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Was vom Tarnen übrig blieb Was vom Tarnen übrig blieb: Wie der schräge NVA-Schick die Popkultur erobert

Von Steffen Könau 06.03.2016, 10:39
Eine traditionelle Rinderhorn-Mütze in Namibia - ausnahmsweise aus einer Bahn Ein-Strich-kein-Strich-Stoff genäht, der mit hoher Wahrscheinlichkeit noch aus dem VEB Burger Bekleidungswerke stammt.
Eine traditionelle Rinderhorn-Mütze in Namibia - ausnahmsweise aus einer Bahn Ein-Strich-kein-Strich-Stoff genäht, der mit hoher Wahrscheinlichkeit noch aus dem VEB Burger Bekleidungswerke stammt. aftermathgirls.com

Halle (Saale) - Martin aus dem australischen Perth hat sich die volle Packung gegeben. Helm mit Überzug, Tarnhose, Tarnjacke. Selbst die Wasserflasche, die der junge Australier bei seinem Test mitführt, ist ein Original aus den Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR, die vor mehr als einem Vierteljahrhundert aufgelöst wurde. Martin nimmt die Sache ernst, er ist im australischen Busch unterwegs, um die Effektivität dessen zu überprüfen, was von der einstigen Friedensarmee geblieben ist: ein Tarnmuster, seinerzeit unter dem treffenden Namen Ein-Strich-kein-Strich bekannt. In internationalen Kennerkreisen heute aber unter dem Fachbegriff East German Rain Camo bekannt.

Ein Muster, das viele seiner zwangsweisen Träger nie vergessen haben. Steife Baumwolle aus dem VEB Burger Bekleidungswerke, in einem schmutzigen Graugrün gefärbt, über das dann ein äußerst ordentliches Strichmuster gedruckt wurde. Ein Strich. Kein Strich. Und so weiter. Jede NVA-Uniformhose für den Felddienst trug dieses unverwechselbare Muster. Jede Jacke, jede Plane, jede Tasche bis hin zum innen laminierten Brustbeutel für den SED-Mitgliedsausweis der Offiziere. Ein-Strich-kein-Strich ist das Muster, das von der DDR-Armee übrig blieb, die Zeichnung, die heute noch überall laut „DDR“ schreit.

Dabei hat die NVA den Strichtarn, wie er fachkundig genannt wird, gar nicht selbst erfunden. In ihren Anfangstagen verwendete die DDR-Armee vielmehr ein Amöben- oder Blumentarn genanntes Tarn-Muster. Erst ab 1965 führte die NVA das Ein-Strich-kein-Strich-System ein - der Grund dürfte ein ökonomischer gewesen sein, denn die Herstellung der bis dahin gebräuchlichen Flächentarnmuster war aufwendig, weil mit vier Farben gedruckt werden musste.

Das in Polen entwickelte Regenmuster, das heute als originäres DDR-Strichtarnmuster gilt, ist viel simpler. Doch auch der Strichtarn veränderte sich: Die Linien wurden kürzer und dicker und brauner, die Grundfarbe grüner, der Baumwollanteil sank und der Stoff wurde dünner. Weil die Schnitte von Hosen und Jacken vergleichsweise praktisch waren und alles das, was heute an Outdoor-Equipment angeboten wird, nirgendwo zu haben war, sickerte die NVA-Bekleidung trotz eines Trageverbotes für Zivilisten nach und nach in die Zivilgesellschaft der DDR. Camper und Paddler nutzten die praktischen Planen, Punkmusiker färbten sich die Hosen schwarz, Fußballfans schworen auf die Jacken des sogenannten Kampfanzuges 64, der bis zum Ende der DDR produziert wurde.

Der internationale Siegeszug der Tarnbekleidung made in Sachsen-Anhalt aber begann erst danach und mit Verzögerung. Zwar hatten sozialistische Partnerländer der DDR wie Angola und Mosambique teilweise  lange vor dem Mauerfall NVA-Felddienstuniformen erhalten. Auch Usbekistan und Südafrika rüsteten Teile ihrer Armeen mit dem DDR-Tarnmuster aus, während Argentinien es seiner Truppe als Arbeitsuniform spendierte. Ein schräger Kult um das, was vom Tarne übrigblieb, nahm aber erst mit der Zeit Fahrt auf, katapultierte das braun-grüne Muster inzwischen jedoch in Internetshops und internationale Liebhaber-Foren.

