Verfassungsschutzkontrolle Entsetzen nach Scheitern von Wahlen im Landtag
Die jahrelange Hängepartie geht weiter: Ein Linke-Abgeordneter fiel bei der Wahl zum Mitglied der Verfassungsschutzkontrolle durch. Doch eine andere Nicht-Wahl könnte noch größere Folgen haben.
Erfurt - Wenige Monate vor dem Ende der Legislaturperiode sind Kandidaten für wichtige Positionen in Justiz und Innerer Sicherheit bei Wahlen im Parlament gescheitert. Die langjährige Richterin Ute Jung erhielt nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit für ihre Wiederwahl. Auch der Linke-Abgeordnete André Blechschmidt fiel bei einer Wahl als Mitglied in ein Gremium zur Kontrolle des Verfassungsschutzes durch. Beide verfehlten die nötige Zweidrittelmehrheit.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) reagierte erschüttert. „Einer sehr erfahrenen und seit Jahren anerkannten Richterin die Stimme zu versagen, macht nur noch fassungslos“, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in Erfurt. Das sei auch gegenüber dem Staat verantwortungslos, denn man behindere den Verfassungsgerichtshof in seiner Arbeit.
Jung erhielt 55 Ja-Stimmen, wobei 60 für eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen wären. Nach Angaben des SPD-Vize-Fraktionschefs Lutz Liebscher übte Jung ihre Stellvertreterposition aktiv aus, bearbeitete also Fälle am höchsten Gericht im Freistaat.
Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich sagte, Jung sei bereits seit 2017 stellvertretendes Mitglied, ihre Amtszeit laufe bis Ende März. Nun scheiterte ihre Wiederwahl überraschend. „Wir halten das schon für ein echtes Problem, dass eine so wichtige Position nicht besetzt werden kann“, sagte Rothe-Beinlich.
Linke-Fraktionschef Steffen Dittes sieht die CDU in der Verantwortung dafür, dass es nicht genügend Stimmen für Zweidrittelmehrheiten gab. „Wer auf das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaates vertraut, kann auf die CDU nicht setzen“, sagte Dittes. CDU-Fraktionschef Mario Voigt erklärte, es hätten auf allen Seiten Leute gefehlt.
Liebscher wies darauf hin, dass der an Krebs erkrankte SPD-Fraktionschef Matthias Hey extra für die Abstimmung in den Landtag gekommen war.
Mit der gescheiterten Wahl des letzten fehlenden Mitglieds in der parlamentarischen Kontrollkommission versäumten es die Abgeordneten des Landtags, eine Blockade des Gremiums zu beenden, das den Inlandsgeheimdienst in Thüringen kontrollieren soll.
Das Gremium hätte sich schon vor Jahren neu bilden sollen, jedoch fielen immer wieder Kandidaten bei Wahlen durch. Anfangs betraf dies AfD-Kandidaten, die nie die erforderliche Mehrheit erhielten. Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuft und beobachtet. AfD-Vertreter in der parlamentarischen Kontrollkommission hätten also jenen Verfassungsschutz kontrollieren sollen, der sie selbst beobachtet.
Eine Kontrolle des Verfassungsschutzes durch das Parlament fand trotzdem statt: Die Kontrollkommission aus der vergangenen Legislaturperiode blieb erhalten und tagte weiter - teils aber mit Vertretern, die gar keine Abgeordneten mehr waren. Innenpolitiker hatten diesen Zustand teils kritisiert und eine Kommission mit neuer Legitimierung durch das Parlament gefordert. Außerdem kann die Kommission in alter Zusammensetzung nicht noch in der künftigen Legislaturperiode arbeiten - so zumindest die bisherige Lesart.
Ende 2022 änderte der Landtag die Wahlregeln für Mitglieder der Kommission. Seitdem ist es möglich, die AfD bei der Besetzung außen vor zu lassen. Es müssen nicht mehr Vertreter jeder Fraktion im Gremium vertreten sein, sondern es kommt nunmehr nur noch auf einen Ausgleich von Vertretern der Opposition und der regierungstragenden Fraktionen an. Nach der neuen Regelung muss die Kommission mit Vertretern der Regierungskoalition und drei Vertretern der Opposition besetzt werden. Gewählte Mitglieder sind bisher die SPD-Abgeordnete Dorothea Marx, Dirk Bergner von der FDP sowie die CDU-Abgeordneten Raymond Walk und Jörg Kellner.
Auch die Linke sollte einen Vertreter oder eine Vertreterin für das Gremium vorschlagen. Doch die Kandidaten der Linken fielen immer wieder durch - etwa der Linke-Innenpolitiker Sascha Bilay oder der Linke-Fraktionschef Steffen Dittes. Rot-Rot-Grün reagierte auf die Wahlniederlagen empört - und bezichtigte die CDU, sich an Absprachen nicht gehalten zu haben, was diese von sich wies. Zwischenzeitlich übergab die Linke das Vorschlagsrecht der Grünen-Fraktion, die ihre Innenpolitikerin Madeleine Henfling ins Rennen schickte, die aber ebenfalls nicht genug Stimmen erhielt.
CDU-Fraktionschef Mario Voigt hatte vor der Wahl mit dem Kandidaten Blechschmidt angekündigt, seiner Fraktion die Wahl Blechschmidts empfehlen zu wollen. Der 67-Jährige ist parlamentarischer Geschäftsführer der Linke-Fraktion und gilt auch außerhalb seiner eigenen Fraktion als geachteter Parlamentarier.
Der CDU-Innenpolitiker Raymond Walk sagte, dass es keine parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes in der kommenden Legislatur geben könnte, sei nicht vorstellbar. Er warb dafür als letzten Ausweg, dass sich eine neue Kommission mit den bereits gewählten vier Mitgliedern konstituiert.