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Ein Monat nach dem Einsturz Ein Monat nach dem Einsturz: Bad Reichenhall kehrt wieder zur Normalität zurück

Von Paul Winterer 01.02.2006, 10:52
Hilfskräfte stehen am Montag (2. Januar 2006) vor der zerstörten Eishalle in Bad Reichenhall. (Foto: dpa)
Hilfskräfte stehen am Montag (2. Januar 2006) vor der zerstörten Eishalle in Bad Reichenhall. (Foto: dpa) dpa

Bad Reichenhall/dpa. - Der Faschingszug wurde abgesagt, ebensoeinige Tanzbälle - zum Fröhlichsein ist in diesen Wochen kaumjemandem zumute in Bad Reichenhall. Es hat fast einen Monat gedauert,aber dennoch kehrt die Stadt allmählich zur Normalität zurück. DieBlechknäuel und zersplitterten Holzbalken der Eissporthalle sind zurUntersuchung hinter die hohen Mauern der Bundeswehrkaserne amStadtrand transportiert worden. Wo noch am JahresanfangEishockeyspieler dem Puck hinterherjagten und Schlittschuhläufer ihrePirouetten drehten, ragen nur noch nackte Betonpfeiler sinnlos in dieHöhe.

«Das öffentliche Leben geht weiter, und das ist auch gut so», sagtReichenhalls Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier. Beim Einsturz desHallendaches kamen am 2. Januar zwölf Kinder und Jugendliche sowiedrei Frauen ums Leben, 34 Menschen wurden teils schwer verletzt. DieErmittlungen zur Unglücksursache werden nicht vor April abgeschlossensein.

Als am vergangenen Samstag im polnischen Kattowitz eine Messehalleeinstürzte und mehr als 60 Menschen starben, wurde der parteiloseReichenhaller Rathauschef sofort wieder an die Katastrophe knapp vierWochen zuvor in seiner Heimatstadt erinnert. «Schnell wurde mir klar,dass ich ein Zeichen der Solidarität mit meinem dortigen Amtskollegensetzen musste», erzählt Heitmeier. Und so sandte er ein sehrpersönlich gehaltenes Kondolenzschreiben an den Chef im KattowitzerRathaus und an alle Bürger der Stadt.

Solidarität hatten in den Tagen nach dem schrecklichen Geschehenvom 2. Januar auch die Bewohner in dem oberbayerischen Städtchenerfahren. Bundespräsident Horst Köhler kam mit seiner Frau nachReichenhall, Ministerpräsident Edmund Stoiber trauerte in zweiGottesdiensten mit und versprach finanzielle Hilfe, Münchens KardinalFriedrich Wetter nahm sich in der mächtigen Basilika St. Zeno Zeitfür persönliche Begegnungen mit den Hinterbliebenen. Doch nun sinddie Toten beerdigt, und die Eltern der vielen jungen Opfer müssendamit fertig werden, dass die Betten ihrer Kinder jeden Morgen leersind.

Die Katastrophe von Bad Reichenhall löste in Deutschland einelebhafte Debatte über die Sicherheit öffentlicher Gebäuden aus. Vorallem am Alpenrand, wo die Dächer vieler Sporthallen im Wintermitunter einer gewaltigen Schneelast Stand halten müssen, wurde derRuf nach strengeren Bauauflagen laut. Das Kultusministerium inMünchen forderte die Schulleiter im Freistaat auf, umgehend für dieSicherheit aller Turnhallen zu sorgen, der Landtag setzte das Themaauf die Tagesordnung. Wie zum Beweis für die in öffentlichen Bautenschlummernde Gefahr stürzten in den Tagen nach der Reichenhall-Katastrophe weitere Dächer etwa von Reithallen ein. Gottlob wurdedabei niemand mehr verletzt.

Das von der Staatsanwaltschaft in Traunstein geführteErmittlungsverfahren gegen unbekannt wegen fahrlässiger Tötung in 15Fällen dürfte eines der aufwendigsten in der deutschenNachkriegsgeschichte sein. «Bis jetzt wurden schon über hundertZeugen vernommen», berichtet Staatsanwalt Volker Ziegler. In derReichenhaller Kaserne liegen tonnenweise Trümmer der eingestürztenEishalle. In detektivischer Kleinarbeit untersuchen dreiSachverständige mit dutzenden Helfern vor allem die Reste derriesigen Holzträger. Bis April sollen die Gutachter ihre Arbeit getanhaben. Dann soll feststehen, warum die über 30 Jahre alte Halleinnerhalb weniger Sekunden zu einem Tod bringenden Trümmerhaufenwurde.

Spekuliert wurde bereits kurz nach dem Unglück, und das nicht zuknapp. Die einen wollen gewusst haben, dass es schon lange durchsmarode Dach regnete. Gutachter, die gar nicht mit den Ermittlungenzur Einsturzursache beauftragt waren, schwadronierten von defektenLeimbindern der Dachkonstruktion. Heitmeier musste sich harscheKritik anhören, er habe die Gefahr gekannt und geschwiegen, anstattdie städtische Halle zuzusperren, zumal das Eishockeytraining für denAbend des Unglückstages abgesagt wurde, nicht aber der Volkslauf amNachmittag.

Die erste Zeit nach dem Unglück war für den OB in dem 18 000Einwohner zählenden Staatsbad ein Spießrutenlaufen. «Schämen Sie sichnicht?», schleuderte ihm zwei Tage nach der Katastrophe einePassantin entgegen, «Sie haben diese Menschen auf dem Gewissen.» Dahalf auch nicht, dass Heitmeier ein Gutachten aus dem Jahr 2003präsentierte, das dem Hallendach einen einwandfreien Zustandattestiert. Der ansonsten pausbäckige Mann mit gesund durchbluteterHaut lief in jenen Tagen aschfahl im Gesicht und mit eingefallenenWangen durch die Gänge im Rathaus. Inzwischen hat der seit 18 Jahrenamtierende Rathauschef «den Kopf wieder oben», wie er daszurückgewonnene Selbstvertrauen nennt. «Viele Leute machen mir impersönlichen Gespräch Mut», freut sich Heitmeier

Die Bildkombo zeigt die Eissporthalle in Bad Reichenhall vor und nach ihrem Einsturz (Archivfotos vom Sommer 2005 und vom 03.01.2006). (Foto: dpa)
Die Bildkombo zeigt die Eissporthalle in Bad Reichenhall vor und nach ihrem Einsturz (Archivfotos vom Sommer 2005 und vom 03.01.2006). (Foto: dpa)
dpa/Reichenhaller Tagblatt
Ein Mann steht im oberbayerischen Bad Reichenhall mit einem Schild mit der Aufschrift «Warum» vor der Basilika St. Zeno. (Foto: dpa)
Ein Mann steht im oberbayerischen Bad Reichenhall mit einem Schild mit der Aufschrift «Warum» vor der Basilika St. Zeno. (Foto: dpa)
dpa