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Verbraucherzentrale warnt vor Kaffeefahrten Verbraucherzentrale warnt vor Kaffeefahrten: Abzocke statt tolle Schnäppchen

Von Katrin Löwe 22.08.2015, 19:35
Die Polizei hat in Schönebeck eine Kaffeefahrt aufgelöst.
Die Polizei hat in Schönebeck eine Kaffeefahrt aufgelöst. [email protected]

Schönebeck/Halle (Saale) - Sie sollten angeblich menschliche Arterien entkalken, also medizinische Heilwirkung haben. Die aber hatte ihren Preis: Mehrere hundert Euro sollten Matratzenauflagen kosten, die auf einer Kaffeefahrt am Donnerstag in Schönebeck feilgeboten wurden. „Deren tatsächlicher Wert liegt wahrscheinlich erheblich darunter“, ließ die Polizei wissen.

Erste Verträge unterschrieben

Sie hat dem Treiben von zwei Verkäufern aus Bremen mit Hilfe von 20 Beamten ein Ende gesetzt. Als sie eingriffen, hatten laut Polizei Teilnehmer - im Alter zwischen Ende 60 und Anfang 80 - Verträge über Messersets oder Reisen unterschrieben, die Werbung für die Matratzen lief. Gegen die Verkäufer wird wegen unlauteren Wettbewerbs, Verstößen gegen das Heilmittelwerbe- und Medizinproduktegesetz ermittelt.

Ein Einzelfall, Überbleibsel eines Phänomens der Nachwendezeit, mit dem unerfahrene Ostdeutsche über den Tisch gezogen werden sollten? Mitnichten, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Seit einigen Jahren gebe es wieder einen Boom unseriöser Kaffeefahrten. „Es ist schlimmer denn je!“ Die Polizei hat nach eigenen Angaben im Süden Sachsen-Anhalts in den vergangenen anderthalb Jahren sieben Veranstaltungen aufgelöst. Gut, aber ein „Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Emmrich, während die Polizei darauf verweist, überhaupt Kenntnis von Kaffeefahrt-Terminen haben zu müssen. Im jüngsten Fall hatte es einen Tipp gegeben.

Kaffeefahrten sind ein Riesen-Geschäft. Schätzungen zufolge nehmen jährlich bis zu fünf Millionen Menschen an dubiosen Verkaufsfahrten teil, auf denen ein Jahresumsatz von 500 Millionen Euro generiert wird. Mittlerweile, sagt Emmrich, würden nicht mehr nur altbekannte Lamadecken angeboten, sondern jede Menge Produkte, vor allem mit Gesundheitsbezug: Wässerchen, Pillen und Salben, die angeblich Linderung bieten. „Es gibt eine breite Palette, wo vor allem mit der sozialen Vereinsamung von Senioren Kasse gemacht wird.“ Denn gerade Rentner würden die Angebote wahrnehmen - sie suggerieren ein Gemeinschaftserlebnis und eine „tolle Ausfahrt“, bei der der Bus sogar im eigenen Dorf hält. Oft locken dazu angebliche Gewinne oder Geschenke, die sich aber fast immer als herbe Enttäuschung entpuppen. In Schönebeck war laut Polizei von Matratzenauflagen in der Einladung nicht die Rede. Dafür gab es Gewinnversprechen: Bargeld, Elektro-Geräte, Reisen.

Emmrich selbst hat in den vergangenen Jahren verdeckt an zwei Fahrten teilgenommen. Eine Frankenwald-Reise endete bereits im thüringischen Eisenberg. Das beworbene „kostenlose Mittagessen“ sei ein eingeschweißtes Billig-Gericht für die heimische Mikrowelle gewesen - das im Lokal vor Ort musste natürlich bezahlt werden.

Möglichst schnell beraten lassen

Das böse Erwachen und Zweifel kämen bei Teilnehmern oft erst nach der Rückkehr - „und wir sind froh, wenn wenigstens noch nicht vor Ort bezahlt wurde“, sagt Emmrich. In der Regel stünden die Chancen dann schlecht, das Geld wiederzubekommen. Betroffene sollten so schnell wie möglich den Rat von Verbraucherschützern suchen.

Zugleich verweist sie auf eine Aktion aus Bayern: Das Land hat im Juni angekündigt, eine Bundesratsinitiative zu starten, um den Verkauf von Medizinprodukten, Nahrungsergänzungsmitteln, Reisen oder Finanzdienstleistungen auf Kaffeefahrten künftig zu verbieten und Bußgelder zu verzehnfachen. Eine aktuelle Warnliste über konkrete Kaffeefahrten und ihre Fallen bundesweit führt der hessische Lahn-Dill-Kreis im Internet - nach eigenen Angaben als einzige Behörde Deutschlands. (mz)