Nichts, was es nicht gibt. Junge Amerikaner, die im Strichtarn durch den mittleren Westen der USA robben. Designerlabel, die flotte Sneakers für Diskotänzer im Rain Camo-Look anbieten. Basecaps, T-Shirts und Jeans im modischen NVA-Strichtarn-Muster, Bermuda-Shorts und Freizeitzelte - und alles nicht original, aber fast wie original aus der DDR.

Dabei gab es das meiste davon gar nicht, solange die DDR und ihre Armee existierten. Zwar bietet selbst die Bundeswehr in ihrem Online-Shop bis heute echte DDR-Tarnplanen an (12,99 Euro). Doch der Großteil der vermeintlich echten Ost-Artikel stammt aus heutigen Textilfabriken, die das alte Muster  gekonnt nachahmen und die Schnitte entweder  kopieren oder sich gleich ein paar  eigene einfallen lassen.

Was vom echten NVA-Tarn übrig blieb, findet sich heute längst anderswo. In Namibia etwa, wo Frauen ihre traditionellen Rinderhorn-Hüte  aus abgelegten NVA-Planen nähen, die einst vom  Brudervolk nach Afrika geschickt wurden. Oder in Afghanistan, wo  manchmal Taliban-Kämpfer gesichtet werden, die Uniformstücke mit Ein-Strich-kein-Strich-Muster tragen, obwohl dorthin nie Lieferungen aus Burg gingen.
Die meisten Rain Camo-Teile der NVA dürften sich allerdings mittlerweile in den USA und der restlichen englischsprachigen Welt befinden. Dort zelebriert eine vor allem über das Videoportal Youtube vernetzte Szene Wochenend-Tarnübungen im Stadtwald und Selfie-Kultur mit Ein-Strich-kein-Strich-Jacke. Der NVA-Tarnanzug schneidet dabei in der Regel hervorragend ab. (mz)
www.red-alliance.net
www.operationeastwind.com



Der NVA-Schick auf den internationalen Bühnen und Laufstegen

Jakob A. Smith weiß vielleicht gar nicht, was er da an hat. Doch der Mann, der seine Band The White Buffalo nennt, kommt überzeugend rüber im Video zu seinem Song „Wish it was true“. Smith, langhaarig und vollbärtig und gebürtig aus Kalifornien, trägt zur amerikanischen Flagge eine Uniformjacke. Und zwar unverkennbar eine der vor einem Vierteljahrhundert untergegangenen Nationalen Volksarmee der DDR.

Kein Einzelfall. Der NVA-Schick aus Feldgrau und Tarnfarben, er hat sich einen Platz auf Bühnen und Laufstegen weltweit erobert. Stüssy, ein auf Surfmode spezialisiertes Designerlabel, das 1980 im kalifornischen Orange County gegründet wurde, vertreibt als „Premium Street Wear“ eine ganze Kollektion aus Hemden, Jacken und Schuhen im East-German-Style.  Ähnlich angetan vom Muster zeigt sich auch der japanische Hersteller Gravis, der Mode für Snow- und Skateboarder macht. Für Mädchen bietet der Sneaker Lowdown HC eine Mischung aus braunem Leder und NVA-Tarnmuster.

Der amerikanische Onlineshop rogueterritory.com ergänzt diese neuzeitliche Rain-Camo-Kollektion mit einem in Ein-Strich-kein-Strich abgesetzten schwarzen Basecap. Und mit einer klassischen Anzughose aus dem NVA-Planenstoff. Für 76 Dollar sei das Beinkleid „eine schöne Ergänzung für die adrette Sommergarderobe jedes Mannes“, heißt es dazu. Wird der Sommer heiß und das lange Beinkleid zu warm, hilft der finnische Anbieter varusteleka.fi. Der lässt Bermuda-Shorts im NVA-Stil nähen.