Begleitetes Fahren 20 Jahre Führerschein mit 17 - „Ein großer Erfolg“
Jugendliche sollen früher ans Lenkrad, um Fahrpraxis zu sammeln: Als erstes Bundesland setzt Niedersachsen vor 20 Jahren auf den Führerschein mit 17. Das erntet viel Kritik - ganz anders als heute.
Hannover - Zum ersten Mal hinter dem Lenkrad eines Autos, alles kommt einem so unglaublich schnell vor. Manch ein Fahrlehrer muss dann erst zeigen, was ein beherzter Tritt aufs Gaspedal bewirkt. Der Respekt vor der Geschwindigkeit aber, der verliert sich bald.
Kein Wunder, dass ein Gedanke bei vielen Eltern wohl noch immer ein mulmiges Gefühl auslöst: Soll der Nachwuchs schon mit 17 Jahren Auto fahren dürfen - oder gar mit 16, wie es seit Jahren diskutiert wird? Ist das nicht viel zu früh, selbst wenn Mama oder Papa bis zum 18. Geburtstag daneben sitzen muss? Offensichtlich nicht: „Das begleitete Fahren ist aus unserer Sicht ein großer Erfolg“, sagt Heiner Sothmann von der Deutschen Verkehrswacht. ADAC-Sprecher Andreas Hölzel betont: „Der Führerschein mit 17 war und ist ein Gewinn.“
Widerstand war groß
Dabei war der Widerstand riesig, als Niedersachsen dies vor 20 Jahren, am 19. April 2004, als erstes Bundesland in einem Modellversuch einführte - gegen den Willen der damaligen Bundesregierung, und auch der ADAC war dagegen.
Lang ist's her. Denn schon Anfang 2008 gab es in allen Bundesländern den Führerschein mit 17, 2011 wurde daraus eine bundesweit gesetzlich geregelte Möglichkeit. An dem Modellversuch konnten zunächst nur Jugendliche in insgesamt 18 Städten und Kreisen in Niedersachsen teilnehmen - darunter Braunschweig, Göttingen, Hannover und Wolfsburg. Später wurde der Versuch dann auf das ganze Bundesland ausgedehnt.
Das sieht so aus: Jugendliche dürfen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres mit einer Ausnahmegenehmigung Auto fahren, wenn eine Begleitperson mitfährt. Für den Beifahrer, der mindestens 30 Jahre alt sein muss, gelten Auflagen.
Und der Versuch hat sich ausgezahlt: Jugendliche, die sich bereits mit 17 hinters Steuer setzten, wiesen nach Einschätzung der Deutschen Verkehrswacht ein deutlich geringeres Unfallrisiko auf als jene, die die Begleitphase nicht nutzten.
Weniger Unfallbeteiligungen
Nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen kommen die jungen Fahrer im ersten Jahr des selbstständigen Fahrens auf 19 Prozent weniger Unfallbeteiligungen und 18 Prozent weniger Verkehrsverstöße im Vergleich mit gleichaltrigen Fahrern, die auf die Begleitung ab 17 verzichtet haben. Auffällig dabei: Der Evaluation zufolge sank die Zahl schwerer Verkehrsauffälligkeiten stärker als die der Bagatellfälle.
Nach Angaben der niedersächsischen ADAC-Sprecherin Alexandra Kruse belegen Studien, dass 18- bis 24-Jährige durchaus mehr Verkehrsunfälle verursachen als ältere Fahrer - in den vergangenen Jahren aber sei die Zahl der verunglückten jungen Fahrer deutlich gesunken. Laut ADAC-Unfalldatenbank wurde 2008 noch mehr als jeder dritte Unfall von einem Fahranfänger verursacht. 2019 war es nur noch jeder Fünfte.
Auswirkungen
Was sich besonders günstig auswirke, sei ein langer Zeitraum des begleiteten Fahrens, sagt Verkehrswacht-Sprecher Sothmann. Denn: Junge Autofahrerinnen und -fahrer seien eine „Hochrisikogruppe im Straßenverkehr“, sie hätten wenig Fahrpraxis, gleichzeitig scheuten sie oft keine Risiken. Führen sie in Begleitung, profitierten sie von der meist langjährigen Erfahrung der Begleitperson. Auch sei der „Drang zur Grenzerfahrung verringert“, denn wer mit dem Auto der Eltern in deren Beisein unterwegs sei, für den seien Alkohol, Rasen und riskante Fahrmanöver „eher keine Option“. Tatsächlich sagte eine Begleiterin dem ADAC: „Ich habe gemerkt, wie mein Kind sicherer geworden ist.“
Dennoch sank laut Kraftfahrtbundesamt die Zahl der Führerschein-mit-17-Absolventen über die Jahre. 2016 waren es demnach noch 191.658, 2021 nur noch 113.162. Erst 2022 stieg die Zahl wieder leicht auf 114.195, im vergangenen Jahr dann auf 117 105.
Allerdings sei auch die Zahl der neu erworbenen Führerscheine insgesamt gesunken, betont Sothmann. 2016 gab es über 1,5 Millionen Fahrerlaubnisse unter den 18- bis 20-Jährigen, 2023 waren es nur noch etwa 1,2 Millionen. „Die Frage wäre also auch, warum machen insgesamt weniger Jugendliche den Führerschein“, erklärt er.
Auch nutze nur rund die Hälfte der Führerscheinbewerberinnen und -bewerber das begleitete Fahren ab 17, sagt ADAC-Sprecher Hölzel. Nur wenige davon schöpfen dabei den vollen Zeitraum aus - weil die Ausbildung häufig erst mit 17 Jahren beginne und die Zeit bis zur Prüfung in der Regel mehr als ein halbes Jahr beanspruche.
Das begleitete Fahren schon ab 16 Jahren?
Daher sei der ADAC dafür, das begleitete Fahren schon ab 16 Jahren zu ermöglichen, sagt er. So könne der Lernzeitraum unter geschützten Bedingungen verdoppelt werden. Auch Sothmann betont, der Erfolg des Führerscheins mit 17 lebe von einer möglichst langen Begleitphase: „Diese also auszudehnen lässt einen positiven Effekt vermuten.“
Nach ADAC-Angaben sammeln die Fahranfänger mit ihren erfahrenen Begleitern ordentlich Fahrpraxis - im Durchschnitt rund 1400 Kilometer. Zum Vergleich: In der Fahrausbildung in der Fahrschule sind sie demnach etwa 500 Kilometer am Steuer. Doch ob der Führerschein mit 16 wirklich irgendwann kommt, steht wohl in den Sternen.