Wohnen für Hilfe Wohnen für Hilfe: WG mit Oma
Halle (Saale)/MZ. - Eine ganz wichtige Sache stand schon in der Wohnungsannonce: Frau Wedermann wünscht sich täglich ein kleines Schwätzchen. Das hat die Tochter der 85-jährigen Jenaerin dort hineingeschrieben. Und stieß damit bei Studentin Bianca Uhlmann, 25, auf großes Interesse. Sie war gerade auf Wohnungssuche, weil der Umzug ihrer Mitbewohnerin bevorstand. "Ich wollte nicht alleine wohnen", sagt die junge Frau. Da kam ihr dieses besondere Angebot gerade recht: Im Einfamilienhaus der alten Dame kann sie zwei Zimmer im Obergeschoss, insgesamt 35 Quadratmeter, samt Bad und Kochmöglichkeit nutzen. Dafür zahlt sie eine Nebenkosten-Pauschale von 100 Euro im Monat und keinerlei Miete. Stattdessen hilft sie in Haus und Garten mit - laut Abmachung pro Quadratmeter eine Stunde im Monat. Sie mäht den Rasen, harkt Laub, kauft schwere Sachen ein oder stellt die Mülltonnen heraus. Wobei Ursula Wedermann betont, dass sie das mit den Stunden nicht verbissen sieht: "Gegenrechnen, das machen wir nicht."
Zwei Frauen mit 60 Jahren Altersunterschied unter einem Dach - kann das gut gehen? Ja, sagen die beiden, die seit Juni zusammenwohnen. Sogar an Charlotte, die Katze der Studentin, hat sich die Seniorin gewöhnt. Und das, obwohl sie nach eigener Aussage eigentlich eher Hundeliebhaberin ist. Natürlich sei gegenseitige Toleranz nötig, wenn man zusammen in einem Haus wohnt. "Eine große Party muss hier nicht unbedingt sein, das ist klar", sagt die Rentnerin und erntet von ihrer jungen Mitbewohnerin ein Nicken - solche Dinge haben sie vorab besprochen.
Abwasch ist kein Thema
Und manch kritisches WG-Thema kommt bei ihnen erst gar nicht auf: "Um den Abwasch müssen wir uns nicht streiten", lacht Bianca Uhlmann, die ja gewissermaßen eine eigene kleine Wohnung in dem Haus nutzt. "Jeder hat sein Reich", sagt auch Ursula Wedermann, die mit Mitte 80 noch äußerst fit ist: Sie betreut zum Beispiel ehrenamtlich eine Bücherei in einer Kinderklinik und treibt viel Sport. Natürlich mussten sich die zwei Frauen erst einmal aufeinander einstellen. Da war nicht nur die Katze, der die Studentin inzwischen gar eine Holztreppe vom Garten in die erste Etage gebaut hat, damit sie auch so hineinkommt. Auf der anderen Seite musste sich die Studentin daran gewöhnen, dass bei ihrer Vermieterin, die schwerhörig ist, das Telefon gellend klingelt und auch der Fernseher laut eingestellt ist.
Und was ist mit dem regelmäßigen Schwatz, was erzählen sie sich so? "Ach, ich erfahre etwa einiges über die Nachbarschaft, wir reden darüber, was wir gemacht haben und was ansteht", erzählt Bianca Uhlmann, die an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena Soziale Arbeit im neunten Semester studiert. Sie freut sich auch über die ruhige Wohnlage und den hübschen Garten am Haus. Der perfekte Ort, um ihre Abschlussarbeit zu schreiben.
Beim Studentenwerk Thüringen werden seit 2008 Wohngemeinschaften wie auch die der beiden Frauen im Rahmen des Projektes "Wohnen für Hilfe" vermittelt. Während es derlei Projekte in anderen Regionen häufiger gibt, ist jenes in Jena das einzige seiner Art in Mitteldeutschland. "Wir wollen den Studenten zusätzlich zu den Zimmern in Studentenwohnanlagen und bei Privatleuten, die wir sonst vermitteln, eine weitere und finanziell günstige Art von Unterkünften anbieten", sagt Manuela Zander, die das Projekt als Koordinatorin betreut. Dabei werden zwar meist Studenten mit Senioren als WG-Partner zusammengebracht - mitunter aber auch mit Familien, die ein Zimmer frei haben. Die Gegenleistung für die Miete - meist eine Stunde helfen im Monat pro Quadratmeter Wohnfläche - werde genauso wie beispielsweise eine Auflösungsklausel in einem individuellen Vertrag festgelegt, bei dessen Ausgestaltung das Studentenwerk hilft. Die Idee für das Projekt hat ein westdeutscher Student mitgebracht, der vor einigen Jahren selbst in Jena eine Wohnung gesucht hatte.
Denn in der beliebten Universitätsstadt ist es schwierig, eine - zumal noch günstige - Bleibe zu finden, was Zander an einigen Zahlen deutlich macht, die Jena von anderen Städten unterscheiden: "75 Prozent der etwa 55 000 Wohnungen sind hier in der Hand von Wohnungsgesellschaften. Und die haben einen Leerstand von unter einem Prozent."
Senioren zieren sich noch
So sind Ideen wie jene zum Wohnen für Hilfe bei den Studenten gefragt. "Wir haben für den anstehenden Semesterstart schon wieder eine ordentliche Bewerberliste", erzählt Zander. Allerdings zieren sich die Senioren noch: "Viele haben Vorbehalte, sich junge, fremde Menschen ins Haus zu holen." So stünden zwei Anbieterinnen derzeit acht Interessenten gegenüber. Bislang seien zehn WGs vermittelt worden, zwei bestehen aktuell.
Naturgemäß sind die Wohngemeinschaften nicht von ewiger Dauer, da die Studenten irgendwann fertig sind, in andere Städte gehen, Familien gründen. "Meist laufen sie zwischen einem und vier Semestern", sagt Manuela Zander. Und das macht die Senioren oft auch ein bisschen traurig. Auch Ursula Wedermann wird hellhörig, als Bianca Uhlmann von ihren Plänen berichtet, im Frühjahr mit dem Studium fertig zu sein. Sie ist mittlerweile bereits die vierte Mitbewohnerin der Seniorin. Doch die junge Frau, die aus dem sächsischen Lichtenstein stammt, sagt: "Bis nächstes Jahr im September bin ich auf jeden Fall hier."
Es waren die beiden Töchter von Ursula Wedermann, die vor knapp drei Jahren die Idee hatten, dass sie die obere Etage an junge Leute vermieten könnte. "Sie meinten, es wäre gut für mich, wenn noch jemand im Haus ist", erzählt die frühere Lehrerin, die zuvor fast zwanzig Jahre allein gewohnt hatte. Heute weiß sie: "Es gibt einem tatsächlich Sicherheit, dass jemand da ist, falls mal etwas passiert."