Landgericht Hildesheim Angeklagter schweigt zu tödlicher Messerattacke in Sarstedt
Ein Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft soll den 61 Jahre alten Betreiber der Einrichtung erstochen haben. Zum Prozessauftakt würdigt die trauernde Familie den Getöteten und hat einen Appell.
![Verteidiger Roj Khalaf will am nächsten Prozesstag eine Erklärung für den Angeklagten abgeben.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/07/ff900810-c080-45b1-b57b-e3eedaf87b1a.jpeg?w=1024&auto=format)
Hildesheim - Die tödliche Messerattacke auf den Betreiber einer Flüchtlingsunterkunft in Sarstedt machte im vergangenen September bundesweit Schlagzeilen. Festgenommen wurde ein Bewohner der Unterkunft. Der Iraker war nach einem abgelehnten Asylantrag ausreisepflichtig. Seit heute steht der 35-Jährige vor dem Landgericht Hildesheim, ihm wird Totschlag vorgeworfen. Als Nebenkläger saßen die beiden ältesten Söhne des getöteten 61-Jährigen im Gerichtssaal. Der im afghanischen Kabul geborene Deutsche war ein sozial engagierter Geschäftsmann, zu seiner Beerdigung kamen fast 1.000 Menschen.
Der schmächtige Angeklagte wirkte gefasst, mit gefalteten Händen hörte er aufmerksam der Dolmetscherin zu. Laut Anklage bewohnte der Iraker bereits seit September 2022 ein Zimmer in dem zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Hotel in der Nähe des Bahnhofs der Kleinstadt. Am 2. September 2024 soll er im Außenbereich den Hotelbetreiber geschubst und ihm dann ein Küchenmesser mit einer neun Zentimeter langen Klinge in die Brust gerammt haben. Das Opfer verlor nach dem Stich ins Herz nach wenigen Minuten das Bewusstsein und starb am Tatort.
Familie des Opfers sah sich mit Vorurteilen konfrontiert
Die Anklage stützt sich unter anderem auf die Beobachtung von Zeugen und Aufnahmen einer Videokamera. Laut Medienberichten soll der Iraker immer wieder mit anderen Bewohnern der Unterkunft sowie dem Betreiber Streit gesucht haben. Zum Auftakt der Verhandlung schwieg der im irakischen Mossul geborene 35-Jährige. Sein Verteidiger Roj Khalaf kündigte für den nächsten Verhandlungstag eine Erklärung ab, Fragen werde sein Mandant aber nicht beantworten. Die Erklärung soll erst am 28. Februar abgegeben werden, weil dann der psychiatrische Gutachter im Gerichtssaal sitzen wird.
Nebenklage-Anwalt Matthias Waldraff trug dann eine Erklärung im Namen der Hinterbliebenen vor. Die Ehefrau und die Kinder des Getöteten seien mehrfach - auch im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen - mit Vorurteilen konfrontiert worden, sagte Waldraff. Dies habe ihre extrem verzweifelte psychische Belastungssituation noch erschwert. Die Familie appelliere an die Medien, ihr Privatleben zu schützen und keine Bilder von ihr zu veröffentlichen.
Hinterbliebene wollen Prozess nicht politisch instrumentalisieren
Den größten Raum der Erklärung nahm die Würdigung der Lebensleistung des Getöteten ein. Der 61-Jährige habe erfolgreich ein Unternehmen mit zeitweise 380 Mitarbeitern geführt, seine sechs Kinder besuchten das Gymnasium, die älteren hätten teilweise das Studium abgeschlossen. Der älteste Sohn führe das Familienhotel weiter und engagiere sich wie sein Vater sozial.
Waldraff zitierte einen Zeitungsbericht, wonach die Familie sich rund um die Uhr intensiv um die Bewohner des zur Unterkunft umfunktionierten Hotels gekümmert habe. Der 61-Jährige sei für seine Freundlichkeit, Seriosität, Disziplin und Großzügigkeit und seinen Fleiß bekannt gewesen. Er habe großes Verständnis und Empathie für die Bewohner seiner Unterkunft gezeigt. „Die Familie ist entschlossen, den Prozess nicht politisch zu instrumentalisieren“, betonte der Anwalt.
Eine Reihe von Messerangriffen hatte im vergangenen Jahr eine bundesweite Debatte über Migrationspolitik ausgelöst. Die Tat in Sarstedt südlich von Hannover ereignete sich nur wenige Tage nach dem Messerangriff mit drei Toten im nordrhein-westfälischen Solingen. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim schloss aber im Fall Sarstedt schnell einen terroristischen oder islamistischen Hintergrund aus.
Richter dankt für sachlichen Verhandlungsstart
Im Verlauf des Prozesses wird möglicherweise auch zur Sprache kommen, weshalb der 35-Jährige sich überhaupt noch in Deutschland aufhielt. Der mutmaßliche Täter war geduldet und hätte abgeschoben werden sollen. Nach einem abgelehnten Asylantrag im August 2017 war er nach Polen überstellt worden. Im Juni 2022 reiste er laut niedersächsischem Innenministerium erneut ein und stellte einen neuen Asylantrag, einen sogenannten Zweitantrag. Zunächst verhängte das Verwaltungsgericht Hannover einen Abschiebestopp, dieser war zum Tatzeitpunkt aber bereits wieder aufgehoben worden.
Der Vorsitzende Richter Rainer de Lippe sagte zum Abschluss des ersten Verhandlungstages zu den Beteiligten und Zuhörerinnen und Zuhörern: „Danke dafür, dass es einen ruhigen sachlichen Prozessstart gegeben hat.“ Dies tue der Sache gut - auch im Gedenken an den Verstorbenen.