Zoologische Sammlung der Uni Halle Zoologische Sammlung der Uni Halle: Friedhof der Wölfe

Halle (Saale) - Manchmal kommt es vor, dass Karla Schneider einen Wolf im Kofferraum hat. Keinen lebendigen wohlgemerkt. Das Raubtier ist, wenn es im Auto der 61-Jährigen liegt, bereits tot.
Tiefgefroren in einer Truhe verstaut. Eine nicht ganz alltägliche Fracht. „Aber irgendwie müssen die Tiere ja zu uns kommen“, sagt Schneider achselzuckend. Gefrostete Wölfe im Kofferraum gehören zu ihrem Job halt dazu.
Schneider, das muss man zur Erklärung wissen, ist Kustodin der berühmten Zoologischen Sammlung der Uni Halle. Sie verwaltet also die rund fünf Millionen Exponate. Und man könnte sagen, dass Wölfe ihre neue Leidenschaft sind. „Wir bauen da gerade einen eigenen Bestand auf“, erklärt die 61-Jährige.
Seit die Raubtiere nämlich wieder in Sachsen-Anhalt heimisch sind, kommt jeder Wolf, der hierzulande stirbt und gefunden wird, zu ihr. Schon jetzt ist so eine Sammlung entstanden, die es nicht oft in Deutschland gibt. Ein Friedhof präparierter Wölfe, den aber kaum jemand kennt.
Erster Wolf wurde 2009 getötet
Um das leblose Rudel in Augenschein zu nehmen, muss man zum Domplatz in Halle fahren. In einem Gebäude, das einst für die Uni-Chirurgie gebaut wurde, ist jetzt ein Großteil der Sammlung untergebracht.
Es ist ein beeindruckender Fundus, dessen Wurzeln ins 18. Jahrhundert zurückreichen und der allein sprachlich schon Freude macht.
So lagert in Halle die drittgrößte oologische Sammlung der Welt. Oologie - was für ein Wort. Dahinter verbergen sich Eierschalen. Der Forscher Max Schönewetter hat davon sage und schreibe 19.200 Stück zusammengetragen. Dieser Haufen ausgeblasener Eier gehört ebenso wie eine Sammlung von Schmarotzerinsekten seit 2012 zum nationalen Kulturgut.
Und nun also noch Wölfe. Um zu denen zu gelangen, muss man durch ein massives Eingangsportal. Dahinter wartet Karla Schneider bereits. Sie humpelt etwas. Ihr eigenes Auto habe sie angefahren.
„Eine komplizierte Geschichte“, winkt die 61-Jährige ab. Auf den ersten Blick passt Schneider irgendwie nicht hierher. Sie hat eine grazile Art, spricht leise und bedächtig. Doch tote Tiere sind ihre Welt. Das habe sie bereits im Studium gewusst. „Schon damals wollte ich in die Zoologie“, sagt sie.
Die Kustodin führt in einen Raum, der so hoch ist, dass selbst eine Giraffe darin Platz hätte. Und dort liegen sie, die Wölfe. Allerdings stellt sich gleich die erste Ernüchterung ein. Denn den Besucher erwartet keineswegs ein Rudel lebensgroßer Präparate.
Keine Schar ausgestopfter Raubtiere. Die Wölfe werden nämlich nicht im Stück, sondern zweigeteilt aufbewahrt. Getrennt in Fell und Knochen. Und das hat auch seinen Grund. „Wir haben jetzt bereits 14 Wölfe hier“, so Schneider. Ginge das so weiter, wären es in zehn Jahren mehr als doppelt so viele. „Und um die alle in Lebensgröße unterzubringen, fehlt der Platz.“
Die Kustodin streicht über eines der Felle. Es lagert mit Seidenpapier unterlegt auf einem Metallrost. Ein struppiges Exemplar, Sommerfell. „Das ist unser erster Wolf vom Juni 2009, der Startschuss sozusagen“, meint Schneider und lächelt.
Wölfe kehrten nach 100 Jahren wieder zurück
Startschuss“, das ist durchaus doppeldeutig gemeint. Der erste getötete Wolf in Sachsen-Anhalt wurde von einem Jäger erlegt. Aus Versehen, wie der beteuerte. Doch auch wenn die meisten Wölfe im Land bei Verkehrsunfällen sterben, beschreibt dieser Auftakt recht gut die bis heute schwierige Beziehung.
