"Weißer Hirsch" in Wernigerode "Weißer Hirsch" in Wernigerode: Raffiniert serviert

Die Aussicht verdient fünf Sterne. Direkt gegenüber des berühmten Wernigeröder Rathauses liegt das Hotel „Weißer Hirsch“. Es bietet damit den wohl schönsten Blick auf das bekannte Gebäude. Das wusste schon ein Reiseführer von 1895 zu berichten. Konsequenterweiser heißt das Hotelrestaurant „Vis-à-vis“.
Grund genug, länger in der Fachwerkidylle des Marktes und im aus dem Jahr 1717 stammenden und damit ältesten Hotel Sachsen-Anhalts zu verweilen - und seine Küche zu testen. Dabei befinden wir uns in bester Gesellschaft mit dem späteren Kaiser Wilhelm II., der als Kind mit seinen Eltern und Gefolgschaft inkognito zu Gast war. Das und mehr zur Historie offenbaren Informationstafeln im Hotel. Aber auch Schauspieler Armin Mueller-Stahl, der mittlerweile verstorbene Bundespräsident Johannes Rau oder Fußballer Uwe Seeler waren schon hier.
Obwohl der Freisitz direkt am Markt wegen des sonnigen Wetters und der Straßenmusik lockt, bevorzugen wir für unseren etwas längeren Aufenthalt einen ruhigeren Tisch im Inneren. Schlicht, unaufgeregt und doch einladend ist die Ausstattung, hier ist der Hotelbetrieb erkennbar.
Spezialitäten der Region
Die übersichtliche, aber abwechslungsreich gehaltene Speisekarte vereint klassische Gerichte und raffinierte Küche. Verantwortlich ist dafür der 43-jährige gebürtige Wernigeröder Ralf Beyer. Nach der Lehre im Schwarzwald zog es ihn zunächst in die Schweiz und nach Österreich. Seit 1995 arbeitet er im „Weißen Hirsch“, hat nebenbei die Meisterschule in Hamburg absolviert und ist nun seit zehn Jahren Küchenchef.
„Wir versuchen, mit Produkten der Region und der Saison zu arbeiten“, sagt Jörg Wieland, seit 34 Jahren im Haus und seit 1991 auch der Inhaber. Das heißt, eine Mischung aus regionalen Produkten wie dem Harzer Roten Höhenvieh, Harzer Hirschschinken oder Harzer Forelle, Klassikern wie Schweinemedaillons sowie saisonalen Gerichten mit Spargel oder aktuell Matjes. Aber auch Spezialitäten wie gebackene Holunderblüten, die es gerade zu dieser Jahreszeit für nur zwei Wochen gibt, offeriert das Restaurant, verrät Wieland.
Pluspunkte gibt es für die englische Übersetzung der Speisen in der Karte und die Empfehlung eines rein vegetarischen Hauptgerichtes. Schief eingeschobene Blätter und Knicke im Passepartout der Karten trüben allerdings ein wenig den guten Eindruck. Kleinigkeiten, aber unnötig.
Doch es geht ja ums Essen: Die Wahl fällt einerseits auf die Menü-Empfehlung des Hauses mit drei Gängen (24,95 Euro) und andererseits auf ein ebenfalls dreiteiliges, aber selbst zusammengestelltes Mahl. Bevor es mit Kräuter-Geflügelbouillon mit Grießklößchen und Gemüse sowie Paprika-Cremesuppe mit Pesto-Garnelenspieß (6,95 Euro) losgeht, wird der Appetit mit frischem Baguette und Schmalz als einfachem, aber schmackhaften Gruß aus der Küche angeregt.
Die Frage nach einem zu den gewählten Gerichten passenden offenen Wein beantwortet unser Kellner ohne zu zögern mit „ein Weißburgunder von Saale-Unstrut“. Sehr erfreulich, dieses Bewusstsein für die Region. Aber so leicht wollen wir es ihm nicht machen und fragen nach Alternativen. Auch die hat er parat, empfiehlt einen fränkischen Riesling oder einen Silvaner. Getrunken haben wir aber doch einen gut temperierten Schoppen vom Weißburgunder (5,45 Euro). Eine hervorragende Wahl.
