige Gewissheit. Und die geht selbst hart gesottenen Polizisten nahe. „Wir alle hatten über neun Tage hinweg einzig und allein das Ziel, die Suche nach Valeriia zu einem guten Ende zu führen“, sagte Polizeipräsident Carsten Kaempf. Die tiefe Betroffenheit und Fassungslosigkeit auch in den Reihen der Polizei sei nicht in Worte zu fassen. „Der Verlust eines Kindes zerreißt einem das Herz.“ Es werde alles unternommen, um dieses Verbrechen aufzuklären und den oder die Täter zu finden, versicherte er. „Darauf liegt unser absoluter Fokus.“
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Fundort der Leiche auch der Tatort ist. Es handelt sich den Angaben nach um einen Wald zwischen Hermsdorf und Mahlitzsch - rund vier Kilometer zu Fuß vom Wohnort des Mädchens entfernt. Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch des Kindes gebe es nicht, hieß es. Zur genauen Todesursache wurden wegen der laufenden Ermittlungen keine Angaben gemacht.
Laut Polizei hatte es frühzeitig den Hinweis einer Zeugin gegeben, die am Stadtrand Hilfeschreie gehört haben will. Dies habe aber zunächst nicht genauer eingegrenzt werden können, erklärte die Leiterin der Kriminalpolizeiinspektion Mandy Kürschner. Wo die Zeugin den Schrei gehört habe und dem Fundort der Kinderleiche gebe es rund 2 Kilometer Abstand. Die Suche habe sich zunächst auf das unmittelbare Umfeld von Wohnung, Schulweg und Schule konzentriert. Erst an diesem Dienstag hatten mehr als 400 Polizisten Felder und Wälder im südlichen Stadtgebiet durchkämmt und dort die Leiche gefunden.
„Wir alle sind sehr betroffen und schockiert über den Tod der kleinen Valeriia“, sagte Oberbürgermeister Sven Liebhauser (CDU). „Döbeln ist erschüttert.“ Vielen Bürgern und Bürgerinnen sei jetzt nicht danach zu feiern. Daher habe sich die rund 24.000 Einwohner zählende Stadt im Landkreis Mittelsachsen entschlossen, ihr am Wochenende geplantes Stadtfest abzusagen. Stattdessen rief Liebhauser die Menschen auf, am Freitagabend gemeinsam und mit Kerzen in den Händen auf dem Obermarkt des Mädchens zu gedenken. Zudem soll es am Sonntag einen Gedenkgottesdienst geben. Auch ein Spendenkonto zur Unterstützung der Familie wurde eingerichtet.
Auch an Valeriias Schule ringen Lehrer und Schüler mit der Nachricht, dass ein Kind aus ihren Reihen gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde. Dazu seien seit Mittwoch wieder mehrere Schulpsychologen für einen Kriseneinsatz vor Ort, sagte der Sprecher des Landesamtes für Schule und Bildung, Clemens Arndt. Die Behörde geht auch einem Fehlverhalten der Schule nach, weil das Fehlen des Mädchens im Unterricht nicht der Mutter gemeldet worden war.
In Deutschland werden jedes Jahr Tausende Kinder im Alter von bis zu 13 Jahren als vermisst gemeldet. Die meisten können wieder ausfindig gemacht werden. Laut Bundeskriminalamt lag die Aufklärungsquote in den vergangenen sechs Jahren bei 99,8 Prozent. Bundesweit hatte zuletzt auch die Suche nach dem sechsjährigen Arian aus Bremervörde-Elm in Niedersachsen für Aufsehen gesorgt. Er wird seit 22. April vermisst.