Nachdem die Rudeltiere seit 1904 in Deutschland als ausgerottet galten, wanderten sie knapp 100 Jahre später wieder ein. Zuerst in die Lausitz und ab 2008 auch nach Sachsen-Anhalt. Das alte, durch Märchen und andere Erzählungen geprägte Bild, nach dem ihnen etwas Böses anhaftet, haben sie dabei nicht abgelegt.
Sie umgibt eine Aura des Gefährlichen. Und dass sie noch dazu ab und an Schafherden angreifen, trägt zu ihrem Ansehen nicht gerade bei. Die anhaltende Bedrohungslage war allerdings ein wichtiger Grund für Karla Schneider, die Wölfe aufzunehmen. „Es ist eine Tradition, dass wir heimische Arten sammeln und insbesondere die, die gefährdet sind“, erzählt sie.
Darüber hinaus gebe es aber auch ein wissenschaftliches Interesse. „Wir nehmen viele Daten wie Größe, Alter oder auch Gesundheitszustand auf.“ Diese Informationen können später Auskunft über die Entwicklung der Wolfspopulation in Sachsen-Anhalt geben. „Und vielleicht auch in vielen Jahren mal Fragen beantworten, die wir uns heute noch gar nicht stellen.“
Die meisten Tiere aus Schneiders Rudel werden in der sammlungseigenen Werkstatt präpariert. „Das beginnt immer mit dem Auftauen“, erzählt die Kustodin.
Die Organe werden entfernt, nur eine Gewebeprobe behalten. Das abgezogene Fell kommt in eine Gerberei, wo es auf Kaminvorleger-Niveau veredelt wird. Die Knochen werden erst mit einem Messer vom Fleisch befreit. Und wenn diese Methode ausgeschöpft ist, kommt eine Enzymlösung zum Einsatz.
„Bei 50 Grad Celsius entfernt sie die kleinsten organischen Partikel“, erklärt Schneider. Die Knochen kommen in eine schuhkartongroße Kiste. Fertig ist das Präparat.
Allerdings gibt es einen Wolf in Schneiders Sammlung, der herausragt. Er oder besser gesagt sie - es ist eine Wölfin - starb 2012 bei einem Verkehrsunfall auf der A2. „Trotzdem war das Tier so gut erhalten, dass wir eine Dermoplastik daraus machen ließen“, sagt die Kustodin.
Dermoplastiken sind Schaupräparate. Wie die entstehen, kann Michael Sonntag erklären. Der Göttinger ist einer der besten Präparatoren in Deutschland. Er hat die Wölfin angefertigt.
Noch vier Wölfe in der Kühltruhe
Am Telefon beginnt Sonntag erst einmal mit einer notwendigen Belehrung zum Wort „ausgestopft“. „Dieser Begriff wird oft verwendet, aber ausgestopft werden Tiere schon lange nicht mehr“, sagt der Meister-Präparator. „Früher wurden mal Vögel mit Seegras gefüllt, aber das ist ewig her.“
Bei Dermoplastiken verwende er einen sehr festen Polyurethan-Schaum. „Damit modelliert man den Körper des Wolfes exakt nach den zuvor gemessenen Proportionen.“ Anschließend wird das gegerbte Fell aufgeklebt und vernäht. Ein filigraner Prozess, der viel Erfahrung brauche. Und der auch seinen Preis hat. „So ein Präparat kostet zwischen 3.000 und 4.000 Euro“, erzählt Karla Schneider.
Allein deswegen könne nicht aus jedem Wolf eine Dermoplastik werden. Die Verarbeitung der nächsten Exemplare wird also wieder platz- und geldsparend geschehen.
An Nachschub mangelt es dabei nicht. „Wir haben noch vier nicht-präparierte Tiere in der Kühltruhe“, sagt Karla Schneider. Wenn es nach ihr ginge, könnte der nächste Todesfall unter den landeseigenen Wölfen also ruhig noch eine Weile auf sich warten lassen. (mz)

