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Verkauftes Dorf Verkauftes Dorf: Pödelwitz soll Tagebau weichen

Von Steffen Höhne 08.10.2013, 12:51
Jens Hausner kämpft für Pödelwitz (Archivbild)
Jens Hausner kämpft für Pödelwitz (Archivbild) Andreas Stedtler

Pödelwitz/MZ - Schleenhain (1964) Leipen (1965), Pulgar (1971), Piegel (1976), Droßdorf (1981), Peres (1982), Breunsdorf (1988/89-1994), Heuersdorf (2008). So hießen die Orte, die in den vergangenen Jahrzehnten dem Braunkohle-Tagebau südlich von Leipzig weichen mussten. Und jetzt könnte ein weiteres Dorf auf die Liste kommen: Pödelwitz - (2028)? Für Jens Hausner ist dies eine „Horrorvision“. Der Landwirt und seine Familie besitzen einen Hof in der kleinen Gemeinde. „Wir werden uns nicht von hier vertreiben lassen“, bekräftigt er. „Wir“, das sind sieben Familien, die sich in der „Initiative Pro Pödelwitz“ zusammengeschlossen haben. Sie wehren sich gegen eine Umsiedlung. Die große Mehrheit der noch etwa 130 Einwohner dagegen will freiwillig wegziehen. Die Bürger des 700 Jahre alten Dorfes sind entzweit.

Umsiedlung bis 2009 kein Thema

Pödelwitz: Ein Dorfplatz mit großen Kastanien und einem Kriegerdenkmal. Ringsrum Fachwerkhäuser und Bauernhöfe. Auf einer Anhöhe liegt eine kleine, gepflegte Kirche. Dorfbewohner sind nur selten zu sehen. Die ersten Häuser stehen bereits leer, Fensterscheiben sind zu Bruch gegangen. Hausner aber steht entschlossen vor dem großen gusseisernen Tor zu seinem Hof. „Seit 300 Jahren wohnt die Familie meiner Frau bereits hier.“

Im Wohnzimmer auf einem Tisch stapeln sich Ordner. Er holt eine große Karte heraus. Darauf sind der Tagebau Schleenhain der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag) und die angrenzenden Orte eingezeichnet. Mit dem Finger fährt Hausner die geplanten Abbaugebiete ab. „Sehen Sie, Pödelwitz liegt in einer absoluten Randlage“, sagt er. Für den Betrieb des Tagebaus und des Kraftwerks Lippendorf bis 2040 sei eine Abbaggerung nicht notwendig. Das Dorf soll nach Auffassung von Hausner nur aus einem Grund weichen: „Es ist für die Mibrag wirtschaftlich lukrativer, umzusiedeln und abzubaggern als teuren Lärm- und Staubschutz zu gewähren.“

In der DDR gehörte Pödelwitz zum Bergbauschutzgebiet. Damit stand fest, dass der Ort dem Tagebau weichen sollte. Nach der Wende aber wurden die Pläne nach Worten von Andreas Berkner, Leiter des Regionalen Planungsverbandes Leipzig-Westsachsen, überarbeitet. 1993 habe dann festgestanden: Pödelwitz bleibt. Aufgrund der Randlage am Tagebau sei ein Kohleabbau auf dem Gebiet nicht notwendig. In dem Dorf entstanden in der Folge einige neue Einfamilienhäuser. Eine Umsiedlung war laut Berkner bis 2009 kein Thema.

Doch das Vorrücken der Abraumbagger der Mibrag beunruhigte viele Einwohner. Bis auf 300 Meter sollte der Tagebau an Pödelwitz heranreichen. „Die Initiative zur Umsiedlung des Ortes ging von den Bürgerinnen und Bürgern aus“, sagt Mibrag-Sprecherin Sylvia Werner. Es habe dabei einen umfassenden Dialog mit den Einwohnern und der Stadt Groitzsch, zu der Pödelwitz gehört, gegeben. Dabei seien zwei Alternativen diskutiert worden: Umsiedlung oder Erhalt. Es gab mehrere Umfragen im Dorf, mit einem erstaunlichen Ergebnis: 80 Prozent stimmten für den Abriss ihres Ortes.

