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HIER SCHREIBT KAI GAUSELMANN Einblicke, auf die ich gerne verzichtet hätte

11.10.2024, 09:00
Stellvertretender MZ-Chefredakteur Kai Gauselmann
Stellvertretender MZ-Chefredakteur Kai Gauselmann (Foto: Tobias Büttner/Andreas Stedtler)

vielleicht ist sie nicht in jeder Minute die reine Freude, aber ich mag meine Arbeit. Ich empfinde es als Privileg, andere Menschen - Sie - informieren oder unterhalten zu dürfen. Man erlebt viel Interessantes, Spannendes, Berührendes, Neues. Einblicke in Bereiche, die ich ohne diesen Job nie bekommen hätte. In den vergangenen Jahrzehnten waren aber auch einige dunkle Tage dabei, an denen aus diesem Privileg eine Last wurde, andere informieren zu müssen. Einblicke, auf die ich gerne verzichtet hätte. Meist ging es da um Leid und Tod.

Etwa als ich mal als Reporter einen Ermittler befragte, der einen Kinderpornografie-Ring hatte auffliegen lassen und der mir detailliert die Missbrauchsfälle schilderte. Oder als ich als Nachrichtenredakteur im Spätdienst Fotos eines Terroranschlags prüfen und überlegen musste, welche Bilder in der Zeitung gedruckt werden. Damals war ein Terrorist mit einem Lkw in Barcelona durch eine Menschenmenge gerast. 13 Menschen starben, 130 wurden verletzt. Entsprechend schrecklich sahen die meisten Bilder aus. In solchen Momenten ist es mein Job, zu filtern: Was ist wichtig für die Leser, um umfassend informiert zu sein? Was muss zum Verständnis der Dimension oder den Ablauf eines Ereignisses abgebildet und dokumentiert werden? Was muss ausgefiltert werden, weil es nur Voyuerismus bedient und zu grausam ist und die Gefühle von Menschen verletzen oder die Würde von Opfern verletzen könnte?

Die Gedenktafel für die Opfer des antisemitischen Terroranschlags auf die Synagoge in Halle am Jom Kippur 2019
Die Gedenktafel für die Opfer des antisemitischen Terroranschlags auf die Synagoge in Halle am Jom Kippur 2019
(Foto: IMAGO/Zoonar)

Ich schreibe das, weil ich diese Woche an die dunklen Tage erinnert wurde. Ich werde jedes Jahr daran erinnert, jedes Jahr am 9. Oktober. Seit vor fünf Jahren ein Neonazi aus Mansfeld-Südharz versucht hat, die hallesche Synagoge zu stürmen. Und dann zwei Passanten tötete, Jana Lange und Kevin Schwarze.

Damals waren Herbst-Schulferien und die Redaktion nicht voll besetzt. Nach der ersten Meldung, dass in Halle geschossen wird, brach Chaos in der Stadt aus, das über Stunden anhielt. Lange war nicht klar, wie viele Tatorte und Täter es gab, uns erreichten die widersprüchlichsten Informationen was wo wie passiert sein soll. Mal wurden etwa Schüsse an einer Kita gemeldet, dann eine Geiselnahme in einem Supermarkt. Natürlich gab es einen riesigen Informationsbedarf in diesen Stunden, alle Menschen in dieser Stadt wollten wissen, was genau in Halle passiert ist und ob sie in Gefahr sind. Von den Behörden gab es zunächst nur die Auskunft, zuhause zu bleiben und Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Am Mittwoch, am Jahrestag des Anschlags von Halle, haben hunderte Hallenser auf dem Markt der Opfer gedacht.
Am Mittwoch, am Jahrestag des Anschlags von Halle, haben hunderte Hallenser auf dem Markt der Opfer gedacht.
(Foto: Schellhorn)

