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WM 2014 in Brasilien WM 2014 in Brasilien: Zaunkönige der Fußballwelt aus Sachsen-Anhalt

Von Steffen Könau 21.06.2014, 11:49
Auch eine Fahne mit HFC-Logo war beim Sieg der DFB-Elf gegen Portugal im Stadion zu sehen.
Auch eine Fahne mit HFC-Logo war beim Sieg der DFB-Elf gegen Portugal im Stadion zu sehen. DPA Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Sie sind seit Jahren immer dort, wo die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist, verpassen kein Spiel und senden dabei unübersehbare Signale in die Welt. Zwei Ex-Hallenser, die heute in Stuttgart und Berlin leben, pflegen bereits seit Ende der 90er Jahre ein ganz besonderes Hobby: Sie reisen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hinterher - und hängen bei deren Spielen stets eine große Fahne an den Stadionzaun, auf der knapp, aber unverkennbar „Halle/S.“ steht.

Auch in Brasilien sind die beiden Fahnenträger wieder dabei, zuletzt in der Nacht zum Freitag beim Spiel Japan gegen Griechenland. Beim deutschen Kantersieg gegen Portugal hatten Steffen Melzer und Tobias Möhring ihr Banner direkt neben das portugiesische Tor gehängt, in das Thomas Müller in der ersten Halbzeit zweimal traf. Doch so gern sie gesehen werden, so unwillig sind die beiden Fahnenträger Auskunft zu geben. Ihre richtigen Namen wollen die beiden nicht nennen, obwohl sie bereits vor Jahren verrieten, dass „wir das gesteigerte Interesse an der Fahne und den Personen dahinter wohlwollend zur Kenntnis nehmen“.

Selbst in die Öffentlichkeit zu treten, haben beide keine Lust. Möhring hat seinerzeit gerade mal verraten, dass die aktuelle Fahne die zweite ihrer Reise um die Erde an inzwischen weit mehr als 80 Zäunen ist: Die erste war Weiß auf Schwarz beschriftet. Später nähte Möhrings Großmutter schwarze Buchstaben auf weißen Grund, wegen der besseren Kontraste. Nur echt mit dem Punkt hinter dem S.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wo die Fahne schon alles hing.

Warum Halle? Warum nicht? „Halle ist unsere Heimat, wir sind stolz auf sie, und das zeigen wir halt“, sagt Tobias Möhring. Ansonsten: Zurückhaltung. „Wir sind nur Fußball-Fans, reisen rum und haben unser Transparent dabei.“

Keine Viertelstunde dauerte das Elfmeterschießen Deutschland gegen Argentinien im Halbfinale der Heim-WM 2006, das in die Geschichte einging, weil der deutsche Torwart Jens Lehmann einen Spickzettel aus seinem Handschuh zog, auf dem ihm Torwart-Trainer Andy Köpke die Vorlieben der argentinischen Schützen notiert hatte.

Lehmann hielt den 5:3-Sieg im Elfmeterschießen fest, hinter sich die ganze Zeit unübersehbar die Halle/S.-Fahne, die damit ihren ersten großen Auftritt auf der Bühne des Weltfußballs hatte.

Sönke Wortmanns WM-Dokumentarfilm „Ein Sommermärchen“ machte die Szene unsterblich und bahnte der Fahne den Weg in die Kinosäle: Im Halbfinale hatte mehr als eine Milliarde Zuschauern weltweit das Banner gesehen, durch Kinostart, Fernsehausstrahlung und DVD kamen später noch einmal Millionen dazu - im Internet wurde deshalb damals sogar gefordert, Halle solle den Fahnenträgern die Ehrenbürgerwürde für ihre Leistungen für das Stadtmarketing verleihen.

Und wo überall. Beim Spiel der Schweiz gegen Ecuador hängt Halle/S., ebenso beim Sieg der Italiener gegen die Engländer und beim Eröffnungsspiel der Brasilianer gegen die Kroaten ist das Banner auch gesichtet worden.

Ein Mammut-Programm, denn mit Stopps in Sao Paulo, Manaus, Brasilia, San Salvador und Natal haben Melzer und Möhring nach einer Woche Turnier bereits mehr als 10 000 Kilometer Strecke absolviert. Und heftigen Widerstand überwunden: Der Weltfußballverband Fifa hatte anfangs versucht, das Aufhängen der bei den deutschen Anhängern so beliebten Zaunfahnen zu verbieten. Im Eröffnungsspiel mussten Möhring und Melzer zur Halbzeit abbauen, auch das Spiel Portugal gegen Schweiz erlebte ihre Fahne notgedrungen im Oberrang, wo nur wirklich scharfsichtige Fans sie erspähten.