Ende 2012 wurde ein Umsiedlungsvertrag, der Angebote des Unternehmens bei einer Umsiedlung festschreibt, zwischen der Stadt Groitzsch und der Mibrag unterzeichnet. Berkner, der den Dialog moderierte, meint: „Die Pödelwitzer müssten trotz Schutzmaßnahmen 20 Jahre mit Lärm und Staub leben. Dies wollen viele nicht. “

Einer, der weggeht, ist Siegfried Brummer. Mit seiner Familie nimmt er das Angebot der Mibrag an und baut in Groitzsch neu. „Mit 77 Jahren wollte ich eigentlich nicht noch einmal Bauherr werden“, sagt er. Seit 1962 wohnt der Rentner in Pödelwitz, hat Haus und Grund. Auf einer Insel im Braunkohletagebau will er jedoch auch nicht wohnen. „Möchten Sie eine Wüste vor der Tür haben?“ In Groitzsch entsteht eine kleine Siedlung mit ehemaligen Pödelwitzern. Dort zieht er mit Frau und Tochter hin. Zehn andere Familien wollen dort auch bauen. Finanziell ist der Umzug offenbar attraktiv. Über Geld möchte zwar niemand öffentlich reden, dabei dürfte dieses der Hauptgrund sein, dass viele auf gepackten Koffern sitzen.

Nach MZ-Informationen zahlt die Mibrag eine Pauschale von 75 000 Euro. Dazu erhalten die Immobilienbesitzer den Schätzwert für Haus und Grund zu dem Preis, als ob es keinen Tagebau gäbe. Der Bau des neuen Hauses wird von der Mibrag zusätzlich finanziell unterstützt. Das Bergbau-Unternehmen schließt die Verträge individuell mit jedem Einzelnen ab. Der Umsiedlungsvertrag bietet lediglich einen Rahmen.

Dennoch lohnt sich das Geschäft für den Kohleförderer wahrscheinlich. Unter Pödelwitz werden rund 20 Millionen Tonnen Braunkohle vermutet. Dies entspricht etwa einer Jahresproduktion. Im vergangenen Jahr hat die Mibrag einen Gewinn von knapp 80 Millionen Euro erwirtschaftet. Diese Zahl lässt sich nicht auf das Jahr 2028 übertragen. Doch zeigt sie an, dass der Kohleabbau, wird er professionell gestaltet, sehr profitabel sein kann. Zudem: Die Mibrag spart teuren Lärm- und Staubschutz, etwa durch meterhohe Wände.

Häuser werden abgerissen

Umzugsgegner Hausner kann verstehen, dass viele Dorfbewohner nicht an einer Braunkohlekippe wohnen wollen. „Doch die Belastungen werden dramatisiert, damit wir gehen.“ Zwingen könne man ihn aber nicht, da ist sich Hausner sicher. Aus einem Ordner holt er den Braunkohlenplan „Tagebau Vereinigtes Schleenhain“ Stand 2011 hervor. Darin steht in Bezug auf eine mögliche Abbaggerung: „Dabei ist es sinnvoll, alle denkbaren Entwicklungsoptionen bis hin zu einer freiwilligen Umsiedlung in die Überlegungen einzubeziehen.“ Nach seiner Ansicht kommt es auf das Wort „freiwillig“ an. „Eine Zwangsenteignung ist nicht möglich“, sagt Hausner. Notfalls werde er mit anderen Dorfbewohnern klagen. Eine auf dem Gebiet versierte Anwältin habe er schon. Er will kämpfen, wenn nötig.

Auf MZ-Nachfrage hält man sich bei der Mibrag bedeckt. Es heißt lediglich, dass in späteren Verfahren eine „Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessenslagen“ stattfinden muss. Vorerst will das Unternehmen weiter Gespräche mit den Pödelwitzern führen, um eine „angemessene Lösung für alle Familien zu finden.“

Mit dem Aufkauf der Häuser dürfte das Dorf schnell leer werden. „Die Gebäude werden dann wohl abgerissen“, sagt Berkner vom Planungsverband. Übrig bliebe dann eine Handvoll Häuser verteilt im Abstand von hundert Metern. Von einem Dorf kann man dann wohl nicht mehr sprechen.

Hausner und seine Mitstreiter ficht dies nicht an, sagen sie. „Ich würde das bedauern. Wir schätzen viele unserer Nachbarn, sind aber nicht auf sie angewiesen.“

Aus dem 13. Jahrhundert stammt die Kirche. Der Turm wurde erst später errichtet.
Aus dem 13. Jahrhundert stammt die Kirche. Der Turm wurde erst später errichtet.
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Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain versorgt das angrenzende Kraftwerk Lippendorf mit Braunkohle. Zuvor muss Abraum beseitigt werden.
Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain versorgt das angrenzende Kraftwerk Lippendorf mit Braunkohle. Zuvor muss Abraum beseitigt werden.
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