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Bahn-Unfall bei Bad Aibling mit zehn Toten Bahn-Unfall bei Bad Aibling mit zehn Toten: Drama auf eingleisiger Strecke

Von Uli Bachmeier 09.02.2016, 18:43
Die Unfallstelle in Bad Aibling
Die Unfallstelle in Bad Aibling AP Lizenz

Bad Aibling - Am Abend zuvor tanzten sie beim Rosenmontagsball in der Turnhalle noch auf den Tischen. Sangen Lieder aus den 70er Jahren und banden den örtlichen Diakon an den Marterpfahl. Fasching in Kolbermoor, einer Kleinstadt unweit von Rosenheim. Die Kinder haben Ferien. Gott sei Dank ist Fasching, und Gott sei Dank sind Ferien. Sonst wäre am Dienstagmorgen um Viertel vor sieben am kleinen Bahnhof viel mehr Betrieb und die Züge wären deutlich voller gewesen. Und alles wäre noch schlimmer gekommen, als es ohnehin ist.

Was sich in den beiden Zügen abgespielt haben muss, im Moment des Zusammenstoßes, in den lähmenden Sekunden und Minuten danach, übersteigt ihre Vorstellungskraft. Ein junger Mann ist einer der wenigen, die bereit sind, darüber Auskunft zu geben. Er erlebt mit, wie eine hochschwangere Frau mit dem Bauch gegen einen Tisch knallt. Ein paar Meter von ihm entfernt wird ein Zugabteil komplett zerdrückt. Er selbst erleidet bei dem Aufprall ein Schleudertrauma. Noch Stunden später fällt es ihm schwer, über die furchtbaren Erlebnisse zu sprechen. Was noch hinzukommt: Eigentlich sollte er gar nicht in dem Unglückszug sitzen. Er wollte eine frühere Verbindung nehmen, kam aber nicht aus dem Bett.

Unvorstellbare Szenen des Unglücks

Dass ein Unglück geschehen sein muss, darüber braucht die Polizei in Bad Aibling nicht extra informiert zu werden. Der laute Knall um 6.48 Uhr in der Früh ist, wie Polizeipräsident Robert Kopp später berichtet, über Kilometer hinweg bis in die Einsatzzentrale zu hören. Sofort sei klar gewesen, dass es sich um eine „wirkliche Katastrophe“ handelt.

Der Ort, an dem sich die Katastrophe ereignet, stellt die Rettungskräfte vor eine Herausforderung. Die beiden Nahverkehrszüge sind in einer langgezogenen Kurve offenbar ungebremst mit jeweils bis zu 100 Stundenkilometern Geschwindigkeit frontal zusammengestoßen. Nördlich dieses Streckenabschnitts liegt ein bewaldeter Hügel. Südlich der Gleise verläuft der Mangfallkanal. Zwischen Bahnstrecke und Kanal liegen nur wenige Meter: ein Graben, eine Baumreihe, ein Fußweg. Die Verletzten hier mit Rettungswagen abzutransportieren, daran ist nicht zu denken. Die Situation ist „ähnlich wie bei einer Bergrettung“, sagt Innenminister Joachim Herrmann.

Feuerwehrleute berichten von einer fast gespenstischen Ruhe am Unglücksort. Es habe kein Geschrei gegeben, kein Chaos, nur einzelne Hilferufe aus den Zügen, sagt Kreisbrandrat Richard Schrank. Das, was die Retter dort sehen müssen, ist umso schlimmer. Die beiden Züge haben sich mit ihren Triebköpfen vollständig ineinander verkeilt. Wer, wie die beiden Lokführer, jeweils im vordersten Zugteil saß, hatte kaum eine Überlebenschance. Aber auch in den Waggons weiter hinten sind Menschen eingeklemmt und schwer verletzt. Ein Mann muss zweieinhalb Stunden mit Sauerstoff beatmet werden, ehe es der Feuerwehr gelingt, ihn aus den zerquetschten Stahlteilen zu schneiden.

Großaufgebot binnen kürzester Zeit

Binnen kürzester Zeit bieten Polizei und Rettungsdienste auf, was nur aufzubieten ist: 215 bayerische Polizisten, 50 Beamte der Bundespolizei, 180 Feuerwehrleute und rund 200 Rettungskräfte kommen zum Unfallort. Sanitäter, Notärzte, Wasserwacht, Bergwacht und Technisches Hilfswerk rücken an. Sogar aus dem benachbarten Tirol eilen Retter herbei. Rettungs- und Polizeihubschrauber werden nach Bad Aibling beordert, um die Schwerverletzten aufzunehmen.