In diesem Spannungsfeld ging es darum: zu filtern. Was war wichtig für die Hallenser? Informationen mussten schnell und gründlich geprüft und bewertet werden. Die Hinweise zur Kita und dem Supermarkt wurden nie veröffentlicht, zumindest nicht von der MZ. In solchen Situationen sollen Informationen Halt und Orientierung geben - und nicht noch Chaos, Angst und Schrecken verstärken. Leichter wurde das nicht dadurch, dass über Twitter, Facebook und Whatsapp erschreckend viele Leute einfach etwa Gerüchte verbreitet haben, eben nichts geprüft und gefiltert haben. Dazu gehörten auch Videos der Tat, der Täter hatte mit einer Helmkamera gefilmt und live ins Internet übertragen, wie er Menschen ermordete - erschreckend beiläufig und gnadenlos. Uns lagen diese Videos vor, und wir mussten entscheiden, ob wir sie veröffentlichen. Ich habe damals einige Kolleginnen und Kollegen zusammen geholt, um mit ihnen darüber zu beraten. Keiner war für eine Veröffentlichung. Alle hielten die Videos für zu grausam und nur voyeuristisch. Ich finde immer noch, dass das die richtige Entscheidung war. Aber es war eben auch ein Einblick, auf den wir gerne verzichtet hätten. Und ich erinnere mich immer daran, an jedem 9. Oktober.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Mittwoch an der Synagoge in Halle
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Mittwoch an der Synagoge in Halle
(Foto: IMAGO/epd)

Natürlich mussten wir in den ersten Tagen nach dem Anschlag vor allem die Tat aufarbeiten, nachzeichnen und transparent machen, ob die staatlichen Stellen korrekt gehandelt haben. Sehr schnell ging es - und mittlerweile zu den Jahrestagen fast ausschließlich - uns als MZ aber darum, die Schicksale der Opfer zu schildern. Die Nachwirkungen verdeutlichen die Dimension der Tat. Noch immer leiden Menschen darunter. Am eindrücklichsten war für mich in diesem Jahr der Bericht meiner Kollegen Julius Lukas, Marvin Matzulla und Jan Schumann. Sie haben recherchiert, wie es Dagmar M. und Jens Z. geht. Sie wurden von dem Attentäter auf der Flucht verletzt und ringen immer noch mit Behörden um ihre Anerkennung als Opfer. Für mich ist es unverständlich, dass sie das fünf Jahre später noch tun müssen. Und es geht vor allem um Dirk F. Von seinem Schicksal erfährt die Öffentlichkeit erstmals. Er war einer der Polizisten, die auf der Ludwig-Wucherer-Straße in ein Feuergefecht mit dem Attentäter gerieten. Und Dirk F., der mit seinen Kollegen die Menschen in dieser Stadt schützen wollte, haben diese Minuten offenbar nie losgelassen. Er ist leider schon verstorben, mit 53 Jahren. Hier geht es zu dem Artikel „Er hat uns aus dem Leben geschossen“. In dem Artikel sind auch weitere Texte verknüpft, unter anderem Gespräche mit Menschen, die damals in der Synagoge waren und ein Gastbeitrag des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

Geboren in Magdeburg, aufgewachsen in der Altmark: Domenico Müllensiefen gibt der Nachwende-Generation eine Stimme.
Geboren in Magdeburg, aufgewachsen in der Altmark: Domenico Müllensiefen gibt der Nachwende-Generation eine Stimme.
(Foto: Susanne Schleyer)

Der Sachsen-Anhalter der Woche: Domenico Müllensiefen

Diese Woche bot auch Erfreuliches. Zum Beispiel Domenico Müllensiefen. Er wurde 1987 in Magdeburg geboren und ist in der Altmark aufgewachsen. Heute ist er Schriftsteller. Nach seinem erfolgreichen Erstling hat er nun „Schnall dich an, es geht los“ veröffentlicht. Ein Buch, das seine Nachwendejugend spiegelt und - so versichert es die Kollegin Dana Toschner - ausgesprochen lesenwert ist. Er gebe mit diesem Roman seiner Generation eine Stimme, lautet ihr Urteil. „Wir waren die erste Generation, die im vereinigten Deutschland aufwuchs, wir waren die erste Generation, über die es nichts mehr zu berichten gab und für die sich niemand interessierte“, lautet etwa ein Satz des Buches. Spannend ist aber nicht nur dies, sondern auch, wie Müllensiefen überhaupt zum Schriftsteller wurde. Hier geht es zum Artikel.

