MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 10. Oktober 2024 Wohnungsmarkt in der Krise: Was tun gegen Leerstand im Osten?
Weitere Themen: Ausländer retten Azubi-Bilanz / Kleiderrecycler insolvent / Bau von Flugzeugwerft startet / Traditionsdruckerei gefährdet / Meissen macht Verluste
Heiko Gerdes steht auf dem Balkon seiner Dessauer Neubauwohnung und sagt: „Ist der Blick nicht fantastisch.“ Der freiberufliche Architekt schaut auf die Innenstadt mit Marienkirche, Parks und den drei markanten Y-Wohnblöcken - 14 Geschosse hoch. Wo andere DDR-Plattenbauten und Leerstand sehen, sieht Gerdes Freiraum und Möglichkeiten zur Gestaltung. Seit einigen Monaten wohnt der Berliner nun in Dessau-Roßlau. Er ist einer der Teilnehmer des Projekts „Summer of Pioneers“.
15 junge Menschen aus deutschen Großstädten sind für sechs Monate in die Bauhaus-Stadt gezogen, um hier zu arbeiten und neue Projekte zu entwickeln. Dafür wird ihnen sehr günstig Wohnraum zur Verfügung gestellt. Gerdes wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der sechsten Etage eines Plattenbaus. „Ich fühle mich wohl hier“, sagt er.
Die „Pioniere“ sollen vor allem zwei Dinge erreichen: Großstädter aus Berlin und Leipzig, die sich dort kaum mehr Wohnungen leisten können, sollen auf Dessau aufmerksam gemacht werden. Die „Neu-Dessauer“ sollen jedoch auch der Stadt neue Impulse geben. „Ja, der Leerstand ist hoch, doch ich halte es für falsch, Blöcke abzureißen“, sagt Gerdes. In den nächsten Tagen werde ich in der MZ über das Projekt „Summer of Pioneers“ berichten.
Die Frage: Abriss, Modernisierung oder Neubau beschäftigt die Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt aktuell sehr intensiv. Vor allem die großen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen schlagen Alarm. Von den mehr als 300.000 Wohnungen stehen den Angaben zehn Prozent leer. Während in den Großstädten Halle und Magdeburg der Leerstand niedrig ist, steigt er in den ländlichen Regionen. Betroffen sind vor allem die Landkreise Jerichower Land, Mansfeld-Südharz und Dessau-Roßlau. „Ein Viertel der kommunalen Mitgliedsunternehmen hat bereits Leerstandsquoten von mehr als 15 Prozent“, sagt Jens Zillmann, Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft, der die kommunalen Gesellschaften vertritt (siehe Grafik).
Dieser Wert gelte als kritisch, da dann die Rentabilität der Firmen verloren ginge. Das sieht auch Sachsen-Anhalts Bauministerin Lydia Hüskens (FDP) so: „Aufgrund der mit dem Leerstand verbundenen Mieteinbußen verfügen die Unternehmen über eine derart geringe Liquidität, dass ihnen die notwendigen Investitionen in ihre Bestände nicht oder kaum möglich sind.“
Die kommunale Wohnungsgesellschaft in Dessau-Roßlau hat einen Leerstand von knapp 30 Prozent – das sind knapp 2.000 Wohnungen. Doch einige der Probleme sind offensichtlich auch hausgemacht. Die Wohnungsgenossenschaft Dessau verzeichnet einen Leerstand von unter drei Prozent. Sie hat seit den 90er Jahren konsequent abgerissen, modernisiert und auch neu gebaut. Beim Projekt „Summer of Pioneers" haben die Genossen die Wohnungen bereitgestellt – nicht das städtische Unternehmen.
Die Situation wird auf absehbare Zeit wohl nicht besser. Aufgrund hoher Zinsen und Baupreise kommen nun auch private Immobilienentwickler in finanzielle Nöte. Einer der größten Immobilienentwickler Ostdeutschlands, AOC aus Magdeburg, ist vergangene Woche insolvent gegangen. In Magdeburg, Halle, Leipzig, Erfurt und Dresden hat das Unternehmen mehrere große Wohn- und Büroprojekte geplant. Firmenchef Till Schwerdtfeger will nun in einer Insolvenz in Eigenverwaltung die Projekte retten. Ob das gelingt, ist offen.
Die Investitionszurückhaltung wird in den kommenden Monaten auch spürbare Auswirkungen auf die Bauwirtschaft haben. Die Zahl der Baugenehmigungen ist deutlich gesunken. Viele Aufträge werden noch abgearbeitet. Doch etliche Baufirmen wissen aktuell nicht, wie es dann weitergeht.
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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
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