Boote bringen die weniger stark Verletzten über den Kanal. Der leitende Notarzt weist die Krankenhäuser in der Umgebung an, ihre Operationssäle freizuhalten. Als mittags Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) am Unglücksort eintreffen, sind die Retter immer noch im Einsatz. Zwei vermisste Personen sind noch nicht gefunden worden. Die Wracks der Züge zu trennen und abzutransportieren werde noch Tage dauern, heißt es.

In Mannheim rammt ein Güterzug einen Eurocity mit 250 Passagieren - zwei Waggons stürzen um, 35 Menschen werden verletzt. Der Lokführer des Güterzugs hatte ein Haltesignal übersehen.

Ein Intercity entgleist beim Verlassen des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Acht Menschen werden verletzt. Bereits im Juli war an gleicher Stelle ein IC aus den Gleisen gesprungen. Ursache waren jeweils defekte Puffer an den Waggons.

Eine Regionalbahn stößt bei Offenbach (Hessen) mit einem Baukran-Zug zusammen. Drei Menschen werden getötet, 13 verletzt.

Ein Regionalzug rast in Nordfriesland in eine Rinderherde und kippt um. Ein Fahrgast kommt ums Leben.

Geröll stürzt bei heftigen Regenfällen ins Gleis und lässt einen Intercity mit etwa 800 Menschen an Bord bei St. Goar im Rheintal entgleisen. 15 Menschen werden verletzt.

Zehn Menschen sterben, als ein Nahverkehrszug bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt mit einem Güterzug zusammenstößt. Ein Lokführer hatte zwei Haltesignale überfahren.

Bei einer Feier zum 125-jährigen Bestehen der historischen Lößnitzgrundbahn in Sachsen stoßen zwei der historischen Züge zusammen. 52 Menschen werden verletzt, vier von ihnen schwer.

Ein ICE rast südlich von Fulda (Hessen) in eine Schafherde und entgleist teilweise - 73 Verletzte.

Bei Schrozberg in Baden-Württemberg stoßen zwei Regionalzüge zusammen. Sechs Menschen sterben.

In einer Baustelle des Bahnhofs Brühl bei Köln entgleist der Nachtexpress von Amsterdam nach Basel an einer Weiche. Bilanz: Neun Tote, 149 Verletzte.

Am Abend sickert dann aus Ermittlerkreisen durch, dass das Unglück auf menschliches Versagen zurückzuführen sei. Die Deutsche Presse-Agentur beruft sich dabei auf eine „zuverlässige Quelle“. Doch wer genau für das Unglück verantwortlich zu machen ist, blieb weiter unklar.

Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland der Madsack Mediengruppe zufolge soll ein Bahnbediensteter das automatische Signalsystem ausnahmsweise außer Kraft gesetzt haben, um einen verspäteten Triebwagen noch „quasi von Hand durchzuwinken“. Der entgegenkommende Zug habe ebenfalls grünes Licht bekommen.

Das Sicherungssystem konnte die aufeinander zurasenden Züge demnach nicht, wie vorgesehen, automatisch abbremsen. Diese Informationen blieben aber am Dienstagabend unbestätigt. Auf der Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim wurde das System erst vergangene Woche routinemäßig überprüft.

Als ausgeschlossen gilt, dass die Lokführer den Zusammenstoß im letzten Moment hätten verhindern können. In der Kurve war durch den Wald beiden die Sicht versperrt. Sie hätten, so sagen die Ermittler, höchstens eine, bestenfalls zwei Sekunden Zeit gehabt, um zu reagieren und auf die Bremse zu treten. Sie hatten keine Chance.

Der Artikel ist auch auf der Seite der Augsburger Allgemeine erschienen. Die Kollegen aus Süddeutschland informieren über die Arbeit der Rettungskräfte und weitere Erkenntnisse.

Rettungskräfte am Unglücksort
Rettungskräfte am Unglücksort
dpa Lizenz
Rettungskräfte an der Unfallstelle des Zugunglücks in der Nähe von Bad Aibling
Rettungskräfte an der Unfallstelle des Zugunglücks in der Nähe von Bad Aibling
dpa Lizenz
Mehrere Hundert Einsatzkräfte kümmern sich um die Opfer des Zugunglücks.
Mehrere Hundert Einsatzkräfte kümmern sich um die Opfer des Zugunglücks.
dpa Lizenz
Rettungskräfte kommen nur schwer an das Wrack heran.
Rettungskräfte kommen nur schwer an das Wrack heran.
AP Lizenz