Daheim in Sachsen-Anhalt verfolgen inzwischen wieder viele Fans, ob und wo die Fahne auftaucht. Im HFC-Fanforum webhallunken.de werden Sichtungen mit zufriedenem Blick Richtung Norden kommentiert: „Das Gesicht eines jeden FCM-Fans, wenn die Fahne gezeigt wird, ist unbezahlbar“, mutmaßt einer. Als die MZ in dieser Woche auf ihrem Onlineportal über die Baumwoll-Botschafter der Region berichtete, die nach Ansicht eines Internetschreibers „mehr für Halles Ruf in der Fußballwelt getan haben als alle Verbandsfunktionäre“, brach der Artikel mit tausenden „Gefällt-mir“-Klicks binnen Stunden alle Rekorde.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Orte auch auf Fahnen im Stadion vertreten sind.

Doch die beiden Zaunkönige aus Halle, im Fußball-Alltag eigentlich Fans von Union Berlin, sind schon lange nicht mehr allein. So tauchen in Brasilien regelmäßig Fans aus Sandersdorf bei Bitterfeld mit einem Banner mit der Aufschrift „Obi - Union Sandersdorf“ auf. Der 41-jährige Heiko Martin, ein Busfahrer aus dem Erzgebirge, wirbt mit „Thalheim“ emsig für seinen Heimatort. Und im Spiel Deutschland gegen Portugal konnten Beobachter sogar eine Flagge des Halleschen FC erspähen, die ein paar Fans des Drittligisten auf ihre WM-Reise mitgenommen haben.

Die Fahnen der fast schon professionellen Bannerträger, die sich selbst die „Fahnenmafia“ nennen, hängen an normalen Tagen weiter unten, direkt neben und hinter den Toren oder zumindest auf Höhe der Mittellinie. Denn gesehen werden ist alles für Leute wie Fabian Ludwig, der seit 13 Jahren mit einer Fahne durch die Stadien der Welt tourt, auf der „Borsti“ steht. Leute wie der bekennende Dortmund-Fan, wie Möhring und Menzel oder der Thalheimer Heiko Martin sind Hochleistungs-Fans, für die sich „alles rund um Fußball dreht“, wie Ludwig einmal beschrieben hat. Sein „Borsti“-Transparent reist seit 2002 nicht nur zu Spielen von Borussia Dortmund, sondern auch zu denen der DFB-Männer-, Frauen- und U-21-Nationalmannschaft. Neben ihm im Bus von Rico Jakob, dem Betreuer des Fanclub-Nationalmannschaft, sitzt dann immer noch eine ganze Reihe weiterer Mitglieder der Fahnenmafia. Mit der „Sektion Mitteldeutschland“ haben Thüringer, Sachsen und Sachsen-Anhalter eine eigene lockere Organisation, die seit dem Start mit einer Auswärtsfahrt nach London im Jahr 2007 Spiele auf vier Kontinenten, in 33 Ländern und in 55 Städten besucht hat.

Ihre Banner führen Fahnen-Groundhopper wie Frank Niemann dabei wie ein Markenzeichen mit sich. Niemann begann schon 1995, sein Transparent mit der Aufschrift „Air Bäron“ aufzuhängen. Heute ist der HSV-Stürmer Karsten Bäron, der ihn dazu inspirierte, vergessen - das Banner aber hängt noch immer, wenn auch bisher nicht in Brasilien. Grund soll, wispert es in der Szene, ein Zwist mit anderen Hoppern sein, die den Hamburger kritisiert hatten.

Auf der nächsten Seite lesen Sie vom Versuch der Fifa das Aufhängen der Zaunfahnen zu verhindern.

„Es gibt Hierarchien“, hat Sebastian Baitz erklärt, der bei der WM in Südafrika eine Potsdam-Fahne präsentierte. „Wir sind eine eingeschworene Truppe, auch wenn jeder einem anderen Verein angehört“, versichert Frank „Borsti“ Ludwig, der so lange dabei ist, dass er die Hierarchie von oben sieht.

An der Copacabana aber kämpfen „Halle/S.“, „Grosblie“ und „Spenge“, die „Legenden des Ostens“ aus Leipzig und die „Ruhestörer“-Flagge aus Dresden weniger um die besten Plätze im Wettbewerb mit anderen Fahnenmafiosi, als gegen den Versuch der Fifa, das Aufhängen von Zaunfahnen generell zu verhindern. Gerade zu Turnierbeginn seien Ordner handfest gegen die Zaunkönige vorgegangen, heißt es beim Fanboard ultras.ws. Offenbar hätten die Organisatoren Sorge, dass das Fahnenmeer von den Werbebotschaften der zahlenden Sponsoren ablenkt.

Doch spätestens mit dem ersten Auftritt der DFB-Elf war dieses Konzept gescheitert. Wie beim ersten Auftritt der deutschen Mannschaft werden auch am Samstag beim Spiel in Fortaleza gegen Ghana wieder Dutzende von Fahnen an den Zäunen hängen - darunter mit Sicherheit auch „Halle/S.“

Nach Abpfiff des Spieles der deutschen Elf gegen Portugal bedankten sich Jögi Löws Spieler direkt vor der Tribüne mit der Halle/S.-Fahne.
Nach Abpfiff des Spieles der deutschen Elf gegen Portugal bedankten sich Jögi Löws Spieler direkt vor der Tribüne mit der Halle/S.-Fahne.
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