Die Weinkarte ist im Übrigen generell nicht zu verachten und bietet von deutschen über französische bis hin zu neuseeländischen eine beachtliche Palette an Rot- und Weißweinen. Mittlerweile beherbergt die „Schatzkammer“ etwa 200 Sorten. Zu verdanken ist das Juniorchef Christian Wieland. „Es ist ein Hobby von unserem Sohn“, erklärt Wieland senior. Auch wer zur Abwechslung einmal Champagner trinken möchte, wird fündig.
Herausforderung Garnelenspieß
Mit der Paprikacremesuppe kommt die, wenn auch sehr leckere, Herausforderung des Tages - der Garnelenspieß. Nur mit dem Löffel bewaffnet ist es schwer, den Schwanz von den in Pesto marinierten Tierchen zu lösen, und diese dann wiederum vom Holzstäbchen. Fazit: Finger- und danach Serviettennutzung leider unvermeidbar. Das tut aber dem Geschmack keinen Abbruch. Die Suppe hält, was sie verspricht und schmeckt angenehm aromatisch nach Paprika. Die Garnelen sind auf den Punkt zubereitet und passen prima zur Suppe. Die Bouillon mit Gemüsestreifen und Grießklößchen mundet ebenfalls, wenn auch der Selleriegeschmack etwas dominiert.
Beide Hauptgänge, die kurz darauf serviert werden, kann man ohne weiteres als Knaller bezeichnen. Mit dem Menü-Bestandteil Schweinefiletmedaillons in bunter Pfefferrahmsauce mit Marktgemüsearrangement aus Paprika, Karotte, grünem Spargel, und Kartoffelkroketten kommt ein echter Klassiker auf den Tisch. Auch wenn man meinen könnte, dass dabei nicht viel falsch zu machen ist, ist es dennoch eine Kunst, das Fleisch so zuzubereiten, dass es förmlich auf der Zunge schmilzt. Perfekt dazu abgeschmeckt ist die Sauce. Sie ist würzig, übertüncht aber nicht die anderen Aromen.
Überraschend, absolut stimmig und im Gesamteindruck sehr gelungen ist das gebratene Zanderfilet, das jeden Cent wert ist (17,25 Euro). Liest man in der Karte „auf Lauchrahmsauce mit Blutwurst-Croûtons, gebackenem Rucola und geschwenkten Grießnocken“ schreckt man zugegebenermaßen zunächst zurück. Es klingt einfach ungewohnt.
Knisterndes Geschmackserlebnis
Wer sich dafür entscheidet, bekommt allerdings ein Geschmackserlebnis kredenzt: Der Zander ist butterzart gebraten, wunderbar abgeschmeckt und saftig, die Sauce ist mild-würzig, die Grießnocken sind fest, aber nicht trocken, und mit Kräutern verfeinert.
Eine neue Erfahrung ist es, den herben Rucola mal nicht als Salat zu genießen, sondern gebacken. Das nussige Aroma und die pergamentartige, knisternde Konsistenz ergeben zusammen mit dem rosa Pfeffer, dem Fisch, der Sauce, den Nocken und den ebenfalls eher ungewöhnlichen Croûtons aus Blutwurst ein harmonisches und leichtes Gericht. Wer Fisch mag, sollte sich das nicht entgehen lassen. Auch wenn das Dressing schmackhaft und das Gemüse knackig und frisch ist - der dazu gereichte kleine Salatteller ist eigentlich überflüssig.
Fehlt nur noch der für manche sogar wichtigste Gang - das Dessert. Um es vorweg zu nehmen: Lecker! Das gebackene Pistazieneis als Menübestandteil besticht durch seine raffinierte Zubereitung. Der kalte Eiskern wird von einem schokoladig-nussigen Teigmantel beschützt, das Beerenragout nimmt dem Nussgeschmack wohltuend die Dominanz. Ebenfalls auf den Kontrast warm und kalt zielen die sehr schokoladigen Küchlein mit flüssiger Füllung und das Rosenblütensorbet (7,75 Euro). Zusammen mit den karamellisierten Ananasringen entsteht ein in seiner Vielfalt üppiger, in seiner Masse aber perfekt dosierter Abschluss.

