MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 29. August 2024 Wahlkampf: Höcke verwünscht Familienunternehmen
Weitere Themen: Solar-Werk vorerst gesichert / Historisch schlechte Weinernte / Chemieriese kauft Recycling-Firma / Messe auf Rekordkurs / XXXLutz kommt
auch in dieser Woche wird dieser Wirtschaftsnewsletter politisch, weil die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen auch in den Firmen der Region das Thema der Stunde sind. Die Unternehmensverbände hatten sich bisher mit politischen Positionierungen zurückgehalten. Die Familienunternehmen starteten dann doch eine Kampagne mit dem Namen „Made in Germany, Made by Vielfalt“, die sich unter anderem gegen ausländerfeindliche Parolen wendet.
Der Thüringer AfD-Landeschef und Spitzenkandidat Björn Höcke reagierte darauf ungehalten. Bei einer Wahlkampf-Veranstaltung am Wochenende in der Stadt Sömmerda empfahl der den Unternehmen „einfach mal die Klappe zu halten“. Höcke sagte wörtlich: „Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen.“ Es gibt ein Video von dem Auftritt im sozialen Netzwerk X, jeder kann es nachhören.
Die Thüringer Bauunternehmerin Colette Boos-John, Landesvorsitzende der Familienunternehmer in Thüringen, reagierte darauf prompt: „Herr Höcke hat die Maske fallen lassen und zeigt, wie seine Partei mit Meinungen umgehen will, die ihm nicht genehm sind. Mit seinen Verwünschungen will er den Familienunternehmern die Existenz zerstören, aber offensichtlich wird, wie wirtschaftsfeindlich die AfD ist: Denn wenn Unternehmen in schwere Turbulenzen geraten, sind immer auch die Beschäftigten vor Ort die Leidtragenden.“
Nun ist Boos-John nicht ganz unparteiisch. Sie gehört zum Expertenteam von 13 Mitgliedern des Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt. Einige sprechen auch von einem möglichen Schattenkabinett. Zudem unterstützt die Unternehmerin auch finanziell den Wahlkampf von Voigt. Doch an ihrer Seite stehen auch viele andere Unternehmer, die sich Sorgen machen.
Kurz nach der Europa- und Kommunalwahl im Juni sagte der Gründer und Chef des Wittenberger Batteriespeicher-Herstellers Tesvolt, Daniel Hannemann, in der MZ: „Mit einer Remigrationspolitik und nationalem Protektionismus werden wir die Wirtschaft nicht zum Laufen bringen.“ 15 Prozent der Tesvolt-Mitarbeiter kommen inzwischen aus dem Ausland. „Wir benötigen diese auch, weil wir hierzulande nicht mehr ausreichend Fachkräfte finden“, so Hannemann.
Auch der Technologiekonzern Jenoptik aus Jena in Thüringen warnt vor dem Erstarken der AfD und den Folgen für die deutsche Wirtschaft. Firmenchef Stefan Traeger sagte der Süddeutschen Zeitung: „Versuchen Sie mal, jemanden mit Migrationshintergrund aus Nordrhein-Westfalen nach Jena zu locken." Der gebürtige Thüringer spricht von „einer sehr gefährlichen Stimmungslage in Ostdeutschland“.
Fast alle Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass ohne Zuwanderung das Fachkräfteproblem in Ostdeutschland in den kommenden Jahren nicht gelöst werden kann. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist, dass viele Beschäftigte und Firmenchefs die unkontrollierte Einwanderung in Deutschland ablehnen. Die Wahlerfolge der AfD beruhen nicht darauf, dass Ostdeutsche rechtsextrem sind. Das sind laut Studien „nur“ zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung. Der Erfolg beruht aus der nicht unberechtigten Sorge vor einem Kontrollverlust des Staates. Der Präsident der IHK Halle-Dessau, Sascha Gläßer, brachte die Ansicht vieler Unternehmer im MZ-Interview Anfang Juli auf den Punkt: „Wir werden aufgrund der demografischen Entwicklung gerade in Ostdeutschland auch Zuwanderung benötigen, weil sonst beispielsweise unsere Krankenhäuser nicht so funktionieren, wie wir das zu Recht erwarten. Doch als Gesellschaft sollten wir schon Einfluss darauf nehmen, wer und wie viele zu uns kommen. Das müssen wir gesellschaftlich diskutieren.“
Zudem sorgen sich viele Beschäftigte um die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Die Familienunternehmen werben zwar mit „Made in Germany“, doch gerade die großen Firmen investieren immer häufiger im Ausland. Der Ampel-Koalition trauen viele Ostdeutsche nicht mehr zu, die Herausforderungen in der Wirtschafts- und Migrationspolitik zu lösen. Noch stärker als sonst, dominiert die Bundespolitik in den Landtagswahlkämpfen. Daher wenden sich so viele Wähler der AfD zu.
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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
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