Abdul Hakim Özalp hat der Dohle Blacky das Leben gerettet und sie aufgezogen.
Abdul Hakim Özalp hat der Dohle Blacky das Leben gerettet und sie aufgezogen.
(Foto: Maik Schumann)

Der schräge Vogel der Woche: Blacky

Abdul Hakim Özalp hat einen Vogel, und das ist gar nicht böse gemeint. Es geht um die Dohle Blacky. Die hat der Sangerhäuser Gastronom als Küken gefunden, aufgepäppelt - und jetzt ist das Tier ihm überaus freundschaftlich verbunden und zutraulich. Die Dohle entpuppt sich nun als Star, aber nicht im ornithologischen Sinne. Blacky ist ein kleiner Medienstar. Nachdem die MZ über die tierische Freundschaft berichtet hat, haben sie auch TV-Sender aufgegriffen. Hier geht es zum Artikel meines Kollegen Frank Schwedwill. Darin ist nicht nur ein Video enthalten, wo man sieht, wie zutraulich Blacky ist. Dort verrät Özalp auch seinen größten Wunsch für seinen gefiederten Freund.

Seit 2016 hat sich die Zahl der ausländischen Azubis in Sachsen-Anhalt verdreifacht.
Seit 2016 hat sich die Zahl der ausländischen Azubis in Sachsen-Anhalt verdreifacht.
(Grafik: Büttner)

Die Zahl der Woche: 1.779 ausländische Lehrlinge

Über Migranten wird derzeit in der Bundespolitik hauptsächlich in Problemkategorien debattiert, etwa wie illegale Migration begrenzt werden kann. Das ändert aber nichts daran, dass Sachsen-Anhalt schon allein aus demographischen Gründen auf Zuzug angewiesen ist. Zumindest, wenn der Wohlstand in diesem Land gehalten, ausgebaut und der Fachkräftemangel in wichtigen Bereichen erfolgreich bewältigt werden soll. Und da tut sich was, wie mein Kollege Steffen Höhne recherchiert hat. Die Zahl ausländischer Lehrlinge nimmt zu, im vergangenen Jahr waren es 1.779. Das ist schon ein guter Trend, um den Azubi-Mangel zu mildern. Es gibt allerdings auch Schwierigkeiten, hier geht es zum Text.

Die Ritter sind los: In Wettin steht das Burgfest an.
Die Ritter sind los: In Wettin steht das Burgfest an.
(Foto: Thüringer Ritterorden)

Die Ausflugstipps der Woche: Ferien-Endspurt

Die Herbstferien enden, ab Montag dürfen die Kinder und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt wieder in die Schule, bis Weihnachten wird durchgelernt. Auf den letzten Drücker, und teilweise auch danach, können Familien in Sachsen-Anhalt an diesem Wochenende aber noch Energie durch schöne Erlebnisse tanken. Meine Kolleginnen Sophie Hellriegel, Ariane Keller und Jessica Quick haben schöne und vielseitige Ausflugstipps aus der ganzen Region zu einer feinen Übersicht zusammengestellt. Das Spektrum reicht vom Adventure-Golf bis zum Burgfest. Hier geht es zur Übersicht.

Das war meine MZ-Woche. Ich freue mich über Anregungen, Fragen und Kritik unter [email protected] Ich wünsche Ihnen ein friedliches und schönes Wochenende,

Ihr Kai Gauselmann